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Politik

Die Bienenrevolte

Kerstin Schweizer Kommentarbild App PROVISORISCH
Kerstin Schweizer
14. Februar 2019

Bayern, international bekannt für Lederhosen, Dirndl und Gemütlichkeit, steht kurz vor einer landesweiten Wirtshausschlägerei. Grund ist ein Volksbegehren, das Landwirte per Gesetz zu mehr Artenschutz verpflichtet.

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Deutschland Demonstration Rettet die Bienen
Bild: picture-alliance/ZumaPress/S. Babbar

"Es ist ein spektakulärer Erfolg. Ein Wendepunkt im Natur- und Artenschutz in Bayern". Norbert Schäffer, Vorsitzender des Landesbundes für Vogelschutz hat allen Grund, "sehr, sehr glücklich" zu sein. Die Initiative "Volksbegehren Artenvielfalt - Rettet die Bienen und Bauern", die sein Verband mit trägt, hat mehr als zehn Prozent der bayerischen Wählerschaft aus ihren warmen Wohnzimmern in die Rathäuser getrieben. Dort standen sie bei winterlichen Temperaturen in teils langen Schlangen an, um mit ihrer Unterschrift den Gesetzesentwurf für mehr Artenschutz in Bayern zu unterstützen. Der hat es in sich. Zumindest aus Sicht der Landwirtschaft. Mindestens 30 Prozent der Fläche soll künftig ökologisch bewirtschaftet werden. Derzeit sind es gerade mal zehn Prozent. Es geht um die Schaffung von Lebensräumen für Tiere, die landesweit über alle Äcker hinweg vernetzt werden müssen. Dazu Blühstreifen, Hecken, ein späteres Mähen der Wiesen, weniger Spritzmittel. Und warum das alles? Wegen des Insektensterbens. In manchen Regionen Bayerns seien die Bestände an Schmetterlingen um bis zu 90 Prozent zurückgegangen, sagt die Initiative. Die Zahl der Vögel hätte sich in 30 Jahren halbiert.

Bauernbashing?

Es ist nicht überraschend, dass der Bauernverband auf die Barrikaden geht. "Enteignung", heißt es aus München, "Bauernbashing".

Der Konflikt zwischen Städtern und Landwirten ist nicht neu, aber er wird härter: Glyphosat, Massentierhaltung, Antibiotikaeinsatz, Ferkelkastration. Immer häufiger gelangen landwirtschaftliche Themen in die öffentliche Kritik. Der Buhmann: fast immer der Landwirt. Zu Recht? Jein.

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DW-Redakteurin Kerstin Schweizer

Auf der einen Seite ist Landwirtschaft in Deutschland ein Randthema. Nur 1,4 Prozent der Beschäftigten arbeiten im Agrarsektor. Gleichzeitig aber dominiert die Branche unser Leben wie keine andere Branche. Landwirte produzieren unser tägliches Essen. Und sie prägen unsere Landschaft. Über 80 Prozent von Deutschlands Fläche sind Äcker und Wald. Landwirtschaft geht also alle an. Wer aber ist verantwortlich dafür, wie das Land bestellt wird? Allein die Bauern?

Wie kaum eine andere Branche ist die Landwirtschaft staatlich reguliert. Jedes Gramm Dünger, jedes Saatkorn, jedes Ferkel muss dokumentiert werden. Dazu prägen gewaltige Geldströme aus Brüssel die Art und Weise, wie produziert wird. Es ist also keinesfalls so, dass Landwirte tun und lassen können, was sie wollen. Es ist die Entscheidung der Politik. Und letztendlich sind es auch die Verbraucher, die durch ihr Kaufverhalten bestimmen, wie ein Bauer wirtschaftet.

Katastrophale Regulierung

Die Bilanz all der staatlichen Regulierung: katastrophal! Vor allem für die Umwelt. In Deutschland hat sich die Zahl der Insekten in den letzten 30 Jahren um 76 Prozent verringert, so eine Studie deutscher, britischer und niederländischer Wissenschaftler. Woanders sieht es nicht besser aus. Erstmals wurden im Wissenschaftsjournal Biological Conservation weltweite Studien ausgewertet. "Der Insektenschwund ist schockierend", so Mitautor Francisco Sánchez-Bayo in einem Interview mit dem "Guardian". Und: "In zehn Jahren werden wir ein weiteres Viertel verloren haben, in 50 Jahren die Hälfte, in 100 Jahren wird es keine Insekten mehr geben." Schuld daran: in erster Linie die industrielle Landwirtschaft. Es muss dringend etwas passieren.

Derzeit wird in Brüssel die Landwirtschaftspolitik ab 2020 verhandelt. Es besteht die große Chance, die Fehler der Vergangenheit nicht zu wiederholen. Es gibt derzeit allerdings nur marginale Verschiebungen in Richtung Umweltschutz. Der Gedanke, dass öffentliche Gelder auch öffentliche Leistungen verlangen, ist immer noch nicht genügend angekommen, kritisieren Umweltverbände. Die Revolution bleibt aus. Vielleicht kommt sie nun von unten, mit Startschuss aus Bayern? Dass der Gesetzesentwurf des Volksbegehrens eins zu eins umgesetzt wird, ist eher unwahrscheinlich. Die Vorlage geht erstmal in den Landtag. Ende Februar gibt es Gespräche mit der Landesregierung. Aber: Das Votum der Bevölkerung liegt auf dem Tisch und muss von der Politik aufgegriffen werden. Und womöglich bleibt Bayern nicht das einzige Bundesland, in dem die Wähler mehr Artenschutz erzwingen. "Ich hatte heute morgen bereits Anfragen von drei weiteren Bundesländern", erzählt Vogelschützer Norbert Schäffer munter am Telefon.