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Neu im Kino: "Kleine Germanen"

Jochen Kürten
8. Mai 2019

Ein aktueller Dokumentarfilm weist auf ein weitgehend unbekanntes Phänomen der rechtsnationalen Szene in Deutschland hin. "Kleine Germanen" zeigt, wie Erziehung und rechte Ideologie schon bei Kindern Fuß fasst.

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Kleine Germanen
Bild: Little Dream Pictures

Die beiden Regisseure Frank Geiger und Mohammad Farokhmanesh haben lange recherchiert. Ihr Dokumentarfilm mit dem harmlos klingenden Titel "Kleine Germanen" dürfte vielen Zuschauer das Blut in den Adern gefrieren lassen.

Rechtspopulistisches Gedankengut ist in Deutschland und ganz Europa in den letzten Jahren bei vielen Menschen auf fruchtbaren Boden gestoßen. Doch was hat das für politische und gesellschaftliche Folgen - auch für nachkommende Generationen, für Kinder und Jugendliche?

Diese Fragen stellen die Filmemacher in "Kleine Germanen" - in einer ungewöhnlichen Form. Zum einen lassen sie Rechtspopulisten wie Götz Kubitschek, einen bekannten Publizisten und Verleger aus dem rechtsnationalem Spektrum, zu Wort kommen. Ihre Protagonisten äußern sich vor allem zu Erziehungsidealen und zu eigenen Kindheitsträumen. Die Regisseure Geiger und Farokhmanesh verzichten dabei auf Kommentierung und Widerrede. 

Zuschauer werden aufgefordert, selbst zu urteilen 

Kommentierungen dazu kommen von Experten, die sich mit der rechten Szene in Deutschland auskennen. Diese Experten sieht man allerdings nicht im Bild. In weiteren Sequenzen gibt der Film Einblicke in die Szene von Kinder- und Jugendlagern in einem rechtsideologischem Umfeld.

Mit Hilfe animierter Sequenzen erzählt der Kinofilm die Geschichte einer jungen Frau, die aus der rechten Szene ausgestiegen ist - nachdem sie selbst lange eine "Kleine Germanin" war, als Kind also in der Familie mit rechtem Gedankengut erzogen wurde. Da die Frau nicht erkannt werden will und eine neue Identität angenommen hat, haben die Regisseure dafür Zeichentrickszenen genutzt.

Kleine Germanen
Mit animierten Szenen wird die Geschichte der jungen Elsa erzählt, die später aus der rechten Szene aussteigtBild: Little Dream Pictures

Die Geschichte von "Elsa", der jungen Frau, soll auch beispielhaft für eine Kindheit unter "rechtem" Einfluss stehen. Geiger und Farokhmanesh setzten damit in ihrem Film ein kleines Zeichen der Hoffnung: Man kann aussteigen aus der rechten Szene - auch wenn man als Kind jahrelang indoktriniert wurde.

Der Dokumentarfilm "Kleine Germanen" läuft im Mai 2019 bundesweit in den Kinos an. DW-Filmredakteur Jochen Kürten hat mit den beiden Regisseuren zum Filmstart über das schwierige Thema und dessen Umsetzung gesprochen.

Deutsche Welle: Was hat Sie am Thema "Kinder und rechtes Gedankengut in Deutschland" interessiert?

Frank Geiger: Der Ursprung des Filmes war, dass wir auf einen Fall aufmerksam wurden von einem Mädchen, das Diabetes hatte und dessen Eltern ihm Insulin verweigert haben. Das Jugendamt hatte das verfolgt, aber die Eltern sind dann umgezogen mit dem Mädchen - von einem Bundesland zum anderen, um zu verhindern dass das Kind zwangsweise behandelt wird.

Da haben wir uns gefragt: Was steckt dahinter? Und was steckt da für eine Ideologie dahinter? Dann kam raus, dass diese Familie aus dem rechten, völkischen Spektrum kam. Dass sie schon über viele Generationen in dieser "traditionellen" Ecke gelebt haben. Und dass es um die Ablehnung der Schul-Medizin ging, die als "jüdische Medizin" angesehen wurde.

