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Klinsmann: Straßenkicker, Profifußballer, Hoffnungsträger

Das Gespräch führte Guido Baumhauer16. November 2004

Deutschland wird 2006 Weltmeister. Daran lässt Bundestrainer Jürgen Klinsmann im Gespräch mit DW-WORLD keinen Zweifel. Von einem positiven Bild der Nationalmannschaft könne das ganze Land profitieren.

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Jürgen Klinsmann im Interview mit DW-WORLDBild: DW

DW-WORLD:

Herr Klinsmann, Sie sind gelernter Bäcker. Das heißt: Sie haben morgens Brötchen gebacken und nachmittags Fußball gespielt bevor Sie Profifußballer wurden. Sind Sie ein richtiger Straßenkicker?

Jürgen Klinsmann:

Ja, ich glaub' schon, dass meine Generation ohnehin voll war mit Straßenkickern, weil für uns gerade das nichtorganisierte Fußballspiel, also außerhalb des Vereins enorm wichtig war. Wir waren jeden Tag draußen auf dem Bolzplatz oder auf einer Wiese oder egal wo auch immer und haben uns halt unsere Zeit vertrieben - mit Fußball. Wir hatten nicht allzu viele Möglichkeiten, andere Dinge zu tun. Entweder war's Fangen-Spielen oder Fußball. Und ich denke, diesem Straßenfußball habe ich mein Talent zu verdanken, letztendlich dann auch die Profi-Karriere.

Als Präsident der "Stiftung Jugendfußball" setzen Sie sich ein für Straßenfußball. Dabei sollen durch den Fußball Toleranz und Verständnis vermittelt werden. Kann Fußball das?

Natürlich. Fußball kann noch viel mehr, weil Fußball in allen Bereichen in unser Leben eingreift. Ob das in der Erziehung ist oder ob das in der Form ist, sich auszutoben, um Aggressionen abzubauen, ob es in Form ist, sich zu integrieren in die Gemeinschaft. Ob es in der Form ist, eine Blickweise zu bekommen für die Welt, für internationale Dinge. Wenn ich mich mit Brasilien oder Argentinien als Fußball-Land auseinandersetze, setze ich mich automatisch auch mit der Kultur auseinander - also, der Fußball geht überall rein in unsere Gesellschaft und deswegen ist es das optimale Transportmittel letztendlich, um Leute zu erreichen.

Für die Kinder sollen die Fußballer Vorbilder sein. Nun gibt es aber Fußballer, die den Ball auch gern mal mit der Hand ins Tor schlagen oder sich einfach fallen lassen, also eine Schwalbe machen. Ein Nationalkeeper wie Oliver Kahn steckt seinem Nationalmannschaftskollegen Klose schon mal in einem Bundesligaspiel den Finger in die Nase. Taugen deutsche Fußballer als Vorbilder?

Ja, natürlich. Weil der Fußball voller Emotionen ist. Wenn Dinge vorkommen, die jetzt vielleicht mal ein bisschen negativer sind, dann hat das auch mit Emotionen zu tun, weil Emotionen gehen immer in beide Richtungen los, zum einen schön positiv, und zum anderen auch mal ab und zu negativ. Und das ist ja eigentlich das Faszinierende am Fußball, dass man nie vorher weiß, was in einem Spiel passieren kann. Und das gilt ja auch im Alltag, zuhause bei der Familie oder mit Freunden, dass man nicht immer alles perfekt macht und deswegen machen auch Fußballer nicht alles perfekt, wie jeder andere Mensch auch. Fehler sind dafür da, daraus zu lernen. Und ich glaube, mit jeder Aktion, jetzt sagen wir einmal, ein Tor schießen mit der Hand oder es passiert irgend was anderes, dann lernt der Spieler und gesteht auch einen Fehler ein. Dann entwickelt er sich auch weiter.

Sie haben das Image des ewig gutgelaunten, strahlenden Sympathieträgers. Nervt Sie das manchmal - immer der nette "Klinsi" zu sein?

Ich denke, ich bin wie jeder andere auch - ein Mensch mit ein paar Haken und Ösen im Prinzip. Es ist nicht immer alles positiv - man ist nicht immer gut drauf aber in meinem Naturell ist es einfach so, dass ich eigentlich meistens gut drauf bin. Wir machen alle diese Aufs und Abs durch und haben unsere Höhen und Tiefen als Menschen. Es ist wichtig, dass man in einem stabilen Umfeld mit den Problemen umgeht und dafür ist auch die Familie enorm wichtig.

