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Kommentar: Türkei als Vorbild?

Rolf Mützenich (SPD)13. April 2012

Ankara strebt im Nahen Osten nach einer Vormachtstellung. Aber könnte das Land auch ein Vorbild für die Länder des "Arabischen Frühlings“ sein? Ein Gastkommentar von Rolf Mützenich (SPD).

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Rolf Mützenich (SPD)spricht am Freitag (18.03.2011)im Bundestag in Berlin während der Debatte über die Entscheidung des UN-Sicherheitsrates zu einem Flugverbot über Libyen. Deutschland will sich an einem Militäreinsatz in Libyen nicht beteiligen. Foto: Michael Kappeler dpa +++(c) dpa - Bildfunk+++
Rolf Mützenich SPD im BundestagBild: picture-alliance/dpa

Nach den Umbrüchen in der arabischen Welt ist allerorten die Rede vom "Vorbild Türkei". Das scheint auf den ersten Blick plausibel. Die Türkei ist eine Demokratie und ein Rechtsstaat. Das Land besitzt eine säkulare Verfassung, hat erprobte Institutionen und kann auf eine erfolgreiche wirtschaftliche Entwicklung zumindest in den vergangenen zehn Jahren verweisen. Und: Ihre Bewohner sind zu 98 Prozent Muslime. Es ist zudem unübersehbar, dass die Türkei auch als Regionalmacht Gewicht gewonnen hat – dank ihrer enorm gewachsenen Wirtschaftskraft, aber auch wegen der inneren Stabilität und den Reformen, die der islamisch-konservative Premier Recep Tayyip Erdogan seit 2002 umgesetzt hat.

Eines sollte man dabei jedoch nicht aus den Augen verlieren: Das türkische Modell ist ohne Zweifel ein historisch erfolgreiches, dass jedoch nicht eins zu eins übertragbar ist. Jedes Land muss hier seinen eigenen Weg gehen.

Die Türkei und die arabischen Welt – ein zwiespältiges Verhältnis

Die Jahrhunderte osmanischer Herrschaft in den heutigen Ländern Arabiens sind durchaus noch präsent im kollektiven Gedächtnis der arabischen Welt. Trotz der gemeinsamen Religion bestehen die kulturellen Unterschiede zwischen Türken und Arabern fort und bedingen bei letzteren Ressentiments gegenüber einer zu starken türkischen Dominanz in der Region. Nichtsdestotrotz wurde Erdogans Rundreise durch Ägypten, Tunesien und Libyen 2011 zum Triumphzug für den türkischen Regierungschef. Erdogans Popularität in der arabischen Welt gründet sich auch auf seine harte Haltung gegenüber Israel und den USA während des Irak-Krieges 2003. Darüber sollte man jedoch nicht vergessen, dass es Erdogan war, der einst die Türen zu Israel weit geöffnet hatte.

Kommentar Deutsch (Bild: DW)

Als Modell dürfte die Türkei hingegen nicht nur Bewunderung, sondern eben soviel Angst einflößen. Das gilt besonders für das ägyptische Militär, das nur mit Sorge darauf blicken kann, wie stark die Rolle des Militärs in der Türkei im vergangenen Jahrzehnt zurückgedrängt wurde.

Regionalmacht mit Softpower

Die Türkei strebt danach, sich in der arabischen Welt als moderne Führungsmacht zu empfehlen – und damit auch als Alternative zu den bisherigen Hauptrivalen um die Vorherrschaft in der Region: Saudi-Arabien und Iran, die beide fest im Griff religiös-fundamentalistischer Regime sind. Es liegt auf der Hand, dass die Türkei die Chance nützt, sich im Schatten der arabischen Revolution als wichtiger Akteur zu positionieren. Dabei geht es auch um wirtschaftliche Interessen.

Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, Meinungsfreiheit und soziale Rechte sind universelle Werte, für die unter anderem die Menschen in Ägypten gekämpft haben und die keines muslimischen, christlichen oder anderen religiösen Vorzeichens bedürfen. Erfahren die Menschen Nordafrikas nach dem Abgang der Despoten nicht die erhofften Verbesserungen, droht eine Hinwendung zu islamistisch-konservativen Heilspredigern. Europa wäre gut beraten, einer solchen Entwicklung in enger Zusammenarbeit mit der Türkei entgegen zu wirken.

Dr. Rolf Mützenich ist außenpolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion.