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Deutschland ist kein Titelfavorit bei der EM

Jonathan Harding 1326 Latin Bonn 201503 18
Jonathan Harding
21. November 2019

Die DFB-Elf spielt bei der EM 2020 nicht um den Titel mit, und das ist angesichts des Entwicklungsstandes des Teams auch normal. Der aktuellen Mannschaft fehlt es noch in zwei Schlüsselbereichen, meint Jonathan Harding.

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EM Quali Deutschland Weißrussland
Bild: Imago-Images/J. Huebner

Deutschland mag seine EM-Qualifikationsgruppe zwar auf Platz eins abgeschlossen haben und im zu Ende gehenden Jahr 2019 nur einmal verloren haben, doch dazu, bei der Europameisterschaft im nächsten Sommer ernsthaft um den Titel mitspielen zu können, wird es nicht reichen. Angesichts dessen, dass sich die DFB-Elf erst in der ersten Phase ihres Entwicklungsprozesses befindet, ist das nicht mehr, aber auch nicht weniger, was sie erreichen kann.

Sowohl Joachim Löw als auch Deutschland haben sich von dem WM-Debakel im vergangenen Jahr in Russland etwas erholt. Der Bundestrainer hat seitdem das Gesicht der Mannschaft und deren Spielstil verändert. Doch nun, da die Europameisterschaft näher kommt, wird immer deutlicher, dass das neue Fußball-Deutschland erst den ersten Schritt in seinem Wiederaufbau gemacht hat.

In Serge Gnabry haben Deutschland (und Löw) endlich den explosiven Stürmer, nach dem sie gesucht haben, gefunden - da Timo Werner diese Rolle nicht ausfüllen konnte. Das Mittelfeldquartett mit Toni Kroos, Joshua Kimmich, Ilkay Gündogan und Leon Goretzka beginnt sich zu festigen, wechselt die Rollen und Positionen in den Spielen immer routinierter. Die Entscheidung, Kimmich von der Rechtsverteidigerposition abzuziehen, war mutig, da er dort immer erfolgreich war. Doch mit jedem Pass, den er spielt, sieht er sowohl als Spielmacher als auch als Mittelfeldspieler zunehmend besser aus. Kroos und Gündogan werden zwar nie die Führungsrolle einnehmen, wie es Bastian Schweinsteiger einst tat, aber dank Goretzkas Schussvermögen hat Deutschland erstmals seit Michael Ballack wieder einen torgefährlichen Mittelfeldspieler.

Die ersten Schritte, mehr nicht

Löws Versuch, die DFB-Elf dazu zu bringen, mehr auf Angriff zu spielen und nicht den behäbigen Ballbesitzfußball, der ihr in Russland so teuer zu stehen kam, zahlt sich allmählich aus. Die jüngsten Erfolge, auch wenn sie gegen schwächere Gegner eingefahren wurden, sind wichtig für die Einheit des Teams und tragen dazu bei, dass die Unsicherheit vom Anfang des Jahres immer weiter aus den Köpfen verschwindet.

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DW-Sportredakteur Jonathan HardingBild: DW/P.Henriksen

Dennoch befindet sich die Mannschaft in ihrer Entwicklung noch im Anfangsstadium. Viele Verletzungen haben Löw daran gehindert, sein Team mehr als nur im Kern zu verändern. Und es braucht Zeit, bis eine neue Elf einen neuen Fußballstil spielt - besonders nach so turbulenten 18 Monaten. Hinzu kommt, dass es in Deutschland an Topspielern in der Verteidigung mangelt.

Da Niklas Süle, Deutschlands bester Defensivspieler, für die EURO 2020 wahrscheinlich verletzungsbedingt ausfällt und sich Löw konstant weigert, die Topform, die Mats Hummels im Verein Woche für Woche unter Beweis stellt, anzuerkennen, gibt es im Verteidigungszentrum der Nationalmannschaft wenig Stabilität oder herausragende Qualität. Matthias Ginter hat sich ohne Frage gesteigert, hinter allen anderen Optionen aber stehen zu viele Fragezeichen. Der größte Trost für alle ist, dass Manuel Neuer im deutschen Tor zur alten Form zurückgefunden hat - nun, für alle, außer für Marc-Andre ter Stegen.

Das Ziel ist nicht die EM

Die EM wird ein wichtiger Schritt für die deutsche Fußball-Nationalmannschaft im Hinblick auf die Weltmeisterschaft 2022 in Katar sein. Das Kontinentalturnier in Europa wird Bundestrainer Löw, oder wer auch immer dann die DFB-Elf anführt, eine große Hilfe dabei sein, die Spieler zueinander zu führen und sie zwei Jahre später auf dem Höhepunkt ihrer Leistung zu haben. Im Moment fehlt es Deutschland noch an Qualität in der Verteidigung und an Zeit, seine neue Art des Fußballspiels entscheidend weiterzuentwickeln und zu perfektionieren.

Sollte das ein oder andere Talent über sich hinauswachsen, könnte bei der EM auch Finale drin sein, aber das wäre schon höchst überraschend. Das Erreichen des Viertel- oder Halbfinales erscheint da schon wesentlich realistischer. Und, Hand aufs Herz, das ist auch in Ordnung so. Wir werden kein goldenes Zeitalter des deutschen Fußballs erleben, aber auch nicht die Enttäuschung des vergangenen Jahres. Der Grundstein für eine neue Nationalmannschaft ist gelegt. Jetzt ist die Zeit, darauf aufzubauen.