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Politik

Frankreich vor der Wahl: Richtungslos

Barbara Wesel Kommentarbild App *PROVISORISCH*
Barbara Wesel
18. April 2017

Das gab es noch nie - vier Kandidaten liegen fast gleichauf vor der ersten Runde der französischen Präsidentschaftswahl. Viele Franzosen haben sich noch nicht entschieden und erscheinen richtungslos, meint Barbara Wesel.

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Die elf Präsidentschaftskandidaten in Frankreich
Bild: picture alliance/abaca/J. Domine

Die Lage eine Woche vor der ersten Wahlrunde in Frankreich ist so verwirrend, dass sogar Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier einen halbwegs vorsichtigen Einmischungsversuch wagt: Er warnt vor der Wahl von Rechtspopulisten, deren "Sirenengesänge" Frankreich eine große Zukunft versprechen, das Land aber aus Europa führen wollten. Gerade in Berlin wartet man mit angehaltenem Atem auf das Ergebnis des ersten Wahlgangs, schließlich hängt die Zukunft der Europäischen Union, hängen Wohlstand, Frieden, Gemeinsamkeit und viele andere unterschätzte Güter davon ab.

Aufstieg der Extremisten

In der ersten Runde entscheidet man mit dem Herzen, in der zweiten mit den Kopf - so heißt es immer zur Erklärung des französischen Wahlsystems, das vor dem Einzug von Extremisten in den Präsidentenpalast schützen soll. Nur dass inzwischen durch den kometenhaften Aufstieg des Altkommunisten Jean-Luc Mélenchon in den Umfragen eine Konstellation denkbar ist, die ihn im zweiten Durchgang der Rechtspopulistin Marine Le Pen gegenüberstellt. Für wen würde der Kopf des politisch denkenden Franzosen sich dann wohl entscheiden? Was noch vor Wochen undenkbar schien, ist jetzt in den Bereich des Möglichen gerückt.

Der Erfolg von Mélenchon zeigt, dass viele Franzosen inzwischen eine radikale Lösung wollen. Es scheint ihnen weniger um praktische Lösungen für ihre Probleme zu gehen, als um eine starke Ideologie mit dem Versprechen einer glorreichen Zukunft. Wie sonst ist zu erklären, dass Le Pen und Mélenchon gemeinsam in den Umfragen derzeit über 40 Prozent auf die Waage bringen. Auch ist die Wählerschaft an den beiden Enden der politischen Skala teilweise deckungsgleich: Frustrierte frühere Industriearbeiter, die immer links wählten, dann zur Rechten wechselten und zur Linken zurück kehren könnten. Jungwähler, die wütend über den Pariser Politikbetrieb nichts als Veränderung suchen und sozial Abgehängte, denen jede radikale Botschaft recht ist, die ihnen ein besseres Leben verspricht.

Wie sich die Bilder ähneln…

Die radikale Linke lockt die Franzosen mit der Parole "Frankreich im Aufstand", und verspricht die EU und die Nato zu verlassen, Industrien zu renationalisieren und ein Politik- und Wirtschaftsmodell umzusetzen, das vor allem als Absage an den Finanzkapitalismus auftritt. Wie so etwas nach dem Ende des Kommunismus in Osteuropa funktionieren soll, bleibt offen. Was Mélenchon dabei von Le Pen unterscheidet ist die Idee eines Internationalismus, für den jedoch weltweit die Partner fehlen.

Barbara Wesel
Barbara Wesel ist DW-Korrespondentin in Brüsserl

Die Kandidatin des FN, der "Nationalen Front" dagegen setzt ganz auf Patriotismus. "Frankreich zuerst" heißt ihre Devise, aber ihr Wirtschaftsprogramm ist von dem der radikalen Linken kaum zu unterscheiden. Ähnliche Slogans und Versprechen. Raus aus EU und Nato, nationalisierte Großindustrien - für viele Wähler ist das verlockend und jeweils kaum unterscheidbar. Sie müssen schon genauer hinsehen, um das neo-faschistische Erbe bei Le Pen zu entdecken, wie sie es jetzt in einem Radiointerview offen legte, als sie die Verantwortung Frankreichs für die Deportation von Juden durch die Vichy-Regierung leugnete.

Die Mitte bröckelt

Hoffnungsträger in dieser Konstellation ist für die europäischen Nachbarn wie für das jüngere französische Bürgertum Emmanuel Macron. Als einziger tritt er als Pro-Europäer auf, mit einer progressiv-liberalen Wirtschaftspolitik, die das verkrustete französische System endlich reformieren soll. Anfangs erfreute Macron sich jubelnden Zuspruchs, inzwischen zeigt sich seine Wählerschaft als schwankend und wenig "hart" in den Umfragen.

Und schließlich ist noch Skandal-König Francois Fillon im Rennen. Er hat gerade auf dem Land Anhänger, die ihm trotz seiner Ermittlungsverfahren die Treue halten, weil sie eingefleischte Konservative sind oder seinem Reformkurs à la Thatcher glauben. Für Sozialisten aber scheint der Rechtskonservative in der zweiten Runde kaum wählbar. Und es ist unklar, ob er überhaupt in die Ausscheidung kommt, was allein für Frankreich ein politisches Erdbeben bedeutete.

Gleich mit dem Kopf entscheiden

Für besorgte Beobachter und Nachbarn gibt es derzeit nur eine Hoffnung: Dass die Franzosen ihren Hang zu großen Ideologien unterdrücken und schon in der ersten Runde mit dem Kopf abstimmen. Bis dahin kann man das Ende des Wahlkampfes nur mit angehaltenem Atem und der Hoffnung verfolgen, dass die Franzosen den Wählern in Österreich und den Niederlanden folgen und ebenfalls dem Extremismus eine Absage erteilen.

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