Lesen Sie auf der nächsten Seite warum Jürgen Klinsmann findet, dass Deutsche sich mit Reformen besonders schwer tun.

DW-WORLD:

Ihr Arbeitgeber, der Deutsche Fussball Bund (DFB) ist nicht nur der größte Sportverband der Welt, sondern auch wahrscheinlich eine der größten und reformbedürftigsten Baustellen in Deutschland. Warum sind die DFB-Funktionäre so aufgeschreckt seit Sie Bundestrainer sind?

Jürgen Klinsmann:

Oh, ich weiß nicht, ob die jetzt aufgeschreckt sind. Generell ist es halt so, wenn man von außerhalb in ein neues Umfeld reinkommt, dann schaut man sich das an und ich bin ja nicht allein da rein. Ich bin ja mit dem Joachim Löw [Assistenztrainer] und Oliver Bierhoff [Sportmanager] an diese Aufgabe herangegangen. Jetzt haben wir mit dem Andreas Köppke [Torwarttrainer] noch jemand dazugewonnen, der ähnlich denkt wie wir. Und wenn man Dinge anders sieht, dann versucht man natürlich auch, diese Dinge zu ändern, was wir hier und da gemacht haben. Und jede Änderung in so einem großen Verband wie dem DFB ist natürlich gewöhnungsbedürftig.

Dass unsere Vorschläge intern ein bisschen Verunsicherung erzeugen ist normal. Letztendlich hat ein Verband einen ungeheuren Aufgabenbereich. Der DFB hat über 6 Millionen Mitglieder, hat Regionalverbände, Landesverbände. Die alle zufrieden zu stellen, alle glücklich zu machen, das ist eine gigantische Aufgabe. Dass sich da natürlich irgendwo gewisse Strukturen ein bisschen festgesetzt haben und ein bisschen starr wurden über Jahre hinweg, ist vielleicht auch verständlich. Ist bei unseren Behörden wahrscheinlich auch nicht anders. Und da kommen wir jetzt rein und ändern ein paar Dinge hier und da.

Wie der DFB, braucht ja auch Deutschland dringend Reformen. Einige Probleme sind: Bildungsmisere, geringes Wirtschaftswachstum, fehlender Aufschwung. Darüber gibt viel Lamento und Verzagtheit. Und so eine Aufbruchstimmung, wie Sie sie im Moment in der Nationalmannschaft erzeugen, die wäre für das gesamte Land notwendig. Was raten Sie dem Teamchef der Bundesregierung: Gerhard Schröder?

Nein, also da erlaube ich mir keine Ratschläge. Bei uns im Sport ist es natürlich so, dass die Dinge, die wir jetzt angepackt haben, auch deswegen positiv verliefen, weil parallel auch die Ergebnisse dafür da waren. Also sprich: Wir haben zwei Spiele gewonnen, eines unentschieden gespielt, ein tolles Spiel gegen Brasilien. Da reformiert es sich natürlich leichter, wenn man parallel gleich Erfolgserlebnisse hat.

In der Politik oder Wirtschaft kommen Erfolgserlebnisse wahrscheinlich eher langfristiger. Und da die Leute von Reformen zu überzeugen ist wesentlich schwieriger. Ich glaub' wir Deutschen sind so, wir möchten immer gerne Reformen, wir möchten gern Änderungen - aber wenn sie dann kommen, dann ist es uns doch immer etwas unrecht, weil wir kommen dann etwas aus dem Alltagstrott wieder heraus. Also ich wünsche mir, dass Gerhard Schröder das durchsteht und das macht er auch, er hat da unheimlich viel Energie und Überzeugungskraft. Aber da jetzt ihm Ratschläge zu geben, das mach’ ich mit Sicherheit nicht.

Auf der nächsten Seite erfahren Sie, warum Deutschland im Jahr 2006 Weltmeister wird.

DW-WORLD:

Die Grundstimmung in Deutschland - das werden Sie auch von Ihrem Wohnsitz in den USA mitbekommen - ist ja sehr schnell eher negativ, eher pessimistisch. Haben Sie nicht Sorge, dass das Ihren jungen Spielern auf's Gemüt schlägt?

