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Politik

Das Problem der unbeweglichen Demokratie

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Jens Thurau
8. August 2019

Alle rufen: Mehr Klimaschutz! Jetzt kommt dazu der Vorschlag, Fleisch höher zu besteuern. Aber auch der wird zerredet, meint Jens Thurau.

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Symbolbild - Hähnchenfleisch - Fleischkonsum
Bild: picture-alliance/U. Baumgarten

Noch so eine Sommerdiskussion: Wie wäre es, auf Fleisch ab sofort den normalen Steuersatz von 19 Prozent zu erheben statt der bisher für Lebensmittel geltenden sieben Prozent? Um mit den so erzielten Steuereinnahmen für mehr Tierwohl zu sorgen und den kranken deutschen Wald aufzuforsten? An dieser Debatte haben sich mittlerweile viele Politiker in Deutschland beteiligt. Den meisten fällt aber nur ein, warum das nicht geht. Steuererhöhungen sind immer schlecht, rufen die Liberalen. Das trifft vor allem die ärmeren Schichten, wenden Politiker der Sozialdemokraten ein. Und so weiter und so fort.

Es geschieht: Nichts!

Tatsächlich würde eine solche Steuererhöhung Fleisch nur minimal verteuern, und es stimmt: Vor allem Menschen mit höherem Einkommen würde der Unterschied gar nicht auffallen. Und trotzdem wird die Debatte mit großer Ernsthaftigkeit geführt, und am Ende steht dann wohl: Es geschieht nichts. Wieder einmal.

Das Thema ist natürlich wirklich ein sehr undankbares für mutige Veränderungen: Deutschland ist ein Fleischland - auch wenn es immer mehr Vegetarier gibt. Vor einigen Jahren mussten das die Grünen bitter erfahren, die im Wahlkampf einen fleischfreien Tag in Kindergärten und öffentlichen Kantinen forderten ("Veggie-Day"). Nur einen einzigen Tag! Aber auch das kostete unzählige Stimmen. So etwas werden die Grünen nie wieder machen, haben sie sich geschworen. 

Polarisierung in Politik und Gesellschaft

Das ist nur ein Beispiel dafür, wie die Politik in der immer komplexer werdenden Demokratie selbst dafür sorgt, dass die Menschen ihrer überdrüssig werden. Klare politische Mehrheitsverhältnisse sind beim sich stark verändernden Parteiensystem immer schwerer hinzukriegen, vielleicht besteht die Bundesregierung deshalb auch bald aus vier Parteien. Die Polarisierung in der Bevölkerung sorgt dafür, dass kaum eine Partei von ihren Standpunkten abweicht, weil nur eine klare Haltung ihr Stimmen bringt.

Nächstes Beispiel: Die Energiewende

Also wird es wohl nichts mit der Steuererhöhung auf Fleisch. Vielleicht ist das ja auch gar keine so gute Idee. Aber bezeichnend ist doch vor allem die Art, wie Politik und Gesellschaft große Veränderungen angehen, von denen doch viele so bitter nötig sind.

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DW-Redakteur Jens Thurau

Anderes Beispiel: Alle Politiker loben die Energiewende, den Umstieg auf Erneuerbare Energien. Aber seitdem es darum geht, dafür auch die Infrastruktur zu schaffen, neue Stromtrassen zu bauen, um den Windstrom aus dem Norden in den industriestarken Süden zu bringen, seitdem stockt das Mammut-Projekt. Die Bürger begehren auf, lokale Politiker schließen sich ihnen an. Zugleich wächst der Widerstand gegen Windmasten, zurzeit werden in Deutschland kaum noch Windräder aufgestellt. Von wegen Energiewende.

Kaum Bewegung

Wie unter solchen Bedingungen in einer Gesellschaft, die sich auf kaum noch einen Konsens einigen kann, so etwa wie eine große Steuer- oder gar eine Rentenreform gelingen kann, bleibt schleierhaft. Dabei wäre vor allem eine neue Alterssicherung bitter notwendig. Was es bräuchte, ist wahrscheinlich das, was früher mal zur guten Politik dazugehörte, aber ziemlich abhanden gekommen ist, auch in der Bevölkerung: Der Wille zum Kompromiss - das große Ganze sehen, Unmögliches möglich machen. Aber die Hoffnung stirbt ja zuletzt.