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Kolumne: Keine Hippies mehr in Berlin

Gero Schließ
7. Mai 2017

Am Holzmarkt stand einst die Bar 25, eine legendäre Hippie-Hochburg. Jetzt eröffnen deren Betreiber an gleicher Stelle ein schickes Dorf. Statt Utopie geht’s dort ums Business, meint Kolumnist Gero Schließ.

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Kolumne Berlin 24/7 Holzmarkt
Bild: DW/G. Schliess

Es waren einmal ein Brett und ein Nagel. Und noch ein Brett und noch ein Nagel. Und bald war sie fertig, die Bar 25. "Eine kleine Holzhütte mit etwas leiser Musik", sagt mir eine Frau, die damals dabei war. Schon bald war die Holzhütte ein sagenumwobener House-Club und Inbegriff der Berliner Hippie-Kultur. Der Stoff, aus dem Träume gebaut wurden. Träume von einem freieren Leben. Ohne Bauamt oder Brandschutz.

Bar 25 war anders als Berghain

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Buntes Treiben bei der Eröffnung am Holzmarkt Bild: DW/G. Schliess

Die Bar 25 war bald legendärer Schauplatz "wiederkehrender Schlammbäder und Fünftagepartys", schwärmt die Tageszeitung "TAZ" heute noch. Tummel- und Turtelplatz für Berlins wilde Partypeople. Und damit meine ich nicht die gesinnungslosen Tänzer, die heute in kompletten Flugzeugladungen einfliegen und direkt im schwarzen Techno-Schlund des Berghain verschwinden.

Damals 2004, jawohl, waren es noch die original Berliner Krawall-Kreativen. Die Revolutionären und Alternativen alter Schule. Jene, die von einem anderen Leben träumten, abseits von Kommerz, Spekulation und Staat.

Doch dort, wo der zusammengenagelte Traum aus Holz dem Wummern der Bässe standhielt, stehen heute zu Beton gewordene Kapitalanlagen. Ja, haargenau an derselben Stelle, am Holzmarkt, in bester Spreelage. Blitzblank verputzte Häuser, säuberlich aufgereiht wie auf einer Perlenkette. Erbaut von denselben Leuten, die früher ins Bretternageln verliebt waren.

Kreativ-Dorf am Holzmarkt

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Der neue Holzmarkt: Fein säuberlich wie eine Reihenhaussiedlung Bild: DW/G. Schliess

Was für ein Coup! Erst gewinnen die späteren Bauherren den Volksentscheid "Spreeufer für alle". Dann erhalten sie den Zuschlag in einem aufreibenden Bieterwettbewerb. Dabei hilft das Kapital der Stiftung Abendrot, das die begrenzten Mittel der eigenen "Genossenschaft für urbane Kreativität" vervielfacht. Und nun kommt es: Auf den morschen Fundamenten der Bar 25  ziehen sie ein komplettes Dorf hoch, mit Bäckerei, Kita, Künstlerwerkstatt, Theater, Hotel, dem Nachfolgeclub "Kater Blau" und einem Restaurant namens "Katerschmaus", in dem ein Gericht schon mal 30 Euro kosten darf. Freies Leben als Freizeitpark für Besserverdiener, oder was? Wo ist ihr Traum heute, frage ich mich? Haben sie ihn – und sich selbst - verkauft?

Historische Hippie-Erde

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Volksfeststimmung auf geheiligter Hippie-Erde Bild: DW/G. Schliess

Zur Eröffnung des "neuen" Holzmarkts sind tausende Berliner gekommen. Für die meisten ist das Jahrmarkt - mit Drinks, Dancefloor und Donuts, inklusive Kinderbetreuung. Kaum einer ahnt, dass er sich auf der geheiligten Erde des historischen Berliner Hippietums bewegt. Und nur die wenigsten wissen: Von den Bretterbuden bis zum schicken "Le Dörf" war es ein weiter Weg. Viele aus der Berliner Hippie-Szene sind ihn gegangen, nur nicht alle so perfekt. Wer nicht als Hausbesetzer oder Schwarzer Block Karriere machte, ging den Weg des Self-made-Manns: Von selbst gebaut über selbst vermarktet bis zu (wirtschaftlicher) Selbständigkeit.

Wilde Renate, Chalet, Sysyphos

Realitätscheck Bar 25: Als sie im Jahre 2010 der vom Senat ursprünglich beschlossenen Uferbebauung weichen musste, verteilten sich die Gründer über die ganze Stadt, nicht ohne das Wichtigste zu vergessen -  wieder neue Clubs zu gründen: Chalet, Sisyphos oder die Wilde Renate. Doch sind diese Bar 25-Ableger keine nostalgieverliebten Provisorien, sondern professionell betrieben - und profitabel.

Auch der Holzmarkt will das jetzt werden. Sonst wird aus der Genossenschaft für urbane Bebauung die Gesellschaft für umfassenden Untergang.        

08.2016 Kolumne Gero Schließ
Unser Kolumnist Gero Schließ: "Kommerz statt Weltanschauung"

Und jetzt mal Hand aufs Herz und euch ganz direkt ins Gesicht gesagt: Liebe Betreiber! Oder sollte ich sagen, liebe einstige Hippies! Eure Ideale habt ihr damit verkauft. Klar: Es ist ja so gut fürs Gewissen, dass ihr hier am Spreeufer die teuren Kapitalisten-Klötze verhindert habt.

Aber seid ihr deswegen "Berlins kreativste Hippie-Kommune", wie ich es gerade wieder gelesen habe? Das könnt ihr vergessen.

Gebt endlich zu: Ihr seid erwachsen geworden. Ihr seid jetzt fast so wie wir. Auch für euch geht es nur noch mit Bauamt und Brandschutz. Und die bunten Hippie-Klamotten kommen längst aus dem Designer-Shop. 

Es ist eben so: Das andere Leben unterscheidet sich am Ende kaum noch vom Leben der anderen.