Heiko Maas ist in diesen Wochen nicht zu beneiden. Der deutsche Außenminister will versuchen, zwischen Amerikanern und Russen zu retten, was nicht mehr zu retten ist. Der sogenannte INF-Vertrag ist tot. Dieser Vertrag von 1987 regelt die Verschrottung und das Verbot von Raketen und Marschflugkörpern mittlerer Reichweite. Waffen, die zuerst von der Sowjetunion, dann auch von den USA entwickelt worden waren. Wären diese Waffen mit ihren atomaren Sprengköpfen jemals eingesetzt worden, dann hätten sie Europa in eine atomar verstrahlte Hölle verwandelt - nicht aber die USA, die diese Raketen mangels Reichweite gar nicht hätten treffen können.
Folglich war ein Bann der Mittelstreckenraketen für die Europäer schon immer eine Frage von Sein oder Nichtsein. Die NATO beantwortete sie mit einem "Doppelbeschluss", mit einer strategischen Drohung an die Adresse der Kremlherrscher: Wenn ihr eure SS-20 nicht verschrottet, dann bauen wir die gleichen Waffen; Verhandlungen über eine umfassende Abrüstung sind jederzeit möglich.
Vertrag in seinen letzten Zügen
Diese brachiale Logik funktionierte. Die Sowjetunion drehte bei und schloss mit den USA den INF-Vertrag. Juristisch sind nur die beiden Länder Vertragspartner. Das ist wichtig, um zu verstehen, warum Vermittler wie Heiko Maas derzeit auf verlorenem Posten stehen. Der INF-Vertrag beendete Jahre des ruinösen Rüstens und der emotionalen Debatten. Nun aber liegt der Vertrag in seinen letzten Zügen. Nicht einmal ein diplomatischer Defibrillator könnte ihm neues Leben einhauchen.
Denn Russland verstößt seit Jahren gegen den Vertrag und entwickelt Trägersysteme, die es (als Rechtsnachfolger der Sowjetunion) gar nicht bauen dürfte. Die USA unter Donald Trump fackelte nicht lange und kündigten an, aus dem Vertrag auszusteigen. Auf Drängen der europäischen NATO-Länder gibt es eine letzte Frist, gesetzt von Washington: Danach hat Russland noch bis zum 2. Februar Zeit, um seine entsprechenden Rüstungsprogramme zu beenden. Danach soll die formale Kündigung erfolgen. "Russland kann den Vertrag retten", beschwor Außenminister Maas seinen russischen Kollegen. Sergej Lawrow aber erwiderte, er habe nicht den Eindruck, dass die USA ernsthaft an einem Dialog interessiert seien. Auf gut Deutsch: Das wird nichts mehr.
Denn auch Russland will die Fesseln des INF-Vertrages abstreifen, genau wie die USA. Beide sehen sich strategisch und bald auch rüstungspolitisch mit der aufstrebenden Großmacht China konfrontiert. China aber unterliegt keinem Regime zur Kontrolle von Raketensystemen mittlerer Reichweite. Um diese Interessenlage wissen die Europäer nur zu gut. Europa aber ist strategisch abgehängt. Denn anders als vor vier Jahrzehnten sind die USA nicht mehr der gutmütige Hegemon des Westens. Unter dem sprunghaften Donald Trump wurden die Vereinigten Staaten vielmehr zum unsicheren Kantonisten. Konsultationen, das gemeinsame Suchen nach globalpolitischen Positionen, gibt es bis auf weiteres nicht mehr.
Kontinent in der strategischen Sackgasse
Zu allem Übel steckt Europa in einer Dauerkrise. Der Brexit lähmt Briten wie EU gleichermaßen, Frankreich ist innenpolitisch in raues Fahrwasser geraten, und Deutschland gilt sicherheitspolitisch vielen im Bündnis als "kranker Mann" Europas. Die Bundesregierung will jetzt mit Nachdruck Themen der Rüstungskontrolle bearbeiten und die neuen Bedrohungen durch Cyberkrieg und autonome Waffensysteme auf die internationale Bühne heben. Das ist löblich, führt aber kurzfristig nicht aus der strategischen Sackgasse heraus, in der sich die Europäer ein Vierteljahrhundert nach Ende des Kalten Krieges wiederfinden.
Dabei hat sich Europas Sicherheitsinteresse über die Jahrzehnte ja gar nicht verändert: nicht Schlachtfeld werden, nicht Spielball sein.