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Kopftuch an der Uni

Baha Güngör20. September 2007

Der türkische Ministerpräsident Erdogan will das Kopftuchverbot an türkischen Unis abschaffen. Die Politik der zugespitzten Polarisierung könnte zu schweren innenpolitische Krisen führen, meint Baha Güngör.

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Themenbild Kommentar
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DW-Experte Baha Güngör (Foto:DW)
Baha Güngör

Alleinregierung ist eine Sache, Alleinherrschaft eine andere. Es ist keine Frage, dass sich die Türkei mit der Verfassung der Militärs aus dem Jahre 1982 keine Hoffnungen darauf machen konnte, den Heranführungsprozess an die Europäische Union erneut zu beschleunigen. Dennoch wäre eine Ruhepause nach den schweren innenpolitischen Krisen dieses Jahres angebracht gewesen. Besser als die Spannungen zwischen den religiösen und weltlich orientierten Lagern auf die Spitze zu treiben.

Vollbärtige Sektenjünglinge

Recep Tayyip Erdogan ist Ministerpräsident des an westlichen und weltlichen Werten orientierten Nato-Staates Türkei - und nicht der Sultan eines islamischen Landes. Die von ihm entfachten und offenkundig überhitzten Debatten über das Kopftuchverbot

und die im Alleingang zusammengesetzte Verfassungskommission ohne Einbeziehung von Opposition und Vertretern anderer Gesellschaftsgruppen als die der AKP nahe stehenden verheißen keine guten Zeiten.

Die neue Verfassung der Türkei sollte sich darauf konzentrieren, der Türkei eine sichere demokratische Zukunft und ihren Bürgern elementare Rechte wie beispielsweise Gewerkschaftsfreiheiten und nicht zuletzt die Mündigkeit der Bürger zu garantieren, die die Militärs eingeschränkt hatten. Wenn die Rektoren Bedenken wegen der geplanten Aufhebung des Kopftuchverbots an ihren Universitäten äußern, sollten diese Bedenken nicht mit halbstarken Sprüchen zurückgewiesen, sondern ernst genommen werden. Die Angst ist nicht unberechtigt, dass mit der Aufhebung des Kopftuchverbots morgen auch noch Gesichtsverschleierung oder vollbärtigen Sektenjünglingen mit langen Gewändern Tür und Tor geöffnet werden könnte.

Hohn, Spott und Beschimpfungen

Es geht noch weiter: Aus vielen größeren Städten kommen Berichte, nach denen der Alkoholverkauf ganz normale Lebensmittelmärkte zum Ziel des Mobs machen. Wer im heiligen Fastenmonat Ramadan nicht fastet, kann sich kaum mehr rauchend oder trinkend in der Öffentlichkeit zeigen, ohne mindestens und günstigstenfalls beschimpft zu werden. Derweil liefert die Entwicklung in der Türkei genau das Bild, das zur Ablehnung dieses Landes in Europa dient.

Die Atmosphäre in der Türkei ist vergiftet. Die Verantwortung dafür trägt Erdogan, weil er mit dem Feuer spielt. Allein schon die Absicht, die kurdische Sprache als eine Fremdsprache oder Religion als Pflichtfach zu erklären, ist eine völlig unnötige Provokation von Kurden ebenso wie von weltlich orientierten Eltern. Kurdisch ist die Muttersprache einer großen Bevölkerungsgruppe in der Türkei und verdient eine andere Bezeichnung als Fremdsprache. Auch das Angebot an die Eltern, die Befreiung ihrer Kinder vom Religionsunterricht zu beantragen, ist eine Farce. Bei der im Lande um sich greifenden Stimmung wird es kaum Eltern geben, die es riskieren werden, sich und ihre Kinder Hohn, Spott und Beschimpfungen auszusetzen.

Fortentwicklung der Demokratie?

Es ist zu wünschen, dass Staatspräsident Abdullah Gül sich seiner Verantwortung bewusst wird und als Präsident aller Türken den Provokationen Erdogans einen Riegel vorschiebt. Zu wünschen ist auch, dass sich Erdogan der Tatsache bewusst ist, dass er Ministerpräsident an der Spitze einer alleine regierenden Partei ist, deren Aufgabe nur die Fortentwicklung der Demokratie in Richtung Europa und des wirtschaftlichen Aufschwungs sein sollte. Wenn er sich recht bald eines Besseren besinnt und die Gemüter abkühlen, könnte er als der Politiker der Türkei in die Geschichte eingehen, der seinem Land eine sichere Zukunft in den Reihen der prosperierenden Demokratien Europas gesichert hat. Noch hat er die Chance dazu.