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Politik

Großbritanniens Schicksalsstunde

Maaß Birgit Kommentarbild App
Birgit Maaß
12. Januar 2019

Am kommenden Dienstag stimmen die Abgeordneten im britischen Unterhaus über das von Theresa May mit der EU ausgehandelte Austrittsabkommen ab. Sie sollten es ablehnen, meint Birgit Maaß.

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Großbritannien, London: Symbolbild Brexit
Bild: Reuters/H. McKay

Es gibt wohl kaum einen Abgeordneten im britischen Unterhaus, der nicht den Atem der Geschichte im Nacken spürt vor dieser historischen Abstimmung im Unterhaus. Wie die Wahl ausgeht, wird das Schicksal des Landes über Generationen hinweg prägen: Es geht um die wirtschaftliche Zukunft, um Großbritanniens Ansehen in der Welt, um das Zusammenleben der Generationen und den Umgang mit Migranten.

Zurzeit sieht es so aus, als würde die Premierministerin eine herbe Niederlage erfahren - und das ist richtig so. Der Deal, das Abkommen über Großbritanniens Austritt aus der EU, bleibt weit hinter dem zurück, was die Brexit-Befürworter ihren Anhängern versprochen haben: Zwar wird sich Großbritannien in einigen Jahren wohl aussuchen können, welche Einwanderer aus der EU man ins Land lassen möchte, und man wird die Institutionen der EU tatsächlich verlassen. Aber der Brexit geht auch zulasten des Wirtschaftswachstums - und zwar erheblich. Von den Einsparungen in Milliardenhöhe, welche die Brexit-Befürwortern versprachen und die dann in das Gesundheitssystem fließen könnten, kann keine Rede sein. Das souveräne Brexit-Großbritannien, in dem Milch und Honig fließen, bleibt eine Ausgeburt der Phantasie.

Den moralischen Kompass verloren

Theresa May hat viele Fehler gemacht: Sie hat ihren Bürgern die ökonomischen Konsequenzen des EU-Austritts lange verschwiegen, hat auch nicht klar gesagt, dass Großbritannien mit der EU Kompromisse schließen muss, wenn man nicht unter großen Schmerzen Ende März ohne Deal aus der Gemeinschaft herauskrachen will. Statt Brücken zu bilden, auch auf andere Parteien zuzugehen, hat sie die Gräben im Land vertieft: Diejenigen, die sich als mobile Weltbürger verstehen - und damit meinte sie klar die Pro-Europäer im Land - als "citizens of nowhere" ("Bürger von nirgendwo") zu bezeichnen, hat viele verstört.

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Birgit Maaß ist DW-Korrespondentin in London

Ihr Pflichtbewusstsein und ihr eiserner Wille verlangte sogar ihren Gegnern Respekt ab. Aber es scheint, als sei ihr vor lauter Eifer der moralische Kompass abhanden gekommen. Sie wirkt besessen von einer vermeintlich historischen Mission, nämlich den Mehrheitswillen der Wähler des Brexit-Referendums umzusetzen. Die ungehinderte Einwanderung von EU-Bürgern ins Vereinigte Königreich zu stoppen, scheint für sie heiliger Gral zu sein. Schon früh blockierte sie sich und ihr Verhandlungsteam durch zu starr gezogenen "rote Linien", wie die, auf jeden Fall aus dem gemeinsamen Markt und der Zollunion auszusteigen.

Vergeblich versucht sie nun, das zerstrittene Unterhaus auf ihre Linie einzuschwören: Damit, dass es nur diesen einen Deal gibt, und keinen anderen. Die Alternativen: kein Deal oder kein Brexit. Ein zweites Referendum lehnt sie strikt ab.

Ein zweites Referendum wäre demokratisch

Dabei war doch das Referendum vom 23. Juni 2016 eine Momentaufnahme und der Vorsprung der Brexit-Wähler auch nicht riesig. Niemand wusste damals, was "Brexit" wirklich bedeutet. Mittlerweile ist klar, dass viele Versprechen der Brexit-Befürworter nicht gehalten werden können, und es wäre demokratisch, jetzt noch einmal beim Wähler nachzufragen.

Die Abgeordneten sollten den Deal also ablehnen, um so den Weg für eine zweite Abstimmung frei zu machen. Natürlich kann Großbritannien aus der EU austreten, wird aber wirtschaftlich erhebliche Einbußen erleiden. Das Volk sollte entscheiden, ob es unter diesen Umständen den Brexit wirklich will.