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Wir brauchen eine olympische Revolution

Joscha Weber Bonn 9577
Joscha Weber
30. November 2015

Das Aus der Hamburger Olympia-Bewerbung hinterlässt fast nur Verlierer: die Stadt Hamburg, der deutsche Sport, selbst das IOC. Schlimmer noch: Die Olympische Idee steht auf dem Spiel, warnt Joscha Weber.

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Die Olympischen Ringe (Foto: dpa)
Bild: picture-alliance/dpa

In den Tagen zuvor waren alle noch so optimistisch: Der Bürgermeister, der Innenminister, der DOSB-Präsident, Hamburger Sportler, die Bewerbungsgesellschaft sowieso. Olympische Spiele in Hamburg, davon werden alle profitieren, selbst die Zweifler werden das noch begreifen, waren sich die handelnden Akteure einig. Und die Umfragen sahen die Olympia-Befürworter mit einem beruhigenden Stimmenvorsprung vorn. Aber: Alle lagen falsch. Denn die Bürger sagten mehrheitlich nein. Und die Tatsache, dass das kaum jemand kommen sah, erzählt schon viel über diese traurige Geschichte namens Hamburger Olympiabewerbung.

Misstrauen begleitet die Spiele - zu Recht

Wieder einmal ist die Idee von Olympischen Spielen in Deutschland nicht vermittelbar. Wie schon bei der Bewerbung Münchens um die Winterspiele 2022 scheiterte die Sportnation im Herzen Europas ausgerechnet an den eigenen Bürgern. Dabei gelten die Deutschen doch zu Recht als sportbegeistertes Volk, das mit der Fußball-Weltmeisterschaft 2006 eines der stimmungsvollsten Sportereignisse der letzten Jahrzehnte getragen hat. Dass nach den Münchenern nun auch die Hamburger Olympia ablehnen, lässt das tiefe Misstrauen erkennen, dass Sport-Megaevents wie die Olympischen Spiele hierzulande, aber auch anderswo, derzeit begleitet. Zu Recht begleitet.

Denn Olympische Spiele in ihrer aktuellen Form sind leider zu einem finanziellen Fass ohne Boden geworden. Im Schnitt wurden die Spiele um 130 Prozent teurer als geplant, haben Statistiker errechnet. Steuererleichterungen für das IOC und dessen Sponsoren, gigantische Baumaßnahmen und allerlei seltsame Privilegien wie eine olympische Sonderfahrspur im städtischen Verkehr - Olympia ist ein Koloss von unübersehbaren Ausmaßen. Daran hat bisher auch die Agenda 2020 von IOC-Präsident Thomas Bach nur wenig geändert. Sobald olympische Bewerber mehr Demokratie wagen und das Volk über die Spiele abstimmen lassen, werden sie abgestraft. Die weiteren Kandidaten für die Sommerspiele 2024 fragen deshalb gleich lieber erst gar nicht nach.

Joscha Weber (Foto: DW)
DW-Sportredakteur Joscha Weber: "Die Spiele müssen verkleinert, die Kosten reduziert werden".

Zu groß, zu teuer, zu nebulös

Das Hamburger "Nein" ist eine krachende Ohrfeige für die Protagonisten der Bewerbung, Bürgermeister Olaf Scholz und DOSB-Chef Alfons Hörmann, dessen Hilfloskeit am Wahlabend die Blamage für den deutschen Sport noch einmal unterstrich. Natürlich kann man sich es nun leicht machen und das Votum der Hamburger mit der komplexen Gemengelage aus den bevorstehenden Kosten der Flüchtlingskrise und den gestiegenen Sicherheitsbedenken seit den Anschlägen von Paris erklären. Aber das wäre falsch. Die Menschen in Deutschland wollen die Olympischen Spiele in ihrer jetzigen Form schlicht und ergreifend nicht. Zu groß, zu teuer, zu nebulös deren Geschäfte und Geschäftemacher im Hintergrund. Die Skandale in den Verbänden FIFA, DFB, IAAF, aber auch im IOC haben ein nachhaltig abschreckendes Bild des organisierten Spitzensports gezeichnet, so dass dort kaum jemand mehr mit Unterstützung der Öffentlichkeit rechnen kann.

Computeranimation Olympiastadion Hamburg Kleiner Grasbrook
Letzlich eine Illusion: Hamburg wollte Spiele am Wasser - ein schöner Plan, aber vielen wohl doch zu teuer.Bild: Computeranimation: Gerkan, Marg und Partner (gmp), Büro Gärtner und Christ/dpa

Die ganze Welt zu einem friedlichen Fest des Sports zusammenzubringen, ist die wohl edelste Idee, die der Sport je hervorbrachte. Doch genau diese Olympische Idee steht nun auf dem Spiel. Pierre de Coubertin, der Vater der Olympischen Spiele der Moderne, sah im Olympismus einen Lebenstil, "der Freude an der Leistung mit dem erzieherischen Wert des guten Beispiels und dem Respekt vor universalen und fundamentalen ethischen Prinzipien verbindet." Der ökonomisch denkende Spitzensport der Gegenwart scheint jene Prinzipien über Bord geworfen zu haben. Wenn Olympia nur noch dort stattfindet, wo genug gezahlt wird und die Menschen nicht nach ihrer Meinung gefragt werden, sind die Spiele nichts weiter als eine kommerzielle Show.

Ohne Reformen kein Vertrauen

Deshalb ist es höchste Zeit für Reformen, viel tiefgreifender als die in Bachs Agenda 2020. Die Sportverbände müssen umgebaut, die Spiele verkleinert, die Kosten reduziert, die Menschen eingebunden und die Dopingkontrollen in unabhängige Hände gelegt werden. Es ist Zeit, für eine olympische Revolution. Erst dann wird das Vertrauen in die Spiele zurückkehren.

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