Klimaerwärmung - die Milch macht‘s
14. Februar 2012Wer Milch verträgt, verdankt das einer Mutation. Vor 7000 Jahren, mit dem Beginn der Landwirtschaft, vollzog sich eine Genmutation, die es den Menschen heute möglich macht, Milch auch als Erwachsener verdauen zu können. Denn eigentlich können nur Babys die in der Milch enthaltene Laktose vertragen.
Kaum ein Lebensmittel hat so ein positives Image - Milch gilt als besonders gesund und nährstoffreich. Doch der Milchkonsum ist nicht unproblematisch. Zum einen wird die Milchviehhaltung vielerorts durch steigende Temperaturen immer schwieriger. Außerdem entfallen immerhin vier Prozent der globalen Treibhausemissionen auf den Molkereisektor, wie eine Studie der Welternährungsorganisation belegt. Ob und wie wir unsere Ernährung umstellen müssen, erläutert der Ernährungsphysiologe und ehemalige Leiter des Instituts für Tierernährung in Braunschweig, Professor Gerhard Flachowsky.
GLOBAL IDEAS: Sind Milchprodukte für eine ausgewogene Ernährung notwendig?
Gerhard Flachowsky: Lebensmittel tierischer Herkunft, wie Fleisch, Milch oder Eier, sind nicht unbedingt für die Ernährung des Menschen erforderlich, wie Veganer weltweit belegen. Allerdings ist durch Ergänzung der pflanzlichen Diät eine stabilere Versorgung des Menschen mit lebensnotwendigen Aminosäuren, Spurenelementen und Vitaminen möglich. Empfohlen wird, den Eiweißbedarf zu etwa einem Drittel mit Lebensmitteln tierischer Herkunft abzudecken. Diese Empfehlung scheint mir für Entwicklungsländer besonders bedeutsam, da dort eine optimale Ergänzung veganer Ernährung kaum oder nur mit großen Mühen möglich sein dürfte. Besonders bedeutsam ist diese Empfehlung für schwangere und stillende Frauen sowie für Säuglinge, Kinder und Jugendliche.
Ist es klimatisch überhaupt vertretbar, Milch zu trinken, und welchen Anteil hat die Milchwirtschaft am Klimawandel?
Milch für den menschlichen Verzehr wird im Wesentlichen von Wiederkäuern, wie Rindern, Schafen, Ziegen und auch Kamelen erzeugt. Wiederkäuer haben ein spezielles Verdauungssystem. In ihren Vormägen leben Mikroorganismen, die verschiedene Nährstoffe abbauen und so für das Tier nutzbar machen können.
Das Problem ist die Methanbildung im Pansen der Wiederkäuer und der relativ hohe Treibhausgasfaktor des Methans. Es ist etwa 23mal klimaschädlicher als CO2. Dadurch werden Wiederkäuer in die Ecke der Umweltsünder geschoben. Es gibt verschiedene Bemühungen, diese Emissionen zu senken, die jedoch alle Grenzen haben. Der hohe Treibhausgasfaktor des Methans führt demnach zu hohen Carbon Footprints. Bei Wiederkäuerprodukten entfallen 50 bis 80 Prozent des Carbon Footprint auf Methan.
Anstrengungen, Kühe durch Bakterien-Impfungen oder Spezialfutter "methanärmer" zu machen, sind aus Expertensicht unrealistisch. Denn eine Milchkuh ist ein Hochleistungsproduzent. Jede Beeinflussung der komplizierten Bakterienflora, die die Gärung im Kuhmagen verursacht, ist ein schwieriges Unterfangen. Die Kuh selbst kann man wohl nicht am "Aufstoßen" von Methan hindern, aber es gibt andere Möglichkeiten, die Kuh-Emissionen zu verringern: In den USA etwa unterstützt das Landwirtschaftsministerium die Bauern beim Kauf von Biokonvertern. So wird der Kuhmist in saubere Elektrizität verwandelt.