Jürgen Klinsmann:

Nein, also wir sind voller Zuversicht, dass sich auch eine gewisse positive Grundstimmung, die wir vorantreiben in unserem Team mit Oliver Bierhoff, Joachim Löw, Andy Köpke, das sich das auch überträgt auf die Mannschaft. Fußball ist ein Spiel von Emotionen, aber es basiert auch auf Selbstvertrauen. Wenn ich Selbstvertrauen habe, dann gehe ich eine Aufgabe dementsprechend an und habe wesentlich mehr Möglichkeiten, zum Erfolg zu kommen als wenn ich jetzt Bammel habe vor einer Aufgabe. Und unser Job ist es, dieser Mannschaft Schritt für Schritt Selbstvertrauen zu geben Richtung 2006.

Wir werden hier und da mal einen Rückschritt erleben, also auch mal ein Spiel verlieren, aber letztendlich ist es wichtig, dass man über zwei Jahre hinweg eine Entwicklung in der Gemeinschaft beobachten kann, die positiv ist, weil dann gehen sie mit der dementsprechenden Überzeugung rein in das WM-Turnier. Diese Mannschaft hat ein sehr hohes Potential, also viele große Talente - auch junge Talente sind da. Wir haben immer gesagt, wir haben nicht so viele Talente. Das Gegenteil ist der Fall. Wir haben sehr viele junge Talente und jetzt müssen wir ihnen arbeiten, damit sie sich diese Aufgaben auch zutrauen.

Kann denn auch Deutschland von so einer positiven Stimmung wie in der Nationalmannschaft profitieren? Was bedeutet die WM 2006 für Deutschland?

Enorm viel. Ich denke, wenn man zurückschaut in der Geschichte, jedes Mal, wenn die deutsche Nationalmannschaft eine Weltmeisterschaft gewonnen hat, dann hatte das eine große gesellschaftliche Bedeutung. Also für das Land, für die Leute, vom Selbstwertgefühl her, vom Stolz her. Wir möchten, dass da eine Mannschaft auftritt, mit der sich die Leute identifizieren, auf die sie stolz sind. Wenn sie ihre Nationalmannschaft sehen, dann soll die Nationalmannschaft auch Vorreiter der positiven Stimmung sein.

Wenn man zurückschaut, was die 1954er Mannschaft bewirkt hat mit dem Wunder von Bern, was die 1974er Mannschaft bewirkt hat - auch in der weltpolitisch sehr angespannten Situation Anfang der 70er Jahre. Dann kam die Wende 1989/90 als wir dann Weltmeister wurden, also auch zu einem historischen Moment. Und jetzt zu einer Globalisierung wäre es jetzt natürlich was Traumhaftes, wenn wir da jetzt wieder einen Riesenschritt machen könnten. Also, es hat immer etwas mit der Verflechtung der Gesellschaft, was die Nationalmannschaft macht.

Sie haben eine ganz klare Ansage gemacht: Deutschland wir 2006 Weltmeister. Wen schlagen wir im Finale 2006?

Ich hätte nichts dagegen, wenn es Brasilien wäre. Die haben wir ja neulich schon in Berlin gehabt.

Wie schätzen Sie denn das Standing des deutschen Fußballs im Ausland ein?

Das Standing des deutschen Fußball weltweit ist nach wie vor sehr hoch. Also, natürlich verfolgt man da auch die Höhen und Tiefen, die wir durch machen und es wird im Ausland auch ein bisschen gelästert darüber, wenn's mal nicht so gut läuft. Aber im Prinzip ist es so, wenn es ins Turnier geht, dann hat alle Welt enorme Achtung und Respekt für uns, weil sie sagen, okay, irgendwie schaffen die Deutschen schaffen es immer, wenn ein großes Turnier kommt, sich zusammenzureißen. Deswegen ist da auch ein psychologischer Faktor mit drin, der uns einen Vorteil gibt in Richtung 2006. Und wenn wir die Länderspiele angehen, dann ist auch ein großer Respekt beim Gegner da. Denn wir spielen zuhause, und wir haben in der Geschichte gezeigt, dass wir im richtigen Moment da sind und das kann auch ein kleiner Vorteil für uns werden.