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Kolumne: Angela Merkel und die Berliner Märchentage

Gero Schließ
12. November 2017

Märchentage in Berlin? Das inspiriert auch unseren Kolumnisten Gero Schließ. Denn in Berlin gehen die Märchen weit über die Welt von Schneewittchen oder Rapunzel hinaus. Man denke nur an all die Fake- und Lügenmärchen.

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Kolumne Berlin 24/7  Märchentage
Bild: Imago/United Archives

Die Berliner Märchentage. Sind die nicht eigentlich das ganze Jahr? Denken Sie an die "Märchenstunden" von Bundeskanzlerin Angela Merkel. "Wir schaffen das", hieß die Schlusspointe ihres meisterzählten Märchens. Es handelte von den fast eine Millionen Flüchtlingen und hätte beinahe sie selber "geschafft" - bei der Bundestagswahl. 

Lügenmärchen haben kurze Beine

Man sieht Bundeskanzlerin Merkel mit einem Buch in der Hand, der Blick nach oben gerichtet
Hoffen auf die richtige Eingebung: Märchenstunde mit Angela MerkelBild: Reuters/H. Hanschke

Und auch die weltoffensten Deutschen glauben nicht mehr an Lügenmärchen, wenn sie lesen, dass trotz aller Beteuerungen und Sicherheitsversprechen der Verbleib von 30.000 Asylbewerbern und Schutzsuchenden im Lande ungeklärt ist. Und dann ist da noch das Märchen des Regierenden Bürgermeisters Michael Müller von der Mietpreisbremse in Berlin. Gebremst ist allenfalls das Vertrauen in ihn und die Rot-Rot-Grüne Senatskoalition. Denn die Berliner Mieten steigen ungebremst -  in "märchenhafte" Höhen.

Welche Märchen darüber hinaus nach der Bundestagswahl gerade die Möchtegern-Jamaika-Koalitionäre für uns erfinden, können wir nur ahnen. Doch die schwarz-grün-gelben Märchenerzähler sollten gewarnt sein. Denn Märchen haben kurze Beine - zumindest die Fake- und Lügenmärchen. 

Märchentage in Berlin feiern die Liebe

Schneewittchen sitzt auf dem Waldboden, umgeben won Tieren wie Eichhörnchen und Maulwürfen. Szene aus einem Comic von 1937
Schneewittchen und die Tiere im WaldBild: Imago/United Archives

Aber trotzdem: Willkommen zur Märchenstunde! Denn es gibt auch noch "seriöse" Märchenerzählungen. Etwa bei den 28. Berliner Märchentagen, die vom 9. bis 26. November ganz Berlin in eine Märchenstadt verwandeln. Und in eine Stadt der Liebe: "Make love, not war", heißt es in Anlehnung an selige Hippie-Tage. Diese Kuschel-Botschaft wollen die Märchentage in die grau-kalte Hauptstadt bringen. Theater, Kirchen, Schulklassen, Bibliotheken oder Buchläden sind die Orte, wo die Es-war-einmal-Geschichten erzählt werden. Da kommen bei mir Erinnerungen an die allabendlichen Gute-Nacht-Erzählungen meiner Mutter. Meistens in freier Rede aus dem Fundus der Gebrüder Grimm: Rapunzel, Schneewittchen, Hänsel und Gretel und leider auch die böse Hexe bevölkerten dann unser Kinderzimmer - und die nächtlichen Träume.

Gebrüder Grimm an der Berliner Akademie

Wer hätte geahnt, dass ich hier in Berlin Wilhelm und Jacob Grimm wieder so nahe komme; denn wussten Sie, dass sie im Jahre 1740 auf Einladung des preußischen Königs Friedrich Wilhelm IV. von Göttingen nach Berlin zogen, zu Mitgliedern der Akademie der Wissenschaften berufen wurden und heute in schlichten Gräbern auf dem Schöneberger St. Matthäus Friedhof ruhen?

Gero Schließ in schwarzem Sakko vor dem Berlin 24/7 Logo
Lügenmärchen haben kurze Beine, meint unser Kolumnist Gero Schließ

Aber die Märchentage leben natürlich nicht nur von den Gebrüdern Grimm. Schließlich sind wir in Berlin. Und die Berliner pflegen ihre eigenen Märchengewächse wie "Der Hase im Schloss-Keller" (rotäugig und dreibeinig) oder "Die weiße Frau im Berliner Schloss", die immer dann erschien, wenn der königlichen Familie Ungemach drohte. Genießen Sie einen kurzen Auszug: "Beim Schloss-Neubau im Jahre 1709 wurde in einer Mauer ein weibliches Skelett gefunden, welches man für das der weißen Frau hielt und auf dem Domkirchhof begrub. Damit erhoffte man sich, sie würde nie mehr wiederkommen." Doch sie war störrisch und kam natürlich wieder. Die Dame in Weiß, später auch liebevoll das Hohenzollerngespenst genannt, endete schließlich am Pranger. Eine spätere Auferstehung ist allerdings nicht ausgeschlossen. Also Achtung: Die Verantwortlichen des Humboldt-Forums im wiedererbauten Berliner Stadtschloss sind vorgewarnt. Und ich lerne: Berliner Märchen gehen nicht immer harmonisch aus.

Merkel und die Marmeladenoma

Ich vermute, die Kanzlerin kennt das Risiko. Aber sie wird sich von einer Neuauflage ihrer regierungsamtlichen Märchenstunden kaum abhalten lassen und sogar das erhöhte Risiko unberechenbarer grün-gelber Co-Erzähler in Kauf nehmen.

Kolumne Berlin 24/7  Märchentage
Erzählt die "wahren" Märchen: Die Marmeladenoma mit ihrem Engel JanikBild: picture-alliance/dpa/H. Kaiser

Aber vielleicht lernt sie ja von einem Märchenprofi: der "Marmeladenoma". Der vertrauen die Menschen, denn sie erzählt nur "wahre" Märchen: Etwa von der Prinzessin auf der Erbse. Die Marmeladenoma sitzt nicht auf der Regierungsbank oder wie meine Mutter am Bettrand, sondern sozusagen im Internet: Dort lauschen ihr mehr als 185.000 Fans. Und auch ich höre gebannt zu, wenn die 85-jährige Dame in aller Seelenruhe vorliest, während Enkel Janik für die Technik sorgt. Dafür werden die beiden jetzt bei den Berliner Märchentagen ausgezeichnet. Und zwar mit dem Nobelpreis der Märchenerzähler, der "Goldenen Erbse". Frei nach dem Motto: "Make Märchen, not war".