Kleine Germanen
Der Staat und die rechtsnationale Szene: Szene aus dem animierten Teil des Films "Kleine Germanen"Bild: Little Dream Pictures

Die Familie war Anhänger der "Germanischen Neuen Medizin" von Ryke Geerd Hamer (deutscher Arzt, 1935 - 2017, der eine sogenannte "Germanische Heilkunde" propagierte, Hamer wurde 1986 die Approbation entzogen, A.d.R.). Diese Familien haben ja sehr viele Kinder, das ist Teil der Ideologie. Bis zu sieben Kinder, das ist keine Seltenheit.

Das führt natürlich zu der Frage, wie das möglich ist im Deutschland von heute?

Frank Geiger: Das ist ein interessantes Phänomen, dass man in unserer Gesellschaft mit einer freiheitlich demokratischen Grundordnung, in so einer Nische leben kann, wo man sich komplett dieser Gesellschaft und der Demokratie verweigert.

Dann haben wir geguckt, wieviele Kinder in dieser extremen Szene leben. Da sind wir auf eine erschreckende Zahl gekommen. Wenn man hochrechnet, wie viele Familien das sind! Das hat uns interessiert, das Thema Erziehung, und wie man dahin kommt…

Über welche Größenordnung reden wir hier?

Frank Geiger: Wir haben bewusst darauf verzichtet, Zahlen zu nennen, weil wir einen anderen Ansatz hatten. Der Film soll eher zum Nachdenken anregen. Wir wollten die Leute dazu bringen, zu diskutieren und zu überlegen, inwieweit sie selber auch mit solchen Ideen in Kontakt gekommen sind.

Frank Geiger Regisseur
Regisseur Frank Geiger Bild: Little Dream Verleih

Trotzdem die Frage, wie groß muss man sich das Phänomen vorstellen?

Frank Geiger: Wir denken, dass es so an die 20.000 Kinder sind in der völkischen Szene. Wir sind das mit "EXIT Deutschland" (Initiative, die Menschen hilft aus der rechten Szene auszusteigen, A.d.R.) durchgegangen, die einen intensiven Einblick in die Szene haben.

Herr Farokhmanesh, Sie haben noch einen ganz anderen Blick auf das Thema von außen, als gebürtiger Iraner. Was hat Sie besonders interessiert?

Mohammad Farokhmanesh: Ich bin mit 22 Jahren nach Deutschland gekommen. Ich bin ja in einer "Islamische Republik" aufgewachsen, bin dort sozialisiert worden. Auch wenn ich Mohammad heiße, bin ich eigentlich Atheist, habe mit Religion wenig am Hut.

Mohammad Farokhmanesh
Regisseur Mohammad Farokhmanesh Bild: Little Dream Verleih

Aber als ich hierher kam, habe ich diese Erziehung bis in die Mitte der Gesellschaft gespürt. Ich bin in einem Land aufgewachsen, das diktatorisch ist und ich hatte dort nicht so viele Möglichkeiten, mich zu entfalten und weiterzubilden.

Ich habe mir die Frage gestellt: Warum ist das so in einem Land wie Deutschland? Wie kann es sein, dass es noch solche Kinder gibt? Wie kann es sein, dass Kinder so erzogen werden? Dass sie von Grund auf das Fremde hassen? Dass sie allem gegenüber, was ihnen nicht so bekannt vorkommt, mit Hassgefühlen gegenüberstehen?

Als wir angefangen haben, uns mit dem Thema auseinanderzusetzen, haben wir festgestellt, dass es dazu überhaupt keine oder nur wenig Recherchen gibt. Es gibt eine Forschungslücke in dem Bereich.

Sie haben auf eine klassische Dokumentarfilm-Ästhetik verzichtet, auf Kommentierung, Einordnung. Sie lassen die Personen sprechen und die Aussagen für sich selbst stehen. Warum haben Sie sich für diese Form entschieden?

Frank Geiger: Es gibt sehr viele Filme, die sich des Themas Rechtsextremismus annehmen, Dokumentationen, Reportagen. Meistens sind die doch sehr reißerisch, gehen in die Konfrontation. Wir haben gedacht, dass das eigentlich nirgendwohin führt. Das führt zur Bildung von Fronten und zur Ausgrenzung, im Sinne von: "Das sind die Bösen". Das wollten wir nicht.

