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Überleben in der Steuerhölle

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Rolf Wenkel
10. August 2016

Die Halbjahresbilanz der deutschen Wirtschaft fällt insgesamt recht ordentlich aus. Sie könnte noch besser ausfallen, wenn der Staat seine Bürger steuerlich gerechter behandeln würde, meint Rolf Wenkel.

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Symbolbild Einkaufszentrum
Vor allem der private Konsum sorgt derzeit für eine gute Konjunktur in DeutschlandBild: picture-alliance/dpa/R. Schlesinger

Deutschland, wie geht es Deiner Wirtschaft? Seit gut zwei Wochen legen die großen deutschen Konzerne ihre Bilanzen zum zweiten Quartal vor - Anlass genug, so etwas wie eine Halbjahresbilanz zu ziehen. Und die ergibt ein insgesamt erfreuliches Bild: Die Automobilindustrie steigert ihren Absatz, selbst Volkswagen hat, was die Verkaufszahlen angeht, das Desaster um Dieselgate erstaunlich gut verkraftet. Und überhaupt: Es gibt kaum eine Branche, in der große Einbrüche zu registrieren wären - sieht man einmal von den Stromkonzernen ab, die die Energiewende verschlafen haben und sich nun mit ihren fossilen und atomaren Altlasten herumärgern müssen.

So hat der Energiekonzern Eon im ersten Halbjahr zwar einen Gewinn von 2,9 Milliarden Euro erzielt, gleichzeitig aber drei Milliarden Euro auf seine vor der Abspaltung stehende Kraftwerks- und Handelstochter Uniper abschreiben müssen. Deutschlands drittgrößter Versorger EnBW meldet für das erste Halbjahr einen Verlust von 194 Millionen Euro, und der schwedische Staatskonzern Vattenfall, der in Deutschland der viertgrößte Stromversorger ist, meldet für das zweite Quartal einen Verlust von drei Milliarden Euro. Der hochverschuldete Versorger RWE, der zweitgrößte in Deutschland, wird am Donnerstag seine Halbjahreszahlen vorlegen.

Problembranche Banken

Auch die Banken trüben das Konjunkturbild in Deutschland. So landeten die Deutsche Bank und die Commerzbank im jüngsten europäischen Stresstest unter 51 Banken auf den hintersten zehn Plätzen, und das Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung ZEW in Mannheim kommt in einer Studie zu dem Schluss, Deutschlands größtes Geldhaus hätte im Falle einer neuen Finanzkrise nicht genügend Eigenkapital, um die zu erwartenden Verluste auszugleichen. Die Lücke würde sich auf 19 Milliarden Euro belaufen.

Eine Kapitalerhöhung als Antwort auf ein solches Krisenszenario wäre beim aktuell dahin dümpelnden Aktienkurs schwierig: Die gesamte Deutsche Bank wird an der Börse derzeit noch mit knapp 17 Milliarden Euro bewertet. Das ist zu wenig, um im prestigeträchtigen Aktienindex "Stoxx Europe 50" zu verbleiben, seit Montag werden die Aktien der Deutschen Bank und der Credit Suisse dort nicht mehr gelistet.

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DW-Wirtschaftsredakteur Rolf Wenkel

Zwei Sorgenbranchen in einem ansonsten wirtschaftlich stabilen Umfeld - Herz, was willst Du mehr! Die Funktionäre diverser Wirtschaftsverbände sehen das freilich anders, sie müssen schon von Berufs wegen von düsteren Wolken am Himmel sprechen. Da muss als Begründung für die vermeintlich düsteren Aussichten die schleppende Weltwirtschaft herhalten, genauso wie Chinas schwächelnde Konjunktur, das Brexit-Votum der Briten, der Putschversuch in der Türkei und die Krisen in Brasilien und Russland. Das alles würde die Konjunkturaussichten für die exportorientierte deutsche Wirtschaft eintrüben, heißt es.

Export ist nicht alles

Da mag etwas dran sein, aber es ist auch nur die halbe Wahrheit. Denn die stärksten Impulse für die deutsche Wirtschaft gehen seit längerer Zeit von den binnenwirtschaftlichen Kräften aus. An erster Stelle steht der private Konsum, der vor allem durch die stabile Beschäftigungsentwicklung beflügelt wird. Wer seinen Arbeitsplatz als sicher ansieht, der neigt auch mal zu größeren Anschaffungen. Zudem erreicht die Zahl der Erwerbstätigen Monat für Monat neue Rekordhöhen, während gleichzeitig die Kaufkraft der Verbraucher steigt. Nicht nur, weil die Energiepreise fallen, sondern auch, weil die Lohnabschlüsse endlich mal wieder deutlich über der Inflationsrate liegen.

Sicher kann man sich nicht allein mit dem privaten Konsum sozusagen selbst aus dem Sumpf ziehen - aber Rückenwind bekommt die deutsche Wirtschaft dadurch allemal. Und der könnte sogar noch stärker ausfallen, wenn man den deutschen Finanzminister endlich dazu bewegen könnte, die Bürger steuerlich gerechter zu behandeln, sprich: zu entlasten. Allein durch bloßes Nichtstun füllen sich die Kassen des Staates immer mehr, weil mit jeder Erhöhung der Tariflöhne immer mehr Arbeitnehmer in die überproportional höher besteuerten Einkommensgruppen rutschen.

Kalte Progression wird unerträglich

Ein in diesem Zusammenhang unverdächtiger Lobbyist, der Bundesverband der Deutschen Industrie, hat das mal ausgerechnet: "Während der Spitzensteuersatz im Jahr 1965 bei dem rund Zwölffachen des Durchschnittseinkommens ansetzte, greift er heute bereits bei dem 1,9-fachen des Durchschnittseinkommens." Das zeigt überdeutlich, dass der Tarifverlauf bei der Einkommenssteuer kräftig abgeflacht werden und der Spitzensteuersatz deutlich später greifen muss.

Nicht von ungefähr empfinden 81 Prozent der Deutschen laut Umfragen ihre Steuerlast als zu hoch, sagt der Bund der Steuerzahler. Und wenn diese 81 Prozent ihre Steuerlast mit den Einsparungen der öffentlichen Hand bei Straßen und Brücken, Schulen und Lehrern, Richtern, Staatsanwälten und Polizeibeamten vergleichen, dann brauchen sich die Regierungsparteien nicht zu wundern, wenn sie immer mehr Wählerstimmen an Parteien des linken und rechten Randes verlieren.

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