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Die Piraten im Bundestag?

Kay-Alexander Scholz30. April 2012

Neue Führung, klares Ziel - damit endet der Bundesparteitag der Piraten in Neumünster. Außerdem setzten die Politneulinge klare Zeichen gegen extremistische Tendenzen in ihrer Partei. Noch fehlt jedoch ein Wahlprogramm.

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Der neue Bundesvorstand der Piratenpartei (Foto: dpa)
Der neue Bundesvorstand der PiratenparteiBild: picture-alliance/dpa

Zwei Tage lang wählten die Piraten auf ihrem Bundesparteitag in Neumünster im Bundesland Schleswig-Holstein im Norden Deutschlands einen neuen Bundesvorstand, der nun nicht mehr aus sieben, sondern aus neun Personen besteht. "Denn die immer noch ehrenamtliche Arbeit muss auf mehr Schultern verteilt werden", sagte der scheidende Parteivorsitzende Sebastian Nerz. Das Arbeitspensum sei schließlich in den letzten Monaten extrem gewachsen, so wie die Mitgliederzahl der jüngsten Partei Deutschlands.

Gewählt wurde nach dem Prinzip des Approval Votings. Die Stimmberechtigten haben dabei nicht nur eine Stimme pro Wahl, sondern können auf dem Wahlzettel alle Kandidaten ankreuzen, die sie sich im jeweiligen Amt vorstellen können. Mit 66,6 Prozent Zustimmung gewann Bernd Schlömer die Wahl um den Bundesvorsitz. Er tauscht seine bisherige Rolle als Stellvertreter mit Sebastian Nerz. Dieser wurde in der anschließenden Abstimmung mit 73,8 Prozent zum neuen Stellvertreter gewählt.

Ein Politkenner wird Vorsitzender

Schlömer kennt den Politikbetrieb von innen. Er ist Regierungsdirektor im Verteidigungsministerium unter dem CDU-Politiker Thomas de Maizière. Der 41-Jährige ist studierter Kriminologe und Sozialwissenschaftler. Er wirkt entspannt und tritt mit Schiebermütze, Leinenschal und Hemd in legerer Kleidung auf. Er gilt bei den Piraten als ausgleichende Kraft zwischen den verschiedenen Strömungen in der Partei. Seine politische Erfahrung im Establishment und seine Nähe zur Bundespolitik scheinen den Piraten nicht ungelegen zu kommen. Bei jedem Auftritt ehren sie ihn mit viel Applaus.

Bernd Schlömer, der neue Bundesvorsitzende der Piratenpartei (Foto: dapd)
Bernd Schlömer ist studierter Kriminologe und SozialwissenschaftlerBild: dapd

Auf einer Pressekonferenz nannte er als vordringliche Aufgabe für seine Partei die Aufstellung eines Wahlprogramms für die Bundestagswahl. "Das wird die wichtigste Aufgabe in der kommenden Zeit", sagte Schlömer und kündigte zwei Programm-Parteitage dafür an. Außerdem will er die parteiinterne Willensbildung und das Abstimmungstool Liquid Democrazy weiterentwickeln.

Die klar formulierte Zielrichtung Bundestag war das Überraschendste an diesem Parteitag. Dabei scheint es Übereinstimmung zwischen Vorstand und Basis zu geben. Als der neu gewählte Bundesvorstand gegen Ende des Parteitags auf die Bühne trat, sagte der Versammlungsleiter: "Dies ist der Bundesvorstand, mit dem die Piraten in den Bundestag ziehen werden." Es gab Jubelrufe und viel Beifall unter den Parteitagsteilnehmern. Auch in Gesprächen am Rande des Parteitags wird ganz selbstverständlich davon geredet, dass die Piraten nach der nächsten Bundestagswahl 2013 Abgeordnete in den Bundestag entsenden werden.