Macht es Sinn, auf die Milch anderer Tiere, wie Ziegen und Kamele umzusteigen, oder sind einzig Tofu oder Getreideprodukte wie Hafermilch ein Ausweg aus der Klimamisere?
Ziegenmilch hat einen vergleichbaren Carbon Footprint wie Kuhmilch. Allerdings gilt die Ziege als die Heuschrecke unter den Weidetieren und kann durch ihr Fressverhalten wesentlich zur Minderung der Qualität des Bodens beitragen. Der Carbon Footprint für Schafmilch dürfte höher liegen als die der Ziegenmilch, für Kamelmilch sind mir keine Werte bekannt.
Die Bemühungen um "imitierte" Lebensmittel, zum Beispiel Sojamilch oder "Fleisch" aus pflanzlichen Proteinen sind relativ alt - beginnend bereits in der Mitte des vorigen Jahrhunderts - und haben leider bisher nicht zu großen Durchbrüchen geführt. Momentan fehlt für den Ersatz tierischer Lebensmittel durch pflanzliche "Imitationen" eine breite Akzeptanz. Sicherlich besteht hier großer Forschungsbedarf.
Auch Soja-Produkte sind, was den Carbon Footprint angeht, nicht unproblematisch. Werden die nach der Ernte übriggebliebenen Soja-Halme biologisch abgebaut, entsteht Lachgas. Das Gas ist beinahe 300 Mal so schädlich für das Klima wie CO2. Für den Sojaanbau werden zudem große Waldflächen gerodet und damit wichtige Ökosysteme zerstört. Allein im Amazonas-Becken verliert der Regenwald jedes Jahr rund eine halbe Million Hektar an den Sojaanbau, schätzen Experten vom Smithsonian Tropical Research Institute in Panama. Das bedeutet rund 100 Millionen Tonnen CO2, die pro Jahr mehr frei werden. Also, ob Steak oder Tofuburger - das regionale Produkt ist in jedem Fall das klimafreundlichere.
Wie wird sich der Klimawandel in den nächsten Jahrzehnten auf die Milchwirtschaft auswirken? Was sind sinnvolle Anpassungsmaßnahmen?
Temperaturanstieg, unbeständiges Wetter und erhöhte CO2-Konzentration in der Atmosphäre machen eine bessere Futtervorratswirtschaft nötig. Futterpflanzen verholzen schneller und werden dadurch schlechter verdaulich. Die steigenden Temperaturen werden es erforderlich machen, Tiere und Ställe in heißen Perioden zu kühlen. Und es wird neue Krankheiten bei Pflanzen und Tieren geben. Auf der anderen Seite sind auch höhere Erträge bei verschiedenen Pflanzen zu erwarten, wenn ausreichend Wasser, entsprechende Sorten und Pflanzennährstoffe zur Verfügung stehen und der in größeren Mengen verfügbare Pflanzennährstoff CO2 in der Atmosphäre optimal genutzt werden kann.
Und was muss in der Landwirtschaft passieren, um sich den Veränderungen anzupassen?
Die nachhaltigsten Anpassungsmaßnahmen sind züchterische Maßnahmen mit Pflanzen, wie zum Beispiel sogenannte Low Input Varieties, die hohe und stabile Erträge garantieren. Außerdem muss die Relation zwischen aufgenommenen Nährstoffen und tierischer Leistung optimiert werden, damit die Emissionen pro Lebensmittel sinken. Rein pragmatisch könnte man daraus ableiten - Leistung hoch und Tierzahl runter. Gegenwärtig bestehen viele Arbeitsgruppen, die sich intensiv mit der Thematik auseinandersetzen - Wunder oder schnelle Lösungen sollten wir aber in diesem, über Jahrtausende entwickelten System der Haustierhaltung nicht erwarten.
Das Interview führte Wiebke Feuersenger.