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Böses Erwachen in der basisdemokratischen Realität

Benjamin Pargan 2. Dezember 2013

In einem Referendum haben Kroatiens Bürger einen Verfassungszusatz gegen gleichgeschlechtliche Ehen beschlossen. Ist das Land ein Hort der Rückständigkeit? Ein Standpunkt von Benjamin Pargan.

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Auch die sogenannte Basisdemokratie kann einmal ins Auge gehen. Das hat das jüngste EU-Mitglied am Wochenende eindruckvoll bewiesen. Um seinerzeit die Chancen für das Gelingen der Abstimmung über den EU-Beitritt des Landes zu verbessern, hatte die kroatische Regierung vor zwei Jahren die Bedingungen für landesweite Volksbefragungen gelockert. So gibt es weder eine Mindestbeteiligung noch eine inhaltliche Begrenzung für ein Referendum.

Nun hat eine Bürgerinitiative der Regierung in Zagreb für dieses gut gemeinte, aber schlecht gemachte Gesetz eine bittere Quittung präsentiert: Das faktische Verbot der gleichgeschlechtlichen Ehen und die dadurch entstehende Diskriminierung der Schwulen und Lesben sollen jetzt sogar in der Verfassung festgeschrieben werden. Im Hinblick auf die niedrige Abstimmungsbeteiligung von ca. 38 Prozent ist es einer Minderheit der Bevölkerung tatsächlich gelungen, der Mehrheit ihre Meinung aufzuzwingen.

Benjamin Pargan (Foto: DW/Per Henriksen)
Benjamin Pargan, Leiter der kroatischen Redaktion DWBild: DW/P. Henriksen

Eine verunsicherte Gesellschaft

Trotzdem sind sowohl das Referendum als auch die hitzig und gehässig geführten Debatten davor sehr wohl ein Beweis für die weit verbreitete Homophobie, fehlende Toleranz und äußerst dürftige Streitkultur der kroatischen Gesellschaft. Denn eine Einführung der Homo-Ehe stand ja gar nicht zur Debatte. Die klerikalkonservative Bürgerinitiative "Im Namen der Familie" handelte aus tiefster Überzeugung und fand schnell mehr als genug Mitstreiter, die für ihre schwulenfeindlichen Positionen endlich eine Plattform in der Öffentlichkeit bekamen.

Die ganze Diskussion zeigte zudem, wie verunsichert, frustriert und verbittert viele Kroaten knapp ein halbes Jahr nach dem EU-Beitritt sind. Wirtschaftliche Schwierigkeiten, hohe Arbeitslosigkeit, fehlende Perspektiven und Angst vor dem Verlust der nationalen Identität - dies sind die Hauptprobleme einer geradezu krankhaft desillusionierten kroatischen Gesellschaft.

Noch ein weiter Weg

Die Schwulen und Lesben mussten als Sündenböcke herhalten und wurden so zum Kollateralschaden einer heftigen Auseinandersetzung zwischen den liberalen städtischen Eliten und der konservativen, katholisch geprägten und zum Teil tatsächlich homophoben Bevölkerungsmehrheit. Solche Entwicklungen stellen eine erhebliche Gefahr für die demokratische Entwicklung Kroatiens dar. Sind es heute Schwule und Lesben, könnten morgen ethnische Minderheiten zur Zielscheibe des Volkszorns werden. Denn es gibt schon eine neue Bürgerinitiative, die fleißig Unterschriften sammelt für einen Volksentscheid zur Einschränkung der Rechte der serbischen Minderheit.

Deshalb muss die kroatische Regierung – die sich übrigens ganz klar gegen das Referendum ausgesprochen hat – möglichst schnell das entsprechende Gesetz ändern und für künftige Volksentscheide klare Bedingungen formulieren, wie zum Beispiel eine Mindestbeteiligung von 50 Prozent und inhaltliche Vorgaben, die diskriminierende Volksabstimmungen erst gar nicht zulassen. Es war ja schon vor dem Referendum klar, dass Kroatien in der demokratischen Entwicklung noch einen weiten Weg vor sich hat, trotz des EU-Beitritts. Dies wurde nun noch einmal bestätigt, und es überrascht nicht, dass in den heftigen Debatten vor dem Referendum selbst manche kroatische Bürger behaupteten, ihr Land sei noch nicht reif für die "zügellose Demokratie der Volksentscheide".