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Ein Land in Auflösung

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Ines Pohl
18. Juli 2016

Die USA kommen nicht zur Ruhe. Wieder wurden Polizisten erschossen, wieder wächst die Sorge vor Unruhen. Was ist los in diesem Land? Und was bedeutet das für den Präsidentschaftswahlkampf? Ines Pohl analysiert.

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USA Flagge auf Halbmast in Baton Rouge
Bild: Reuters/J. Penney

Auf unheilvolle Weise scheinen die Vereinigten Staaten die Vorboten zu sein. Der Beleg, wie schnell demokratisch verfaßte Gesellschaften aus dem Lot geraten können in einer Welt, in der die Fliehkräfte der Globalisierung die bekannten politischen Ordnungen auseinander reißen. In der die Menschen Zuflucht im Nationalismus suchen und in der digitalen Welt vor lauter Erregung keine Ruhe mehr finden können. Zusammenhänge werden nicht mehr analysiert, wie das notwendig wäre. Stattdessen: Schnell werden Schuldige gefunden, Sündenböcke benannt. Die Welt wird aufgeteilt in "gut und böse", in "wir und die".

Die reiche Welt muss abgeben

Weil die Wirklichkeit so anstrengend geworden ist, weil es keine einfachen Antworten mehr gibt und weil eine ehrliche Analyse immer zu dem Schluss kommen wird, dass die reiche Welt abgeben muss, da die arme Welt nicht mehr länger friedlich zuschauen mag, passiert hier, was passiert.

Deshalb wächst in dem Einwanderungsland USA die Aggression zwischen den verschiedenen Kulturen, Religionen, Hautfarben. Deshalb werden täglich Menschen auf offener Straße abgeknallt, Schulkinder erschossen und Polizeibeamte getötet. Sicherlich haben die laxen Waffengesetze etwas damit zu tun. Und es stimmt, dass der von vielen überwunden geglaubte Rassismus eine furchtbar große Rolle spielt. Immer noch.

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Ines Pohl, US-Korrespondentin der DW

Keine glaubwürdige Sprache

Und doch hat das Problem noch eine weitere Dimension. Die gewohnte Ordnung dieses Landes läuft Gefahr, sich aufzulösen. Die Menschen sind nicht mehr bereit, die Konsequenzen der neuen Weltordnung zu akzeptieren. Und weil die Politikerinnen und Politiker keine glaubwürdige Sprache finden, um gemeinsam mit den Institutionen, den Gewerkschaften, den Staats- und Polizeibeamten, schließlich der Zivilgesellschaft Lösungen zu benennen.

Bühne für Inszenierung

Wer im Jahr 2016 durch die USA reist, begegnet einem Land auf der Flucht vor der Wirklichkeit. Dazu paßt, dass ein Mann sich anschickt, der nächste Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika zu werden, der große Erfolge in einer Reality-TV-Show gefeiert hat.

Die Menschen flüchten in virtuelle Welten. Man inszeniert sich für die Fotos auf Snapchat, Facebook, Instagram oder anderen sozialen Medien. Wer durch dieses Land reist, kann beobachten, wie einjährige Kinder ihr Fotogesicht aufsetzen, wenn sie eine Kamera sehen. Er oder sie erlebt, dass Jugendliche samstags, in der Kneipe, nicht miteinander sprechen, sondern nebeneinander für die Bilder posen, die sofort online gehen.

Die Wirklichkeit verkommt zur Bühne für die Inszenierung eines Lebens, das der Realität oft nicht stand hält. Es gibt Studien, die belegen, dass für viele der Besuch im Restaurant, der Strandspaziergang, das Familiendinner erst dann "erlebt" wird, wenn die Fotos und Videoclips gepostet sind. Das geht bis zur Gedenkstätte vor der Polizeiwache in Dallas, wo die Menschen sich erst dann schluchzend in die Arme fallen, wenn eine Kamera auf sie gerichtet ist.

Donald Trump setzt auf diese inszenierte Wirklichkeit, mit den Traumschlössern auf seinen Golfplätzen, seinen goldenen Wasserhähnen im Trump Tower, der aufgesprühten Gesichtsfarbe und dem falschen Haar. Er muss es tun, weil ihm die Substanz fehlt. Er kann es tun, weil er früh gelernt hat, die Menschen zu verführen. Und er ist so erfolgreich, weil so viele so viel lieber von einer vergangenen Welt träumen als für eine neue zu arbeiten.

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Ines Pohl Büroleiterin DW Studio Washington@inespohl