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Indiens testet neue Super-Rakete

Grahame Lucas19. April 2012

Indien hat eine atomwaffenfähige Langstreckenrakete erfolgreich getestet. Ein großer, sogar historischer Schritt für den wichtigsten Verbündeten des Westens in Südasien, meint Grahame Lucas.

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Die neue Langstreckenrakete vom Typ Agni-V hat eine Reichweite von mehr als 5.000 Kilometern und kann Ziele in ganz Asien, dem Nahen Osten, bis hin nach Europa erreichen. Mit diesem Raketentest ist die Nuklearmacht Indien mit einem Schlag in die Riege der Staaten aufgestiegen, die über atomwaffenfähige Langstreckenraketen verfügen. Bisher war dieser Kreis auf die ständigen Mitglieder des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen beschränkt: die USA, Russland, China, Großbritannien und Frankreich.

Der erfolgreiche Raketentest bedeutet zunächst einen enormen Prestigegewinn der aufstrebenden Regionalmacht Indien in Asien. Er ist auch ein deutliches Signal an die führenden Nationen der Welt, insbesondere an China, dass Indien den Status einer Supermacht anstrebt. Man kann erwarten, dass Indien nun seine Bemühungen um eine ständige Präsenz im UN-Sicherheitsrat, dem Club der Großen und Mächtigen, weiter verstärken wird. Im Rahmen einer längst überfälligen Reform dieses Gremiums wird Neu-Delhi - wie in der Vergangenheit - den Schulterschluss mit Berlin suchen.

Stärkeres Abschreckungspotenzial

Bisher konnte Indien mit seinen Mittelstreckenraketen lediglich Ziele in Pakistan avisieren. Mit dem westlichen Nachbarn hat Indien seit der Staatsgründung 1947 drei konventionelle Kriege geführt. Doch mit diesem Raketenstart erhält das Abschreckungspotenzial des Landes eine neue Dimension: Neu-Delhi hat damit den ersten Schritt zum Aufbau einer atomaren Abschreckung gegenüber dem kommunistischen Nachbarn im Norden, der Volksrepublik China, getan. Die indische Agni-V-Rakete kann Ziele in ganz China erreichen.

Grahame Lucas Multimediadirektion REGIONEN, Asien - Südasien. Foto: DW/Per Henriksen 03.04.2012 - DW1_9212.
Grahame Lucas, Leiter der Südasien-Programme der Deutschen WelleBild: DW

Das von vielen Experten vorausgesagte Wettrennen um die militärische Vorherrschaft in Asien im Laufe dieses Jahrhunderts zwischen Peking und Neu Delhi findet somit eine weitere Bestätigung. Es ist zu erwarten, dass der gelungene Raketentest Indien zu einem neuen Selbstbewusstsein als führende Macht auf dem Gebiet der Raketentechnik, Raumfahrt und Software-Entwicklung verhelfen wird, und dass sich dieses neue Selbstbewusstsein in der Außenpolitik gegenüber den asiatischen Nachbarn ausdrücken wird. Vorsicht ist aber noch geboten, denn noch ist die Nuklearmacht China dem südasiatischen Nachbarn weit voraus.

Wichtigster Partner der USA in Südasien

Washington wird den Raketentest wohlwollend zur Kenntnis genommen haben. Ein militärisch erstarkendes Indien wird der von Washington zugedachten Rolle als wichtigster Bündnispartner in Südasien zunehmend gerecht. In dieser Region soll Indien den Einfluss Pekings eindämmen. Als Rahmen dient die bereits eingeleitete Sicherheits- und Nuklearpartnerschaft mit den USA. Beide Partner streben eine Ausweitung ihrer Handelsbeziehungen an.

Der Weg zur Supermacht ist noch weit

Um den Status einer Supermacht zu erreichen, muss Indien jedoch noch einen weiten und schwierigen Weg gehen. Die Beziehungen zwischen der zivilen Regierung in Neu Delhi und den Militärs bleiben äußerst gespannt. Die Modernisierung der konventionellen Streitkräfte verläuft schleppend, die bisherigen Erfolge auf diesem Gebiet bleiben äußerst bescheiden. Die Korruption im Lande ist allgegenwärtig und bedroht inzwischen die gegenwärtige Staatsstruktur.

Trotz starken Wirtschaftswachstums und einer zunehmenden Öffnung des Marktes für Produkte aus dem Westen bleibt die soziale Frage ungelöst. Hunderte Millionen Menschen im Vielvölkerstaat Indien leben an oder unterhalb der Armutsgrenze. Aufständische Maoisten kontrollieren weite Landstriche, vorwiegend im östlichen Teil des Landes. Die Regierung tut wenig oder gar nichts um die soziale Frage zu lösen und etwa der Hälfte der Bevölkerung zu einer menschenwürdigen Existenz zu verhelfen.

Den Armen und Unterprivilegierten des Landes wird dieser Raketentest nichts bedeuten und auch nichts bringen. Doch wenn das Land zur Supermacht aufsteigen will, müssen die Eliten zuerst diese wichtigen Fragen lösen - nur so erhält der Aufstieg ein festes Fundament. Bei allem Prestigegewinn helfen Raketen hier nicht weiter.