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Politik

Nur Kommissar Zuversicht hilft

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Richard A. Fuchs
11. Oktober 2016

Erst entwischt, dann durch Mithilfe anderer Flüchtlinge gestellt: Seit der Festnahme eines Terrorverdächtigen in Leipzig wird viel über Polizeiversagen gemutmaßt. Kurz innehalten wäre angebracht, meint Richard Fuchs.

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Deutschland Polizeihund Ute in Braunschweig
Bild: picture-alliance/dpa/J. Stratenschulte

Nein, Deutschland ist in den vergangenen 48 Stunden kein anderes Land geworden. Und das gilt auch, obwohl die Ereignisse von Chemnitz und Leipzig zweifelsohne die ganze Nation in Atem gehalten haben. Die Festnahme des 22-jährigen Syrers Jaber al-Bakar, die Sprengstofffunde in seiner Chemnitzer Wohnung, seine zwischenzeitliche Flucht und die letztendliche Festnahme, die nur durch Mithilfe anderer Flüchtlinge gelang - all das wühlt das Land auf. Die Politik, die Sicherheitsorgane, die öffentliche Debatte. Alle zerbrechen sich den Kopf, welche Lehren aus dem Fall Jaber al-Bakar zu ziehen sind. Einem Flüchtling, der allem Anschein nach im Auftrag der Terrormiliz "Islamischer Staat" Unheil und Tod ins Land tragen sollte.

Alarmismus ist kein guter Sicherheitsdienst

Schnell wird in Debatten wie dieser das Schwert der Schuldzuweisungen gezückt - ebenso wie das Schwert der Maximalforderungen. Während die einen der sächsischen Polizei Dilettantismus und Versagen attestieren, stellen andere Flüchtlinge jetzt unter Generalverdacht. Laut ist der Ruf nach mehr Befugnissen für Sicherheitskräfte und Geheimdienste, unüberhörbar der Wunsch nach einer lückenlosen Durchleuchtung aller Flüchtlingsbiografien. Egal, um welche Forderung es geht und wie berechtigt diese auch sein mag: Der Ton ist schrill.

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Richard Fuchs, Korrespondent im DW-Hauptstadtstudio

Viele sehen sich jetzt, nachdem Deutschland nur knapp einem Terroranschlag entkommen ist, in ganz vielem bestätigt. Und genau darum dreht sich jetzt eine erhitzte, in großen Teilen unnötige Debatte. Denn die Kritiker von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) wussten schon immer, dass mit der Zuwanderung von Flüchtlingen auch der Terrorismus einreisen würde. Der jüngste Fall ist für sie nur die Spitze des Eisbergs. Vom anderen politischen Spektrum wird der Versuch unternommen, eine Heldensaga zu initiieren: Denn nur dank des unerschrockenen Eingreifens einer Gruppe junger Syrer konnte Jaber al-Bakar in Leipzig dingfest gemacht werden. Hier festgefügte Meinungen bis hin zu an Rassismus grenzender Islamophobie, dort neue Helden-Mythen: Was sagt uns all das über den Zustand unserer Gesellschaft?

Das Gift der Terroristen wirkt

Wer nüchtern auf die Blüten dieser Debatte schaut - und diese Nüchternheit galt einst als Tugend - der stellt fest: Hier regiert die permanente Erregung. Alarmismus gehört im politischen Geschäft zum viel gehörten Ton. Zum guten Ton sicherlich nicht. Wer nach möglichen oder nur knapp vereitelten Anschlägen wie diesem nicht Extremes fordert, der reagiert unpatriotisch. Wer nicht große Schwenks und echte Politikwechsel einklagt, der erkennt in den Augen vieler den Ernst der Lage nicht. Doch all das stimmt mitnichten!

Wer sich permanent erregt, der raubt der offenen und wehrhaften Demokratie ihr wichtigstes Bindeglied: die Zuversicht. Denn ohne diese Zuversicht können weder Sicherheitskräfte, noch Bürger mit der terroristischen Gefahr umgehen. Nicht in diesem Fall, nicht künftig. Die Realität zeigt genau das: Ohne Zuversicht ins eigene Leben hätten die "Helden von Leipzig" nicht ihren terrorverdächtigen Landsmann festgenommen. Ohne Zuversicht gibt es bald keinen mehr, der als mündiger Bürger die Demokratie, den Rechtsstaat und das Grundgesetz verteidigt. Wo diese Zuversicht fehlt, da zieht das Gift der terroristischen Angstmacherei seine Kreise. Erst in den Köpfen, dann in Taten. In letzter Konsequenz in Attentaten. Doch wie verhindert man, dass an der Stelle von "Wachsamkeit" und "Zuversicht" in Kürze "Endzeitstimmung" und "Fatalismus" zur Grundmelodie dieser Nation werden?  

Wachsamkeit und Zuversicht

Ganz einfach dadurch, dass wir uns nicht vom Terror vereinnahmen lassen. Nicht in unserem Denken, nicht in unserem Handeln. Das hat gleich mehrere Vorteile. Den Wichtigsten vorneweg: Anti-Terror-Gesetze und wirksame Schritte im Kampf gegen die Gefahr islamistischer Einzeltäter werden am Besten mit kühlem Kopf verabschiedet. Erhitzte Gemüter und die aktuelle Hysterie beschneiden nur die Freiheit und die Rechte aller, taugen dagegen wenig, um unser Land auch nur ein Stück sicherer zu machen. Je schneller wir das begreifen, desto eher erhalten wir unsere Gelassenheit zurück. Und, manchen mag es erstaunen: auch unsere innere Sicherheit.

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