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Kommentar: "Maulkorb-Debatte" schadet Politik

Peter Stützle16. April 2012

Union, SPD und FDP wollen das Rederecht von "Abweichlern" im Bundestag genauer regeln. Ohne Not schaden sie damit sich selbst und dem Ansehen der Politik, meint Peter Stützle.

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Symbolbild Kommentar

Sie nennen sich Volksvertreter. Aber gelegentlich scheint den Akteuren im Bundestag jedes Gespür abzugehen, wie ihr Tun außerhalb des Berliner Regierungsviertels ankommt. Sonst hätten sie wohl kaum für eine geringfügige Änderung ihrer Geschäftsordnung in Kauf genommen, dass ihr ohnehin schon ramponiertes Image weiter lädiert wird. Auch wenn die Parlamentarischen Geschäftsführer von CDU/CSU und FDP jetzt betonen, dass noch nichts entschieden sei, allein schon der Plan bestätigt viele populäre Vorurteile über die Politiker.

Auslöser von allem war, dass sich die Koalitionsführung im vergangenen September über Bundestagspräsident Norbert Lammert geärgert hatte. Der CDU-Politiker hatte vor der Abstimmung über den Euro-Rettungsschirm eigenmächtig zwei Abweichlern von der Koalitionslinie, Frank Schäffler (FDP) und Klaus-Peter Willsch (CDU), das Wort erteilt. Normalerweise bekommt jede Fraktion entsprechend ihrer zahlenmäßigen Stärke ein Zeitkontingent, in dessen Rahmen die Fraktionsführung ihre Redner benennt. Aber keine Bestimmung in der Geschäftsordnung hindert den Sitzungsleiter daran, zusätzliche Abgeordnete ans Pult zu lassen.

Gemeinsam mit den oppositionellen Sozialdemokraten wollten die Koalitionsfraktionen jetzt festschreiben, dass das Parlamentspräsidium alle Fraktionen informieren und ihre Stellungnahmen einholen muss, wenn es beabsichtigt, über das Fraktionskontingent hinaus Rednern das Wort zu erteilen. Zudem sollte das bisherige Recht jedes Abgeordneten, vor einer Abstimmung eine persönliche Erklärung abzugeben, begrenzt werden. Kritiker des Vorhabens bei Grünen und Linkspartei sowie in den Medien sprachen von einem Maulkorb für Abweichler. Aber das ist ziemlich übertrieben.

Porträt Peter Stützle
Peter Stützle. DW-HauptstadtstudioBild: DW

Niemand wird mundtot gemacht

Auch nach den geplanten Änderungen könnte sich der Sitzungspräsident über das Votum der Fraktionen hinwegsetzen. Zudem hat jeder Abgeordnete genügend andere Möglichkeiten, sich Gehör zu verschaffen. Während der Regierungszeit von Gerhard Schröder haben Abweichler von SPD und Grünen davon rege Gebrauch gemacht, als Auslandseinsätze der Bundeswehr zur Abstimmung standen. Es gibt während laufender Debatten die Möglichkeit zur Kurzintervention, es gibt Erklärungen zur Abstimmung, die zwar eingeschränkt, aber nicht abgeschafft werden sollten. Vor allem aber gibt es außer dem Mikrofon am Rednerpult zahllose Mikrofone von Reportern, in die Abweichler sprechen können.

Wenn die Einschränkung des Rederechts von Abgeordneten tatsächlich so gravierend wäre, müsste man sich auch fragen, warum die Aufregung erst jetzt so hoch kochte. Seit Monaten weiß man, dass eine derartige Änderung der Geschäftsordnung geplant ist, und seit zwei Wochen steht die Abstimmung darüber in der Tagesordnung des Bundestags für den 26. April.

Da die Änderungen aber so gravierend gar nicht sind, fragt man sich schon, wozu das Ganze. Auch wenn die Abstimmung jetzt auf unbestimmte Zeit verschoben ist, der ungute Eindruck in der Öffentlichkeit bleibt. Der Vorstoß der drei Fraktionen hat der Politikverdrossenheit Vorschub geleistet und Wasser auf die Mühlen der Piratenpartei geleitet, die sich mehr Transparenz im Politikbetrieb auf die Fahnen geschrieben hat.