Große Themen aber "inhaltliche Abstinenz"

Ähnlich wie seine Vorgängerin im Amt der politischen Geschäftsführerin, Marina Weisband - die zurücktrat, um ihr Studium zu beenden - sprach auch der neu gewählte politische Geschäftsführer der Piratenpartei, Johannes Ponader, in seiner ersten Rede von "großen Themen", denen sich die Piraten stellen wollen. "Wir wollen einen Paradigmenwechsel", sagte der sehr eloquent auftretende Ponader. "Wir müssen unsere Wahrnehmung ändern und lernen, die richtigen Fragen zu stellen." Er selbst verstehe seine Aufgabe als Moderator nach innen, sagte er vor Medienvertretern. Deshalb habe er sich nun für ein Jahr "inhaltliche Abstinenz" nach außen verordnet.

Der neugewaehlte Politische Geschaeftsführer der Piratenpartei, Johannes Ponader (Foto: dapd)
Johannes Ponader, der neue politische Geschäftsführer der PiratenparteiBild: dapd

Bleibt abzuwarten, ob er sich darauf beschränken wird. Vorgängerin Marina Weißband jedenfalls hatte sich trotz ihrer eigentlichen Rolle als Chefin nach innen zu einem Aushängeschild und Medienliebling entwickelt.

Ponader ist Pädagoge, Schauspieler, Regisseur und ein Berliner - kommt also aus dem bisher einflussreichsten Landesverband. Der 35-Jährige ist ein innerparteilicher Liebling, da er den Beschluss für die Forderung nach einem bedingungslosen Grundeinkommen durchgesetzt hat. Entsprechend erhielt er 74,4 Prozent der Stimmen bei seiner Wahl.

Integrationsaufgaben

Bei den Vorstellungsreden und Befragungen der Kandidaten für die verschiedenen Ämter tauchte ein Thema immer wieder: die Einbindung der vielen Neumitglieder und das Vermeiden von internen Grabenkämpfen. Das sagten auch Schlömer und Ponader mit aller Deutlichkeit. Diese Punkte sind für eine extrem schnell gewachsene Partei naturgemäß eine große Herausforderung.

Piraten mit neuer Führungsmannschaft

Eine der Integrationsaufgaben könnte auch in der Kommunikation zwischen den verschiedenen Generationen liegen. Die jüngeren Parteitagsteilnehmer treten äußerlich und in ihrer Wortwahl anders als die älteren Jahrgänge auf. Fabian aus Bayern, 22 Jahre jung, sagt, er könne mit vielen Älteren gut reden, manchmal besser als mit seinen Altersgenossen. Doch man merke einigen an, dass sie schon viel politische Arbeit geleistet haben. "Sie haben häufig Schablonen im Kopf."

Klare Abgrenzung zu Extremisten

Gruppenfoto auf dem Bundesparteitag der Piratenparte in Neumuenster mit einem Banner mit der Aufschrift "Kein Fussbreit dem Rassismus!" (Foto: dapd)
Gruppenfoto auf dem Bundesparteitag der PiratenparteiBild: dapd

Der Parteitag in Neumünster hat nicht nur eine neue Führung gewählt, sondern sich klar von rechtsextremen Gedanken distanziert. In den Wochen zuvor hatte es immer wieder Streit um Äußerungen von einzelnen Piratenmitgliedern zum Nationalsozialismus gegeben. Die Parteitagsführung entschloss sich deshalb, die Tagesordnung zu ändern. Einstimmig wurde ein Antrag angenommen, der sich von Holocaust-Leugnern distanziert. Auf dem obligatorischen Gruppenbild wurde ein Transparent mit der Aufschrift "Kein Fußbreit dem Rassismus" ausgerollt. Der neue Vorsitzende sagte bei der Abschlusspressekonferenz: "Wir haben ein deutliches Signal gegen Rechts gesetzt." Auf die Frage nach weiteren Maßnahmen kündigte Schlömer eine weitere Beobachtung basierend auf Gesprächen an.

In Deutschland werden in den kommenden Wochen zwei neue Landesparlamente gewählt - laut Umfragen werden die Piraten sowohl in Nordrhein-Westfalen als auch in Schleswig-Holstein in den Landtag einziehen. In Berlin und im Saarland sind sie schon vertreten. Der Praxistest für die Partei hat also begonnen. Der notwendige Wille oder der Anspruch "Klarmachen zum Ändern", wie es auf Wahlplakaten der Piraten immer heißt, war in Neumünster deutlich spürbar.