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Die Bahn streikt, na und?

5. Mai 2015

Sechs Tage bleiben die Züge stehen, es wird der längste Bahnstreik in Deutschland. Das klingt alarmierend. Doch die ganze Aufregung um diesen Arbeitskampf ist überflüssig, findet Volker Wagener.

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Deutschland - Bahnstreik - Das Gute daran
Bild: picture-alliance/dpa/J. Stratenschulte

Mal ganz ehrlich: Haben wir sonst keine Probleme, als uns über das bisschen Bahnstreik aufzuregen? Der übrigens legal und legitim ist. Eine Gewerkschaft kämpft nicht für das Allgemeinwohl, sie kämpft für ihre Interessen. Da mögen wir noch so wütend schnauben. Ich finde es geradezu animierend, dass ein paar Lokführer unsere Lebensgeister erwecken und uns allen Gelegenheit bieten, verkümmerte Improvisationskünste zu testen. In einer Republik, in der alles pedantisch-bürokratisch geregelt ist, ist so ein bisschen Bahnstreik schon fast etwas Anarchisches. Und das hat schon per se Unterhaltungswert in einer überregulierten Gesellschaft.

Die Lokführer dürfen das!

Doch der Reihe nach. In Anbetracht der Winzigkeit dieser Lokführergewerkschaft und des Streik-Schadens von einer halben Milliarde Euro (Wer errechnet das übrigens?) fragen wir uns: Ja geht denn das? Und dürfen die das? Ja, die dürfen! Sehen wir mal für einen Augenblick darüber hinweg, dass es hier um berechtigte Anliegen einer eher schlecht bezahlten Mini-Berufsgruppe, allerdings einer Funktionselite, geht. Und lassen wir mal die Frage links liegen, warum die Gewerkschaft GDL partout nicht unter das Dach der größeren Branchengewerkschaft EVG will. Denn das ist ein Kernpunkt des Arbeitskampfes, dass die kleine GDL selbst Tarifverträge aushandeln will.

Jenseits dieses sehr grundsätzlichen Fingerhakelns bleibt die Erkenntnis: Streiken zu können, ist ein Gütezeichen einer Demokratie. Und als solche sehen wir uns. Doch Streik klingt irgendwie undeutsch. Eher griechisch oder italienisch. Es schwingt ein Unterton mit, der nicht so recht zu den nationalspezifischen Tugenden passen will, die uns nachgesagt werden: Ordnung, Arbeitsethos, Konsensorientierung.

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DW-Redakteur Volker Wagener.

Doch die Lokführer streiken schon zum achten Mal seit September. Dabei bietet die Bahn inzwischen 4,7 Prozent und 1000 Euro extra. Aber es geht ja gar nicht so sehr ums Geld. Es geht um die Eigenständigkeit einer zwergenhaften Gewerkschaft, die für die Interessen ihrer paar Tausend Mitglieder eine ganze mobile Nation in Geiselhaft nimmt. Doch wer vor diesem Hintergrund nun vom Chaos auf den Bahnsteigen, von der verkehrstechnischen Katastrophe spricht, dem sei gesagt: Es ist alles in Ordnung. Wir kriegen das schon hin!

Keine Panik an der Bahnsteigkante

Und wie. Arbeitgeber spendieren kostenlose Tiefgaragenplätze. Nachbarn reden wieder miteinander und fahren gemeinsam ins Büro, die Mietwagenbranche boomt, die Mitfahrzentralen auch - und die Fernbussparte sowieso. Und die Güter kommen von der Schiene aufs Wasser - und die Straße. Zumindest vorübergehend. Was bleibt, sind Staus, Verspätungen und einige ausgefallene Reisen zum Spartarif am Wochenende für Tante Käthe, Onkel Willy samt Hund und Katz. Das ist alles verkraftbar. Und wo Unternehmen Geld verlieren, weil die Güterzüge in den Depots bleiben, verdienen andere.

Streiks in Deutschland bringen weder Industrie und Wirtschaft in Gefahr, noch bedeuten sie einen Anschlag auf die viel gepriesenen Rechte von mir, dir und anderen in unserer mobilen Gesellschaft. Streiks in unserer ungebremsten Selbstverwirklichungsgesellschaft erfreuen niemanden. Doch sie sind kein Grund für Hysterie an der Bahnsteigkante. In einem Land, das für mehr als jeden zweiten ein Auto parat hält, bedeutet Streik keine Lähmung - weder privat noch wirtschaftlich. Es gilt, locker zu bleiben. Vieles, was wir heute zu unseren Grundrechten zählen, wurde einmal durch Streiks durchgesetzt. Diesen Arbeitskampf stecken wir lässig weg.

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Volker Wagener Redakteur und Autor der DW Programs for Europe