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Ein heilloses Durcheinander

Joscha Weber Bonn 9577
Joscha Weber
9. August 2016

Misstrauen regiert das Aquatics Stadium in Rio: Schwimmer werden ausgepfiffen, untereinander verweigern sich einige den Handschlag. Schuld am Dilemma ist der Schlingerkurs im Anti-Doping-Kampf, meint Joscha Weber.

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Die Schwimmerinnen Lilly King (l.) und Julija Jefimowa (Foto: Getty)
Gegnerinnen im und neben dem Becken: Lilly King (l.) und Julija JefimowaBild: Getty Images/R. Heathcote

Auf dem Podium herrscht kalter Krieg. Die US-Amerikanerinnen Lilly King und Katie Meili sitzen auf der Pressekonferenz neben ihrer russische Kollegin Julija Jefimowa und würdigen sie keines Blickes. Kein Smalltalk, nicht mal der übliche Handschlag der gegenseitigen Gratulation. Eiszeit im Innern des Schwimmstadions.

"Ich denke nicht, dass Sportler, die erwischt worden sind, wieder antreten dürfen. Aber ich respektiere, dass meine Meinung keine Rolle spielt", sagt Lilly King schnippisch und allen im Raum ist klar, wem diese Spitze gilt: Julija Jefimowa. Die hat in ihrer noch jungen Karriere bereits eine 16-monatige Dopingsperre (Steroide) abgesessen und ist Anfang des Jahres erneut positiv getestet worden (Meldonium). Der Schwimm-Weltverband FINA sperrte die 24-Jährige aus Grosny, das Internationale Olympische Komitee (IOC) wollte sie darauf hin von den Spielen in Rio ausschließen, aber der Internationale Sportgerichtshof (CAS) kippte die IOC-Regel wonach alle russischen Rio-Kandidaten, die jemals einen Dopingverstoß begangen hatten, von den Spielen ausgeschlossen werden sollen. Ein heilloses Durcheinander.

Joscha Weber (Foto: DW)
DW-Sportredakteur Joscha Weber: "Der Sport hat sich im eigenen Regelwerk-Dickicht verrannt"

Gift für die olympische Stimmung

Der Sport hat sich im eigenen Regelwerk-Dickicht verrannt. Keiner scheint derzeit einen Ausweg zu wissen. Und das während des Weltfests des Sports - eine Schande. Die ganze Hilflosigkeit der nur so genannten "Olympic Family" manifestiert sich derzeit im Olympischen Schwimmstadion. Julija Jefimowa wird vor ihren Wettkämpfen vom Publikum ausgepfiffen. Sie holt am Ende dennoch über 100 Meter Brust Silber und ist trotzdem am Boden zerstört. Weinend läuft sie durch die Kabinengänge und verkriecht sich erst einmal in der Kabine. Nach der Siegerehrung muss sie zur obligatorischen Pressekonferenz. "Es war sehr schwer, heute zu schwimmen", sagt sie und kämpft erneut mit den Tränen. "Es ist sehr schade, wenn Politik den Sport zerstört. Vielleicht versuchen gewisse Kräfte, Russland zu schaden und missbrauchen den Sport dafür."

Natürlich sind das Verschwörungstheorien. Das staatliche Dopingsystem in Russland ist hinreichend dokumentiert. Aber Jefimowas Fall zeigt eben auch, in welche Situation Sportpolitiker den Sport und die Athleten gebracht haben. Es herrscht überall Misstrauen. Und das ist Gift für die Stimmung bei diesen Spielen. So sagte der australische Olympiasieger Mack Horton mit Blick auf den Chinesen Sun Yang demonstrativ, er habe "keine Zeit für Doping-Betrüger". Yang ist frisch gebackener Olympiasieger über 200 Meter Freistil und wurde ebenfalls vom Publikum ausgepfiffen. Der Grund: 2014 wurde bei ihm ein verbotenes Stimulanzmittel gefunden, und er erhielt eine lächerliche Sperre von drei Monaten - in der wettkampffreien Zeit.

Brasilien Olympische Spiele in Rio - Schwimmerinn Julija Andrejewna Jefimowa (Foto: dpa)
Julija Jefimowa hat bereits zwei positive Dopingtests abgegeben, darf aber dennoch in Rio startenBild: picture-alliance/dpa/M. Kappeler

Es ist an der Zeit für ein einheitliches Regelwerk

Solche seltsamen Entscheidungen sind es, die dem Sport nachhaltig geschadet haben. Das IOC, die Fachverbände, selbst manche Anti-Doping-Agenturen agieren bisweilen willkürlich, schieben sich gegenseitig die Verantwortung zu und kreieren so ein Klima des Misstrauens. Paul Biedermann brachte es auf den Punkt: "Es ist nicht der Athlet, der die Schuld dafür trägt, sondern das System." Recht hat er. Der weltweite Anti-Doping-Kampf gleicht derzeit einem Lotteriespiel. Niemand kann sagen, was am Ende herauskommt. Bei Olympia dürfen fast alle Russen starten, bei den Paralympics kein einziger. Es ist an der Zeit für ein einheitliches Regelwerk, für ein endlich konsequentes Durchgreifen und vor allem für eine tatsächlich unabhängige Instanz, die für alle Sportarten Dopingvergehen ahndet.

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Joscha Weber Bonn 9577
Joscha Weber Was ist echt? Und was nicht? Darauf sucht Faktenchecker Joscha Weber täglich Antworten.@joschaweber