1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen
Politik

Pittsburgh - Weckruf für Europa

Gak Martin Kommentarbild App
Martin Gak
28. Oktober 2018

Das Hassverbrechen von Pittsburgh erinnert uns an die tödliche Kraft des Antisemitismus. Trotz dieser Abscheulichkeit nutzen europäische Politiker wieder verstärkt antisemitische Rhetorik, kritisiert Martin Gak.

https://p.dw.com/p/37HWJ
Davidsstern
Bild: fotolia

Der wohl blutigste antisemitische Gewaltakt der US-Geschichte schockiert die Welt. Ein schwer bewaffneter Angreifer tötet in einer Synagoge in Pittsburgh mindestens elf Menschen. Kurz davor macht er auf sich aufmerksam in einem sozialen Netzwerk: "HIAS bringt gern Eindringlinge her, die unsere Leute umbringen. Ich kann nicht tatenlos zusehen, wie meine Leute abgeschlachtet werden. Scheiß auf eure Sichtweise, ich gehe rein."

HIAS, das ist eine jüdische Flüchtlingshilfsorganisation, die sich im späten 19. Jahrhundert in New York gründete. Sie unterstütze Juden aus Russland und Osteuropa bei der Flucht vor Pogromen. Zuletzt hat sich die Organisation darauf konzentriert, Menschen ohne Dokumente zu beschützen.

Für den Angreifer war HIAS wohl ein Sinnbild für die alte Verschwörungstheorie vom "heimtückischen" internationalen Juden; dem "perfiden" Juden, der angeblich die Weltherrschaft anstrebt; angeblich die internationalen Finanzmärkte und die Medien kontrolliert; angeblich die religiöse Identität christlicher Länder unterwandert.

Die Gesichter des Antisemitismus überleben

Die Kraft dieser antisemitischen Mythen hat die Auslöschung von Juden durch Pogrome, Konzentrationslager und Massentötungen rechtfertigt. Diese Kraft ist nicht erloschen. Der Banker Rothschild wurde ersetzt durch den Milliardär George Soros. Der wurzellose Internationalismus, den Adolf Hitler anprangerte und ihn mit den Juden assoziierte, ist heute der Globalismus, den Steve Bannon und seine Zeitgenossen der Alt-Right verdammen.

Eine Gruppe von Extremisten hat es in den USA von den Rändern der Gesellschaft in den Mainstream geschafft. Dort stellen sie liberale Juden in den Medien, im Finanzsektor und in der Regierung als mächtig und gefährlich dar. Diese Strategie des Denunzierens hat nun ihre vergiftenden Früchte getragen .

Warnung an Europa

Auch die Europäer dürfen die Signale zu Hause nicht übersehen. Ungarns Premierminister Viktor Orbán hat einen klar antisemitischen Wahlkampf geführt. Er hat George Soros als Symbol einer anti-ungarischen Globalisten-Verschwörung missbraucht. Der Co-Fraktionsvorsitzende der AfD, Alexander Gauland, hat sich über die "globale Klasse" ausgelassen, die vermeintlich Wissenschaft, Medien, Banken und Nichtregierungsorganisationen für sich in Beschlag genommen habe. Der Euroskeptiker Nigel Farage plappert Henry Fords Warnungen vor dem "Internationalen Juden" nach und warnte auf "Fox News", George Soros sei "die größte Gefahr für die gesamte westliche Welt".

Gak Martin Kommentarbild App
Martin Gak - DW-Redakteur für Religion

Währenddessen schimpft Italiens Innenminister und Chef der rechtsnationalen Lega, Matteo Salvini, gegen die Banken. Sie würden Italien "mit neuen Migranten-Sklaven füllen" und dem Land den finanziellen Ruin bringen. Und ähnlich wie in der Anklage des Pittsburgh-Angreifers gegen die Flüchtlingshilfsorganisation HIAS, hat das vermeintlich Böse auch beim Thema Migration einen Namen. Farage, Salvini, Orban und andere haben Soros und sein Netzwerk aus Nichtregierungsorganisationen beschuldigt, die "Invasion der Migranten" zu finanzieren. Diese Politiker nutzen die Sprache und die Argumente der dunkelsten Kapitel unserer Geschichte mit klarem politischem Kalkül.

Europa muss sich von diesem Stumpfsinn befreien und darf sich nicht in Selbstzufriedenheit ausruhen. Gerade nach diesem Angriff in Pittsburgh haben die Europäer eine besondere historische Verantwortung: Sie ist begründet in dem Blut, mit dem dieser Kontinent getränkt ist. Unmenschliche Grausamkeiten dürfen sich nicht wiederholen. Es ist Zeit, zu handeln.