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Raubkunst: "Bereitschaft zur Rückgabe ist da"

7. Dezember 2018

Frankreichs Präsident Macron will Afrika seine Kulturgüter zurückgeben. Seither fragt sich Europa: Was tun mit dem kolonialen Erbe? Wiebke Ahrndt vom Bremer Überseemuseum warnt vor einer reinen Rückgabedebatte.

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Afrikanische Statuen im Museum für außereuropäische Kunst Quai Branly
Bild: picture-alliance/dpa/S. Glaubitz

Frau Prof. Ahrndt, haben Sie, wenn Sie an die Kultur Afrikas denken, auch ein schlechtes Gewissen?

Selbstverständlich. Aber es ist eher ein Verantwortungsgefühl.

Ein großer Teil der Sammlungen in unseren Museen stammt aus der Zeit des europäischen Kolonialismus. Und das war kein Ruhmesblatt für die europäische und für die deutsche Geschichte. Das stellt uns vor Verantwortung.

Hat der Kolonialismus Afrika seiner Kultur und Identität beraubt?

Sicherlich ist nicht in allen Museen Afrikas der Sammlungsbestand in dem Umfang vorhanden wie bei uns, und in Teilen auch gar nicht. Das hat verschiedene Gründe. Ein Grund ist, dass viele afrikanische Kulturgüter in westliche Museen gebracht wurden, auf ganz unterschiedlichen Wegen.

In der Afrika-Abteilung Ihres Museums schlummern viele Objekte etwa aus der ehemaligen deutschen Kolonie Kamerun. Wurden die alle rechtmäßig erworben?

Dazu haben wir momentan ein Forschungsprojekt am Start, gemeinsam mit der VW-Stiftung. Mehrere Doktoranden untersuchen unsere Sammlungsbestände. Und der Doktorand für die Kamerunsammlung - ein Kameruner -  ist gerade in Kamerun unterwegs, um mit Leuten in den Herkunftsregionen, auch mit  Ansprechpartnern in den jeweiligen Herrscherhäusern, ins Gespräch zu kommen, um genau dieser Frage auf den Grund zu gehen: Wie sind diese Sammlungen nach Bremen gelangt? Sind Objekte darunter, die wir künftig besonders ausstellen oder gar zurückgeben müssten?

Wiebke Ahrndt, Direktorin Überseemuseum Bremen
Wiebke Ahrndt, Direktorin des Überseemuseums BremenBild: picture-alliance/dpa/C. Jaspersen

Sie beantworten die Frage also nicht rundheraus mit Ja?

Es braucht dazu immer Forschung. Wir wissen etwa bei einer Sammlung, dass der Sammler ein Militär war. Und da liegt die Vermutung nah, dass die Objekte im Rahmen einer Strafexpedition erworben wurden. Genau solchen Fragen gehen wir nach.

Lässt sich überhaupt herausfinden, ob Objekte damals rechtmäßig erworben wurden?

Das ist tatsächlich sehr schwierig. Vielfach ist die Quellenlage schlecht. Oft haben wir gerade mal einen Namen und darüber hinaus gar nichts. Dann kommt die Objektforschung ins Spiel: Wir schauen, was haben wir da eigentlich? Aus welcher Ecke des Landes könnte es kommen, welche Bedeutung hatte es? Dann kann man nach Ansprechpartnern vor Ort suchen - um zu eruieren, hätte man das bereitwillig oder niemals freiwillig weggegeben?

Wenn wir von rechtmäßig oder unrechtmäßig sprechen - welches Recht galt in den Kolonien?

Da galt das deutsche Kolonialrecht. Aber diese Rechtsfrage führt in der Regel nicht sehr weit. Natürlich gibt es Dinge, bei denen man sagen würde: Geklaut war auch damals schon geklaut. Und dann ist das auch nicht rechtmäßig. Aber es gibt viele Bereiche, wo man mit dieser Frage nicht weiter kommt. Da bleiben dann nur moralisch-ethische Gesichtspunkte, um zu entscheiden, wie gehe ich damit um?

Führt die Rechtsfrage auch deshalb nicht weit, weil das Kolonialrecht ein Recht des Stärkeren war, das die Kolonialherren bevorzugt hat?

