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Ein Kessel Buntes für Europa

Barbara Wesel Kommentarbild App *PROVISORISCH*
Barbara Wesel
14. September 2016

Europa ist in einer existenziellen Krise, sagt der EU-Kommissionspräsident. Doch statt eines großen politischen Wurfs bietet er kleinteilige Vorhaben mit praktischem Nutzen. Ein kalkulierter Rückzug, meint Barbara Wesel.

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Frankreich Straßburg EU Parlament Jean-Claude Juncker
Bild: picture-alliance/dpa/P. Seeger

So unterkühlt und emotionslos hat man Jean-Claude Juncker kaum je erlebt. Er las seine Rede zum Zustand der Europäischen Union so engagiert vor wie Börsenkurse. Keine Spur mehr von dem leidenschaftlichen Europäer von früher. Der Kommissionspräsident hat jedes Einheits- und Solidaritätspathos gestrichen und den rhetorischen wie auch politischen Rückwärtsgang eingelegt.

Wer Visionen hat, soll zum Arzt gehen - getreu diesem Ausspruch des früheren Bundeskanzlers Helmut Schmidt lag die emotionale Temperatur dieser Bestandsaufnahme knapp über Null. Kein Reden mehr über weitere Integration in Europa, im Gegenteil: Juncker betonte die Vielfalt der Nationalstaaten und erweckte dabei den Eindruck, dass er den Populisten und ihren Parolen irgendwie entgegen kommen wollte. Aber es hat noch nie genützt, sich denen anzubiedern. Ihre Art von Federhut- und Dirndl-Folklore wird die EU nicht weiter bringen.

Viele kleine Vorhaben

Ansonsten offerierte der Kommissionschef den Bürgern eine bunte Pralinen-Mischung: freies Internet, Schutz für Stahlarbeiter, Geld für Milchbauern, Projekte gegen Jugendarbeitslosigkeit, Kampf der Steuervermeidung und ein neues Urheberrecht - da kann sich jeder raussuchen, was er als europäische Wohltat gebrauchen kann. Aber es ist zweifelhaft, ob man damit diejenigen wieder von der EU überzeugen kann, die sich von rechtspopulistischen Demagogen haben abwerben lassen.

Die einzige politische Initiative, die die Führung der EU verfolgt, bezieht sich auf Sicherheit und Verteidigung: Die Bürger sind verunsichert und ängstlich, so lautet die Diagnose. Jetzt sollen schon in zwei Monaten die ersten EU-Grenzwächter in Bulgarien eingesetzt werden. Wenn der Druck der öffentlichen Meinung stark genug ist, kann es auf einmal ganz schnell gehen in Europa. Ähnliches gilt für ein EU weites Grenzkontrollsystem für Einreisende, um die gemeinsamen Außengrenzen zu überwachen.

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Barbara Wesel ist DW-Korrespondentin in Brüssel

Und endlich ist die Bahn auch frei für ein altes deutsch-französisches Projekt: Paris und Berlin können beginnen, eine Verteidigungsunion zu schmieden, nach der Devise: Wer mitmachen will, ist willkommen und am Ende könnte eine europäische Armee stehen. Das Ganze soll die NATO unterstützen und keine Konkurrenz darstellen. Die Bürger werden dabei vor allem Einsparungen im Verteidigungsetat begrüßen. Das Brexit-Votum und damit das Ende des britischen Widerstands hat den Weg endlich frei für die Verteidigungsunion frei gemacht - es gibt also auch positive Brexit-Effekte.

Brexit wird uns nicht zerstören

Überhaupt der Brexit: Er wird uns nicht zerstören, beschwor Juncker sein Publikum. Der Satz ist auch deshalb richtig, weil der Brexit nur ein Ausdruck und nicht Grund der europäischen Malaise ist. In vielen EU-Ländern gibt es ähnliche Zweifel, ähnliche Ablehnung der europäischen Einigung. Es droht vielerorts die Rückkehr zum Nationalismus, zu Grenzzäunen und einer neuen Spaltung in Europa. Wenn etwas die Union zerstören kann, dann ist es die Wiederauferstehung der Gespenster von gestern.

Jean-Claude Juncker glaubt, es sei die Zeit, um in Europa nur noch kleine Brötchen zu backen. Die Regierungschefs werden ihm vermutlich folgen, wenn sie sich am Freitag in Bratislava treffen. "Die Geschichte wird sich nicht an uns, sondern an unsere Fehler erinnern", gab der Kommissionschef noch als Altersweisheit zum Besten. Die EU hat nur ein paar Monate Zeit, um ihre Depression zu überwinden und dann - ganz verhalten - zu neuen Ufern aufzubrechen.

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