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Das Wahlrecht ist für alle da

Kommentarbild Muno Martin
Martin Muno
16. April 2019

Behinderte Menschen mit gerichtlich bestellter Betreuung dürfen an der Europawahl teilnehmen. Das entschied das Bundesverfassungsgericht gegen den Willen der Regierungskoalition. Richtig so, meint Martin Muno.

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Bild: Imago/epd

Was ist eigentlich Demokratie? Es bedeutet, dass die Herrschaft vom Volk ausgeübt wird. Jede Bürgerin, jeder Bürger darf sich in den politischen Willensbildungsprozess einbringen - und darf wählen und dadurch die Macht für festgelegte Zeit an einen Vertreter übertragen. Jeder Bürger? Bislang stimmte das nicht. Behinderte oder psychisch kranke Menschen, die unter Betreuung stehen sowie Straftäter, die wegen Schuldunfähigkeit in eine psychiatrischen Klinik eingewiesen wurden, durften das bislang nicht. Eine Ausnahme gab es lediglich bei zwei Landtagswahlen.

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DW-Redakteur Martin Muno

Ein solch pauschaler Ausschluss ist durch nichts zu rechtfertigen. Das erkannte auch die Regierungskoalition und vereinbarte im Koalitionsvertrag vor mehr als einem Jahr eine entsprechende Änderung. Im März beschloss der Bundestag ein inklusives Wahlrecht, das aber erst zum 1. Juli in Kraft treten sollte. Bei der wichtigsten Wahl dieses Jahres - der Europawahl vom 23. bis 26. Mai - wären die Betroffenen nach wie vor ausgeschlossen gewesen. Dass Menschen, die prinzipiell wählen dürfen, an dieser entscheidenden Abstimmung gerade nicht teilnehmen dürfen, sah das höchste deutsche Gericht nicht ein und kassierte die Bestimmung in einer Eilentscheidung.

Warum handelte die Regierung nicht viel früher?

Dass die Bundesregierung nun bei den Vorbereitungen auf die Europawahl unter Zeitdruck gerät, ist selbstverschuldet. Ja, es bleibt sehr wenig Zeit zu entscheiden, wer von den rund 80.000 Betroffenen die Voraussetzungen für eine Wahl überhaupt mitbringt. Das Verfassungsgericht hatte ja selbst den Ausschluss einzelner Personengruppen für rechtmäßig erklärt, wenn bei ihnen "davon auszugehen ist, dass die Möglichkeit der Teilnahme am Kommunikationsprozess zwischen dem Volk und den Staatsorganen nicht in hinreichendem Maße besteht". Das heißt, jemand, der zur Wahl zugelassen wird, sollte geistig in der Lage sein, zwischen den Positionen der einzelnen Parteien zu unterscheiden, um daraus eine eigene Wahlentscheidung abzuleiten. Für eine Überprüfung dessen bleibt tatsächlich sehr wenig Zeit.

Das in der Koalition unstrittige Vorhaben hätte aber deutlich früher auf den Weg gebracht werden können. Es hätte sogar von früheren Bundesregierungen umgesetzt werden müssen - schließlich hatte Deutschland die Behindertenrechtskonvention der Vereinten Nationen unterschrieben, die vor gut zehn Jahren in Kraft trat. Darin wird klargestellt, dass auch Menschen mit Behinderungen ein uneingeschränktes und selbstverständliches Recht auf Teilhabe besitzen.

Von daher war die Entscheidung der Verfassungsrichter nur konsequent. Wenn Demokratie, dann bitte richtig! Und von daher ist der Karlsruher Spruch auch nicht nur gut für Menschen mit Behinderungen, sondern für alle Demokratinnen und Demokraten.

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Martin Muno Digitaler Immigrant mit Interesse an Machtfragen und Populismus