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Knast für kriminelle Greise

Kyle James / mro / arn 11. Januar 2005

Deutschland hat ein Problem mit seinen Senioren: Den Zahlen nach zu urteilen, werden sie immer krimineller. Das Bundesland Niedersachsen will sogar ein altersgerechtes Gefängnis bauen. Ist es wirklich schon so schlimm?!

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Immer mehr Rentner sitzen hinter GitternBild: AP/DW
Oma auf Beutezug
"Geld her!" - Bild einer ÜberwachungskameraBild: dpa

Vor vier Jahren entschied sich eine Rentnerin im Westen Deutschlands, ihren Lebensabend nicht mehr mit Kuchen backen und langen Spaziergängen zu verbringen: Stattdessen besserte sie ihre Rente mit Banküberfällen auf. Mindestens vier Filialen raubte sie aus. "Pistolen-Omi" taufte die Boulevardpresse die räuberische Alte. Den Bildern der Überwachungskamera nach zu urteilen muss sie bereits über 70 sein.

Tendenz steigend

"Die Zahl der Senioren, die Verbrechen begehen, steigt", sagt die Pressesprecherin des niedersächsischen Justizministeriums, Jutta Rosendahl. Im Ministerium arbeitet man bereits an den Plänen für Deutschlands erstes Gefängnis für Menschen über 60. Ein Gefängnis nahe der Stadt Bückeburg soll seniorengerecht umgebaut werden. "Der Gefängnisaufenthalt wird kein Erholungsurlaub", so Rosendahl, "aber er wird sich an den speziellen Bedürfnissen der Inhaftierten orientieren."

Gefängnisfenster
Altern im KnastBild: AP

Man müsse sich zum Beispiel bei den Arbeitsangeboten umstellen: Die körperlich anstrengenden Jobs in der Gefängniswäscherei würden beispielsweise wegfallen. Schwerpunkt im Alten-Knast wäre eher Montagearbeit, die man sitzend verrichten könnte. Ebenfalls unterschiedlich wären die Sozialprogramme - schließlich können Menschen über 60 mit Kursen zur Erlangung des Hauptschulabschlusses oder mit berufsqualifizierenden Lehrgängen nichts anfangen. Stattdessen müsste man Lebenspraktisches, zum Beispiel Kochkurse, anbieten. Und Physiotherapie zum Erhalt der körperlichen Fitness.

Motive: Armut und Einsamkeit

"Wir müssen uns dem Problem stellen", sagt Pressesprecherin Rosendahl. Auch das Statistische Bundesamt meldet einen Anstieg der Alterskriminalität um 28 Prozent seit Mitte der 1990er Jahre. Die Zahl der inhaftierten Senioren stieg von 2001 bis 2003 um mehr als 400 an. Eine regelrechte Welle "grauer Kriminalität" gebe es dennoch nicht, sagen Kriminologen. Denn die Gründe, die die Senioren zur Gesetzesuntreue verleiten, sind vielfältig. Zum einen ist schlicht die demografische Statistik schuld: Immer mehr Deutsche werden immer älter - aber Alter schützt halt vor Torheit nicht. Und so steigt in der alternden Gesellschaft logischerweise auch die Zahl älterer Straftäter.

Rentner mit Gehhilfe im Park
Mit einer Gehhilfe spaziert Wilhelm Birmelin durch einen Park in Ludwigsburg am 24. Okt. 2003. Der Bundestag hat mit den Stimmen der Koalition am Donnerstag, 6. Nov. 2003, das Rentensparpaket auf den Weg gebracht. (AP Photo/Thomas Kienzle) ** zu APD7549 **Bild: AP

Ein weiterer Grund ist die Verschlechterung der Lebensqualität für viele deutsche Senioren: Die Preise für Lebensmittel, Heizung, Miete steigen, aber die Rentenhöhe stagniert und gleicht nicht einmal die Inflationsrate aus. Die Folge: Immer mehr ältere Menschen sind arm. "Manche Senioren werden fast schon zum Ladendiebstahl genötigt, um sich einen angemessenen Lebensstandard leisten zu können", sagt Frank Geppert, Sozialarbeiter der Organisation Freie Hilfe Berlin. Dem Kriminologen Arthur Kreuzer von der Uni Gießen zufolge sind 80 Prozent der Vergehen älterer Menschen Ladendiebstähle.

Flucht aus dem realen Leben

Manche Senioren flüchten sich allerdings in die Kleinkriminalität, weil sie sie als Abenteuer in ihrem sonst so tristen Leben betrachten. Manch einer wünscht sich sogar, erwischt zu werden: So schenkt ihm (oder ihr) wenigstens der Ladendetektiv etwas Aufmerksamkeit, wenn es sonst schon niemand tut. Aber Sozialarbeiter Geppert befürchtet, dass ein Senioren-Gefängnis die Insassen nur noch weiter in die Isolation treiben würde. "Das wäre wie in einem Altenheim: Diejenigen, die noch geistig fit sind, würden zusammen mit denen weggeschlossen, die vielleicht schon senil sind", sagt er.

Auch der 72-jährige Siegfried Müller (Name von der Redaktion geändert) ist geteilter Meinung über den Alten-Knast. Die Thematik ist ihm vertraut: Sein ganzes Leben lang saß er immer wieder im Gefängnis. Über 60 Jahre war er alt, als er seine vorerst letzte Strafe verbüßte. Müller macht sich Sorgen, dass er sich im Senioren-Gefängnis um die Schwachen kümmern müsste oder, schlimmer noch, mental abbauen würde. Andererseits fände er ein Gefängnis mit älterer Klientel nicht so schlecht - wenn er denn noch einmal hinter Gitter müsste. "Nicht, dass ich vorhabe nochmal einzusitzen", sagt er. "Aber ich hätte nichts dagegen, wenn es da drin ein bisschen leiser wäre, während ich mit meinen Hausschuhen über den Gang schlurfe."