Möglicherweise, aber es gab auch in den jeweiligen Herkunftsgesellschaften ein Rechtsverständnis. Dieses muss ich bei der Untersuchung einer ethnologischen Sammlung auch in den Blick nehmen.

Würde ein Kameruner heute vor einem deutschen Gericht auf Herausgabe eines Objektes, sagen wir: eines sakralen Kultgegenstandes, klagen – hätte er Aussicht auf Erfolg?

Das käme sehr auf den Sachverhalt an. Wir als Museen sagen: Kein Museum sollte die Verjährungseinrede als Joker ziehen und sagen: Entschuldigung, die 30 Jahre sind rum, das ist ersessen, es ist vorbei. Rein juristisch gesehen ist alles verjährt, was damals geschah. Vor Gericht müsste jeder Kläger zunächst begründen, warum er die Herausgabe verlangen darf. Aber all diese Diskussionen werden in Wahrheit gar nicht vor Gericht geführt.

Blick in eine Ausstellung des Pariser Museums für außereuropäische Kunst
Blick in eine Ausstellung des Pariser Museums für außereuropäische Kunst Bild: picture-alliance/dpa/G. Julien

Hätte es der Kameruner vielleicht auch deshalb schwer, weil er die Beweislast hätte?

Ja und Nein. Tatsächlich ist es so, dass die Museen ihre eigenen Aktenarchive haben. Als öffentliche Institutionen die Akteneinsicht zu verwehren, das wäre ein unethisches Verhalten. Provenienzforschung, wie wir sie an meinem Haus betreiben, funktioniert komplett ergebnisoffen. Es gibt keine Direktive meinerseits, etwas unter dem Deckel zu halten. Selbstverständlich wird nach allen Quellen gesucht, die es gibt, ganz egal, was drinsteht.

Außerdem gibt es für viele Sachverhalte frei zugängliche Kolonialarchive, auch Staatsarchive. Unsere Provenienzforscher sind darin sehr viel unterwegs.

Auch das Völkerrecht hilft den ehemaligen Kolonien offenbar nicht weiter. Heißt das, die Museen in Deutschland und anderswo müssen sich um ihre Bestände keine Sorgen machen?

Unabhängig von diesen rechtlichen Fragen müssen wir uns um das Gros unserer Sammlungen keine Sorgen machen. Wir hatten in Deutschland bereits Rückgaben. Es wird sie weiterhin geben. Aber das, was im Moment durch die französische Debatte so im Raume hängt - es würde jetzt alles zurückgehen in die Herkunftsländer -, entspricht ja überhaupt nicht den Realitäten und in der Regel auch nicht den Interessen der Herkunftsländer. Worüber wir sprechen, das sind besondere Stücke, kulturell sensible Objekte -  etwa menschliche Überreste, Herrschaftszeichen, besondere religiöse Objekte. Darüber zu reden ist völlig richtig.

Sehen Sie in Deutschland den politischen Willen, die Dinge zurückzugeben - aus moralischen Gründen oder um Schuld abzutragen?

Es hat sich enorm was verändert: seit wenigen Jahren ist die deutsche koloniale Vergangenheit ein öffentliches Thema geworden. Das Thema wurde sogar in den Koalitionsvertrag aufgenommen. Da ist Bewegung in der Sache.

Ich finde es verengt, es zu einer Rückgabedebatte zu machen. Die Bereitschaft zur Rückgabe von Dingen, wo wir zu der Erkenntnis gelangen, dass sie sich aus rechtlichen und oder ethischen Gründen nicht mehr mit unseren Sammlungen befinden sollten - außer die Herkunftsgesellschaft möchte das so - die ist da. Aber zu meinen, man würde Schuld abtragen durch die Rückgabe von Objekten, das glaube ich einfach nicht. Denn was wird denn wieder gut, wenn ich das mache?

Wiebke Ahrndt, Jahrgang 1963, ist Ethnologin und Hochschullehrerin. Seit 2002 leitetet sie das Überseemuseum in Bremen. Für den Deutschen Museumsbund erarbeitete sie - an der Spitze einer Expertengruppe - einen Museumsleitfaden zum Umgang mit dem kolonialen Erbe.

Mit Wiebke Ahrndt sprach Stefan Dege.