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Documenta-Bilanz

Ramón García-Ziemsen23. September 2007

Die Documenta als wichtigste Ausstellung für Gegenwartskunst ist zu Ende: Schön war sie nicht, findet Ramón García-Ziemsen. Aber das darf sie auch nicht. Sie soll wirken.

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Bild: DW

Schön war es nicht. Aber der Begriff der Schönheit hat in der neuen Welt der Kunst so viel Bedeutung wie der Begriff Gemüse für einen Kannibalen. Es geht darum, Sehgewohnheiten zu verändern, Zusammenhänge herzustellen, Erkenntnisgewitter auszulösen. Medizin muss nicht schmecken - das Sprichwort sagt: Nur wenn sie bitter schmeckt, wirkt sie. Und so betrachtet war die Documenta 12, der Höhepunkt des großen Kunstsommers 2007, ein voller Erfolg. Zu sehen gab es unter anderem eine schlecht ausgestopfte Giraffe aus dem Westjordanland, die den Nahostkonflikt versinnbildlichen sollte. Dann war da die Skulptur aus alten chinesischen Türen, die ein Sturm einbrechen ließ. Ai Weiwei, der zuständige Künstler, nahm es gelassen und freute sich darüber, dass sich der Preis seines Werkes soeben verdoppelt hatte. Merke: Auch die Panne ist Kunst. Und: Kunst kommt von Kommunikation. Keine neue, aber ein wichtige Erkenntnis: Das Werk spricht nicht aus sich selbst - es muss darüber gesprochen werden.

Auf aktuelle Kunsthelden verzichtet

Ramón García-Ziemsen, Foto: DW
Ramón García-Ziemsen, Leiter der Kulturredaktion von DW-Radio

Die Documenta hatte mit riesigen Erwartungen begonnen, es stünde nichts weniger als "eine künstlerische Weltrevolution bevor" - war zum Beispiel zu lesen. Die Revolution kam nicht, die Documenta hat, vor allem im Ausland, wütende Proteste ausgelöst: Betroffenheitskitsch, Belanglosigkeit, Langeweile. Ein namhafter englischer Kritiker sprach von der schlechtesten Ausstellung, die er je gesehen habe. Das lag auch daran, dass die Kuratoren der Documenta ganz bewusst auf die aktuellen Kunsthelden verzichtet haben, auf Künstler wie Damian Hirst oder die deutschen Superstars Neo Rauch und Daniel Richter, deren Bilder schon verkauft sind, bevor sie trocken werden.

Aber war es ein Fehler, die Prominenz nicht einzuladen? Man mag sich über die Theorieüberladung ärgern, ja, aber das ehrt die Macher der Documenta und auch die der Skulpturprojekte in Münster: Der Versuch, sich von den Moden des Kunstbetriebes abzugrenzen, der jeden zum Star macht, sobald nur ein russischer Öl-Milliardär auftaucht und Unsummen für Künstler ausgibt, die gestern keiner kannte und morgen keiner kennen wird. Die Documenta bot ein riesiges Repertoire mit 500 oft sehr politischen Werken von Künstlern auch aus Afrika, Lateinamerika, Asien. Da gab es viel zu entdecken.

Sehgewohnheiten verändern, das hieß diesmal auch, sich darauf einzulassen, wie ein afrikanischer Künstler mit dem Thema Migration umgeht oder eine Künstlerin aus Argentinien mit dem Thema sexuelle Gewalt. Eine kleine Randbemerkung: 50 Prozent der ausgestellten Künstler waren weiblich – womit wohl endgültig mit dem Vorurteil aufgeräumt ist, dass es nur wenige gute Künstlerinnen gibt.

Weltstadtpublikum in der deutschen Provinz

Interessant ist auch, dass diese "schlechteste Ausstellung" so viele Menschen sehen wollten, wie nie zuvor. Menschen aus aller Welt tummelten sich in Kassel, allein das ist ein Erlebnis, ein Weltstadtpublikum in einer deutschen Provinzstadt zu erleben. Altbekannt, aber immer wieder besonders: Kassel, Münster - es sind Provinzstädte, in die Hunderttausende strömen. Kultur in Deutschland funktioniert dezentral, es muss nicht immer Berlin, Hamburg oder München sein. Dabei gilt generell - dies nur nochmal als Erinnerung - Deutschland setzt in Sachen Kunst Trends: Kein anderes Land hat eine so hohe Dichte an Museen und wichtigen Ausstellungen. Und Kunst aus Deutschland gehört längst zu der teuersten überhaupt. In der Kunstszene gibt es den Satz: Mögen die Werke an Deck aus den USA kommen, im Maschinenraum der Kunst spricht man deutsch.

Was in diesem Kunstsommer so deutlich wurde wie nie zuvor: Es ist längst nicht mehr ausschließlich das klassische, etwas ältere Bildungsbürgertum, das sich für Kunst und den Kunstboom interessiert – vor allem für junge Menschen ist Kunst ein Massenphänomen. Sicher, das hat mit den unglaublichen Summen zu tun, die heute für Kunst bezahlt werden, damit, dass Künstler einen Glamour verbreiten wie früher nur Pop- oder Hollywoodstars. Stars wie Damian Hirst haben es vom belächelten Spezialmagazin für Kunstinteressierte längst ins Boulevard geschafft. Überall ist zu lesen, welcher Filmschauspieler gerade welchen Künstler zu welchem Preis gekauft hat. Kurz: Kunst ist schick.

Aber da ist noch mehr: In einer kontrollierten und überwachten Welt ist der Künstler mit seinen Marotten, seiner Unberechenbarkeit, seiner grundsätzlichen Verweigerungshaltung eine Sehnsuchtsfigur: Seht, ich mag zwar ein langweiliges Leben führen, aber es geht auch anders. Junge Leute, die sich für Mode und Stil begeistern, begeistern sich zwangsläufig auch für moderne Kunst. Und das, obwohl Kunst, die Provokation sucht, die versucht komplexe Wahrnehmungstheorien zu thematisieren, Kunst wie sie in Kassel zu sehen war, es dem Publikum nicht leicht macht.

Die Macher der Documenta haben den Mut bewiesen, die richtigen Fragen zu formulieren und Zusammenhänge zu erklären. Und so bleibt als Fazit dieses sommerlichen Kunstmärchens: Schön war es nicht. Das kann es auch gar nicht sein. Aber es hat geholfen.