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Politik

Argentiniens Frauen werden weiter kämpfen

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Verónica Marchiaro
9. August 2018

Das Gesetz für straffreie Schwangerschaftsabbrüche ist im Senat gescheitert. Argentinien hat eine historische Gelegenheit verpasst. Dennoch ist das Land an der Debatte um Frauenrechte gewachsen, meint Verónica Marchiaro.

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Argentinien | Proteste in Buenos Aires
Bild: Reuters/M. Brindicci

Am Ende triumphierten religiöse Glaubenssätze und persönliche Überzeugungen über die Sachargumente in einer Frage des Gesundheitswesens. Oder vielleicht war es auch politisches Kalkül vor den nächsten Wahlen, gepaart mit dem Druck der Kirche im Land von Papst Franziskus. Der argentinische Senat hat jedenfalls mehrheitlich gegen das Gesetz für legale, sichere und kostenfreie Schwangerschaftsabbrüche gestimmt, gegen eine umfassende Sicherheitsgarantie für die Frauen, gegen ihr Recht, selbst zu entscheiden. Denn es ging nicht nur um die Strafbefreiung, sondern auch um eine bessere Gesundheitspolitik und Sexualerziehung. Laut einer Umfrage von amnesty international sind heute mehr als 60 Prozent der Bevölkerung in Argentien für Schwangerschaftsabbrüche.

Aber der Senat hat die Forderungen der Bürgerinnen und Bürger mehrheitlich nicht unterstützt. Er hat nicht, wie es der Abgeordnete der Regierungspartei Luis Niadenoff gefordert hatte, "über Realitäten" abgestimmt, sondern über moralische Konzepte. Die Realitäten, das sind nach offiziellen Schätzungen des Gesundheitsministeriums rund 350.000 illegale Schwangerschaftsabbrüche, Jahr für Jahr. Sie zählen unter den armen und benachteiligten Frauen des Landes zu einer der Hauptursachen für Todesfälle während der Schwangerschaft.

Verpasste Chance

Die Entscheidung fiel nach einer öffentlichen Debatte, die Argentinien beinahe wirklich wie "eine reife Gesellschaft" erscheinen ließ. Mit diesen Worten hatte Präsident Macri den Gesetzentwurf zur parlamentarischen Behandlung zugelassen, obwohl er selbst bekanntermaßen eher dagegen war. Schließlich ist Argentinien eine Gesellschaft, die in anderen Menschenrechtsfragen wie Genderidentität oder gleichgeschlechtliche Ehe viel weiter ist als andere in der Region. Es hätte die Möglichkeit gegeben, das Land noch stärker in der Moderne zu verankern und zu beweisen, dass es mit den anderen Ländern der G-20 mithalten kann, deren Präsidentschaft Argentinien gerade inne hat.

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Verónica Marchiaro, Lateinamerikaredaktion der DW

Während der Zeit der Vorgängerregierung Kirchner waren ähnliche Projekte schon sechsmal gescheitert. Doch diesmal gab es eine scheinbar unaufhaltbare feministische Welle für das Recht auf Schwangerschaftsabbrüche, die mit grünen Tüchern um den Hals die Straßen eroberte. Die Debatte war - wie immer in Argentinien - intensiv und emotional. Aber bis auf einige wenige geschmacklose Entgleisungen und Aggressionen gegen Vertreter beider Seiten blieb sie genau das: eine argumentative Debatte.

Der Wandel wird kommen

Es wird wahrscheinlich Jahre dauern, bis erneut ein Gesetzentwurf zum straffreien Schwangerschaftsabbruch in die beiden Kammern des Kongresses kommt. Auch die Wahlen im kommenden Jahr werden die Mehrheiten zu diesem Thema kaum ändern. Aber Argentinien könnte auch ein Modell wie in Irland wählen und das Volk per Referendum entscheiden lassen. In diesem erzkatholischen und vermeintlich extrem konservativen Land hatte es eine überraschend große Mehrheit von zwei Dritteln für das Recht auf Schwangerschaftsabbrüche gegeben.  

Alles in allem hat Argentinien nämlich einen Schritt nach vorn getan. Die öffentliche wie die parlamentarische Debatte haben das Land bereichert, es gab in dieser Frage sogar parteiübergreifende Allianzen im Kongress. Und auf den Straßen haben die Frauen bereits einen Sieg errungen: Sie sind zur Verkörperung des Wandels geworden, und sie werden weiter kämpfen.