1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Chimären als Organspender?

Hartl Judith Kommentarbild App
Judith Hartl
3. August 2019

Ein japanischer Forscher darf Mensch-Tier-Mischwesen erschaffen und auf die Welt bringen. Langfristiges Ziel: Organe für Menschen zu produzieren. Die Idee ist gut, meint Judith Hartl, aber dennoch eine Sackgasse.

https://p.dw.com/p/3NFWf
Tier Nase Schweinerüssel
Bild: picture alliance/Chromorange/E. Weingartner

Was ist jetzt mit dieser Chimäre? Diesem Mischwesen aus Mensch und Tier, das der Japaner Hiromitsu Nakauchi nun züchten darf. Und zwar sehr viel länger, als das in Japan bislang erlaubt war: Er darf dieses neue Wesen zur Welt bringen. Das ist das Neue. So etwa das einzig Neue bei dieser Forschung. Denn schon seit vielen Jahren wird in diversen Ländern mit Tieren und menschlichen Zellen experimentiert.

Das Ziel: erst mal ein gutes. Nämlich in Tieren menschliche Organe heranwachsen lassen. Damit hätte man endlich genügend Ersatzorgane. Denn die fehlen - weltweit.

Theoretisch eine gute Idee

Mit der Chimärentechnik funktioniert das. Theoretisch. Denn bei Chimären wachsen die Zellen beider Arten genetisch völlig voneinander getrennt heran. Dadurch können die Chimären-Organe von der einen Art stammen (zum Beispiel vom Menschen), die Hülle aber von der anderen Art - zum Beispiel vom Schwein.

Nur funktioniert das so noch nicht. Aber spinnen wir das mal weiter. Was wäre, wenn wir perfekte Mensch-Schwein-Chimäre hätten? Ich lasse die Vorstellung von Mensch-Schimpansen-Chimäre absichtlich aus. Denn das wäre eine ethische Grenzüberschreitung, die erst einmal unvorstellbar ist. Menschenaffen sind uns einfach zu ähnlich, unsere Gene stimmen zu mehr als 95 Prozent überein.

Bleiben wir also beim Schwein: Schweine mästen wir, Schweine essen wir, Schweine produzieren wir massenweise. Also dürften wir auch keine Bedenken haben, Mensch-Schweine-Chimären herzustellen. Sie würden genauso aussehen wie Schweine, grunzen wie Schweine, sich aneinander reiben wie Schweine. Ihre Leber, Nieren, Lunge und das Herz wären aber menschlich.

Man könnte diese Mischwesen also Organ für Organ ausschlachten. Der Rest könnte zu Salami verarbeitet werden.

Dasselbe könnte man auch mit Schafen machen. Oder Ziegen.

Hätten Sie ein Problem damit?

Hartl Judith Kommentarbild App
Judith Hartl, Leiterin der DW-Wissenschaftsredaktion

Tierwohl gegen Menschenleben

Auch wenn diese Technik noch überhaupt nicht einsatzfähig ist und kein Wissenschaftler sagen kann, ob sie jemals funktionieren wird: Wenn wir Tiere massenweise produzieren, nur um sie zu essen, dann dürfen wir das doch erst recht, um Menschenleben zu retten. Obwohl ich Vegetarierin bin und grundsätzlich jede Form von Massentierhaltung verdamme, würde ich da zustimmen.

Jetzt spinnen wir das aber mal weiter. Was wäre, wenn die menschlichen Zellen, die man in den Schweineembryo einbringt, ins Gehirn wandern würden? Könnten sie die kognitiven Eigenschaften im Tier verändern? Hätte das Schwein dann ein Bewusstsein? Was ist mit Sprache? Wieviel Mensch würde dann in dem Tier stecken, das man für die Organbeschaffung schlachten würde? Forscher sagen, dass das wahrscheinlich nicht passieren würde. Wahrscheinlich.

Ich vermute sowieso, dass dieser Weg eher in eine Sackgasse führen wird. Und der Gedanke, Lebewesen als Ersatzteillager für Menschen zu züchten, ist pervers. Und ehrlich gesagt, irgendwie auch von gestern.

Es gibt andere, smartere Ansätze. Zum Beispiel Organe aus Zellen im Labor zu züchten. Mit einfachen Organen funktioniert das schon. Aus Hautzellen lässt sich mittlerweile Haut herstellen, es gibt künstlich hergestellte Luftröhren, Blutgefäßsysteme oder Harnblasen.

"Tissue Engineering" heißt dieser sehr spannende Ansatz. Bei komplizierteren Organen funktioniert die Methode noch nicht. Aber sie hat viel Potenzial. Außerdem leidet kein Tier. Und das Risiko, irgendwelche Mensch-Tier-Mischwesen zu erschaffen, die wir nie haben wollten, ist gleich Null.