Wir haben auch mit vielen unserer Experten darüber gesprochen. Die bisherige Auseinandersetzung mit dem rechten Extremismus hat ja nicht dazu geführt, dass er abgenommen hätte. Das hat nur zu einer Verhärtung der Fronten geführt, zu einer Abschottung: Die einen wollen nichts von den anderen wissen.

Rechtspopulist Götz Kubitschek
Einer der Gesprächspartner der Regisseure: Götz Kubitschek, hier bei einer Versammlung von Rechtsnationalen 2016 in DresdenBild: picture alliance/dpa/O. Killig

Unsere Intention war es, dass auch Leute, die in unserer Gesellschaft leben, sich andocken können an diese Gedankenwelt, dass sie sagen können: "Das ist ja interessant, das habe ich ja auch schon gehört, von meinem Opa, das hat dieser Onkel auch immer gesagt."

Wir sind ja nicht unabhängig von unseren Traditionen und von unserer Vergangenheit. Das ist tief, tief drinnen. Überall, nicht nur in sogenannten rechtsextremen Familien, sondern auch bei "Otto Normalverbraucher". Der kann sich auch nicht ganz abkoppeln von solchen Gedanken. 

Man sieht es ja auch, wenn die Gesellschaft in die Krise kommt: So wie 2008 (Weltwirtschaftskrise nach dem Börsencrash, A.d.R.) oder als die Flüchtlinge kamen (im Jahre 2015 stellten über 800.000 Menschen in Deutschland einen Asylantrag, ein sprunghafter Anstieg im Vergleich zu den Vorjahren, A.d.R.) - wo dann viele Leute ganz schnell umfallen, in eine bestimmte politische Ecke, und sich ihr Denken und ihre Meinung ändert, wo sie sich den rechten populistischen Parteien anschließen.

Einer unserer Experten, Andreas Peham aus Österreich (Rechts- und Antisemitismus-Forscher, A.d.R.), nennt das "Extremismus der Mitte". Diesen Ansatz wollten wir zur Diskussion stellen. Deswegen haben wir auf die klassische Herangehensweise verzichtet.

Gab es denn bestimmte Motive, die immer wieder auftauchten bei den Gesprächen mit den Erwachsenen, Motive, die den Kindern und Jugendlichen eingeimpft werden? Mir fiel z.B. auf: "Sehnsucht nach Heimat" oder "Sehnsucht nach einer wohlbehüteten Kindheit". 

Frank Geiger: Ja, das kann man so sagen, das ist auch deren Selbstempfinden: "Wir wollen Heimat." "Wir wollen behütete Kindheit." Was man auch sehr deutlich sieht bei allen unseren Protagonisten, ist ein Leistungsprinzip, was extrem ausgeprägt ist. Bei allen diesen Familien gab es eine starke Vaterfigur, die Druck ausgeübt hat im Sinne von: "Du musst Leistung bringen! Du musst funktionieren!"

Kleine Germanen
Durch die Verfremdung wird den Akteuren Anonymität zugesichertBild: Little Dream Pictures

Das ist deren "Heimat". Das ist sozusagen das Prinzip des Familienoberhaupts: Jemand Starkes sagt, wo es lang geht. Das nennt man dann auch "Geborgenheit" oder "Heimat".

Das ist bei denen sehr ausgeprägt: Dass man klare Ansagen bekommt und nicht groß diskutiert. Gefühle an sich werden ja auch nicht hoch geschätzt. Nur das Gefühl der Liebe zur Heimat oder der Liebe zum Vaterland.

Für mich war die Schlüsselszene des Films, als Götz Kubitschek sagt, dass es letztendlich bei all dem Denken im Kern um etwas Irrationales geht.

Frank Geiger: Ja, richtig. Das haben wir auch intendiert, dass der Zuschauer das nach und nach merkt, dass es da um etwas sehr Irrationales geht.

Hat die Politik das Problem Ihrer Meinung nach eigentlich erkannt? Rund 20.000 Kinder in der rechten Szene, das ist ja eine große Zahl, die auch in die Zukunft weist.

Frank Geiger: Ich glaube nicht, dass dieses Problem in den Fokus gerückt ist. In der Auseinandersetzung mit Rechts ist unserer Meinung nach sowieso eine völlige Hilflosigkeit zu bemerken. Da muss man ganz neu denken. Die klassischen Muster funktionieren nicht mehr.

Das Gespräch führte Jochen Kürten