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Der (un)berechenbare Präsident

Reinhard Baumgarten - Foto: Kluge (SWR)
Reinhard Baumgarten
2. August 2015

Der Krieg gegen die PKK ist die Fortsetzung der Kurdenpolitik des türkischen Präsidenten mit anderen Mitteln. Der ist nicht gänzlich gegen den Friedensprozess - aber nur zu seinen Bedingungen, meint Reinhard Baumgarten.

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Recep Tayyip Erdogan - Foto: Gokhan Tan (Getty Images)
Bild: Getty Images/G. Tan

Was macht Recep Tayyip Erdogan so berechenbar unberechenbar? Er spricht bei jeder sich bietenden Gelegenheit mit Inbrunst von Demokratie. Wenn es dann zum Schwur kommt, wenn es um die Anwendung allgemeingültiger demokratischer Spielregeln und Grundprinzipien geht, dann folgt der 61-Jährige gerne eigenen Regeln.

Jüngstes Beispiel: der Umgang mit dem Ausgang der Parlamentswahl vom 7. Juni. Wie hat sich der Präsident, der gar nicht zur Wahl stand, ins Zeug gelegt! Und dann muss er die bitterste Niederlage seiner Karriere hinnehmen. Seine AKP, zu der er laut Verfassung als Präsident eine neutrale Haltung einzunehmen hat, verliert bei dieser Wahl die absolute Mehrheit. Und das vor allem, weil die prokurdische HDP mit 80 Mandaten ins Parlament einzieht.

Terroranschlag war nur Auslöser

Was hat das mit dem Hier und Jetzt zu tun? Der massive Waffengang des türkischen Militärs gegen die PKK ist eine direkte Folge davon. Erdogan will diese Schmach tilgen. Er will die alten Machtverhältnisse wieder herstellen.

Reinhard Baumgarten - Foto: Kluge (SWR)
Türkei-Korrespondent Reinhard BaumgartenBild: SWR/Kluge

Vieles deutet darauf hin, dass die Luftangriffe gegen die PKK von langer Hand geplant waren. Der Terroranschlag in der Grenzstadt Suruc sowie ein der PKK zugeschriebener Racheakt an zwei Polizisten waren nur die Auslöser. Erdogan will die PKK in Grund und Boden bomben. Das ist aber nur eine Zwischenstation.

Sicher geht es ihm auch darum, die Guerilla-Truppe zu zermörsern. Aber sein wichtigeres Ziel besteht darin, die prokurdische HDP auszuschalten. Diese Partei kann ihm und seinen Machtansprüchen weitaus gefährlicher werden als die weniger als 4000 aktiven Kämpfer der PKK. Mit der PKK wäre ein Frieden in absehbarer Zeit möglich gewesen. Deshalb hat die prokurdische HDP so viele Stimmen bekommen. Der zweite wichtige Grund dafür war: Erdogans Machtgier sollte gestoppt werden.

Vielen Wählern war klar, worum es bei dem Urnengang ging: Bekommt die AKP die von Erdogan erhoffte Zweidrittelmehrheit, dann lässt er sich eine neue Verfassung auf den Leib schneidern. Das geht mit den gegenwärtigen Machtverhältnissen nicht. Aber die können sich ja ändern. Genau dafür bereitet Präsident Erdogan mit Bomben und Raketen auf PKK-Stellungen und der Demütigung der HDP gerade den Boden.

Kein Mann der Kompromisse

Erdogan selbst hat den Friedensprozess mit der PKK Ende 2012 ja entscheidend mit angestoßen. Weil es ihm opportun und nützlich erschien. Doch die sich daraus entwickelnden Hoffnungen und Erwartungen sind von vielen nicht ihm zugeschrieben worden, sondern der prokurdischen HDP. Erdogan erkennt die Gefahr von Konkurrenten schnell. Er ist ein Mann mit einem unglaublich stark ausgeprägten Machtinstinkt. Aber er ist kein Mann der Kompromisse. Konsens und Dialog sind nicht sein Ding. Sie entsprechen nicht seiner politischen Kultur.

Die PKK und die HDP sind Erdogans Gegner, deren Ideologie, Menschenbild und Gesellschaftsordnung lehnt er entschieden ab. Die Kurdische Arbeiterpartei PKK hat marxistisch-sozialistische Wurzeln. Die Demokratische Partei der Völker - kurz HDP - spricht Linke und Liberale an. Für Erdogan sind das rote Tücher. Den Grund, die Hörner zu senken und anzugreifen, lieferte der HDP-Erfolg bei den Parlamentswahlen. Hinzu kommt die charismatische Person Selahettin Demirtaş, der so ziemlich das Gegenteil Erdoganscher Politik verkörpert. Erdogan ist bereit, den Friedensprozess mit den Kur­den fortzusetzen. Aber zu seinen Bedingungen und aus einer paternalistischen und gönnerhaften Position der Stärke heraus. Deshalb gilt es jetzt die PKK zu schlagen und den politischen Konkurrenten HDP mit ihrem Chef Demitaş entscheidend zu schwächen. Der Waffengang gegen die PKK ist die Fortsetzung von Erdogans Kurdenpolitik mit anderen Mitteln.

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