1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen
Politik

Wenn Wachen vor Synagogen stehen müssen

4. August 2018

Seit Mai dieses Jahres ist Felix Klein der Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung. Im "Interview der Woche" erklärt er, wie er den Antisemitismus in Deutschland eindämmen will.

https://p.dw.com/p/32b0V
Felix Klein - Antisemitismus-Beauftragter der Bundesregierung
Bild: picture-alliance/dpa/Bundesinnenministerium BMI/R. Bertrand

Damals, in der Schule, erzählt Felix Klein, da hatte er jüdische Freunde. "Menschen mit denen ich mich sehr gut verstanden habe und auch heute noch befreundet bin."  Dann, mit 18 Jahren, reiste er zum ersten Mal nach Israel, im Rahmen eines Orchesteraustauschs. "Wir sind in Haifa am Konservatorium aufgenommen worden und haben Beethoven geprobt." Viele junge Israelis hätten die gleichen Interessen wie er, habe er damals bemerkt, und zugleich sei das Land so anders - orientalisch nämlich. "Das hat mich von Anfang an interessiert und da hab ich gedacht: Ja, das ist ein Land mit dem es sich lohnt, sich zu befassen."

Später dann, als Diplomat, habe er immer mal wieder mit dem Judentum und auch mit Israel zu tun gehabt, berichtet Felix Klein, seit Mai dieses Jahres Antisemitismusbeauftragter der Bundesregierung, im "Interview der Woche" der Deutschen Welle. 2014 war Klein vom Auswärtigen Amt der Posten des Sonderbeauftragten für die Beziehungen zu jüdischen Organisationen angeboten worden. "Ich habe nicht lange gezögert, und daraus ergab sich dann auch, dass ich jetzt Beauftragter der Bundesregierung für jüdisches Leben wurde."

Nach Lage der Dinge dürfte der Posten erhebliche Energien fordern. Monika Schwarz-Friesel, Leiterin einer an der TU Berlin durchgeführten Studie zu Antisemitismus im Internet, nannte kürzlich eine Zahl: 1062. So oft hätten Politiker in den vergangenen Jahren erklärt, man müsse "mit aller Härte" gegen Antisemitismus vorgehen.

Aber folgen den Worten auch Taten, sprich, öffentliche Stellungnahmen, Solidaritätskundgebungen und vor allem entsprechend konsequente Gerichtsurteile? Nein. Die Konsequenz bleibt aus, heißt es in der im Juli veröffentlichten Studie. "Das sind Floskeln, ich sehe diese Härte nicht", so Schwarz-Friesel.

Deutschland Tag der Kippa in Bonn
Zusammenstehen: Solidaritätskampagne "Tag der Kippa" in Bonn, Juli 2018 Bild: picture-alliance/dpa/F. Gambarini

Antisemitismus kennt viele Formen. Er habe immer wieder auch im privaten Umfeld Vorurteile gegen Juden zur Kenntnis genommen, berichtet Klein, auch den sogenannten sekundären Antisemitismus, der seine Motive vor allem aus der Politik bezieht. "Wenn es etwa heißt, die Juden müssen sich ja nicht wundern, wenn es in Europa zu Angriffen kommt." Auch das Verhältnis zwischen Israel und den Palästinensern sei ein Quell dieses Antisemitismus. "Das ist nicht anders als die Art, in der die Nazis die Juden in den 40er Jahren behandelt haben."

"Jahrhundertealte Bilder"

"Weltverschwörung", "Kindermörder", "Zionistenclans" - die Berliner Studie listet einige der Vokabeln, die durch das Internet spuken: kompakte, leicht fassbare Formeln, nicht ohne Wirkung auf jene, die sich mit Schlagworten begnügen.

"Es sind eben diese jahrhundertealten Bilder und Argumentationsketten, die immer wieder funktionieren", sagt Felix Klein. "Diese furchtbaren antisemitischen Bilder kommen immer wieder vor." Besonders empört ihn, dass die Antisemitismuskritik aus der Zeit nach der Naziherrschaft in Deutschland zu Teilen in Auflösung begriffen sei. Ein Beispiel dafür seien die Äußerungen des AfD-Fraktionsvorsitzenden Alexander Gauland. "Sein Ausdruck, die zwölf Jahre der Nazizeit seien ein Vogelschiss in der Geschichte gewesen, besorgt mich, denn in dieser Atmosphäre können antisemitische Theorien wieder blühen."

Es bleibt nicht bei verbalen Ausfällen. Der jüdische Gastronom Yorai Feinberg musste im Dezember vergangenen Jahres eine antisemitische Anfeindung vor seinem Berliner Lokal, auf offener Straße, erleben. Das Video von dem Vorfall stellte er anschließend ins Internet. Es fallen Worte wie "Wir wollen euch hier nicht" und "Gaskammer". Und im April attackierte ebenfalls in Berlin ein junger syrischer Flüchtling zwei Kippa tragende Männer. Im darauffolgenden Gerichtsprozess wurde er zu vier Wochen Arrest verurteilt.

Reichskristallnacht in Berlin
Dunkles Erbe: Die brennende Synagoge in der Berliner Fasanenstraße im November 1938Bild: Getty Images

"Antisemitismus zeigt sich unverhohlen"

Diese Entwicklung besorge ihn sehr, sagt Felix Klein. "Meiner Auffassung nach hat es den Antisemitismus in Deutschland immer gegeben. Er hat sich aber nicht so unverhohlen gezeigt wie er es eben jetzt tut. Das ist das Neue und das hat ganz stark mit dem Internet zu tun, das zu einer Enthemmung beigetragen hat. Was mich zudem besorgt, ist der Umstand, dass diese virtuelle Welt der realen Welt immer ähnlicher wird und negative Rückwirkungen auf unseren persönlichen Umgang hat."

Wie geht man gegen Antisemitismus vor? Klein verweist auf das im vergangenen Jahr erlassene Netzwerkdurchsetzungsgesetz. Dieses müsse verstärkt angewandt werden. Zudem komme es darauf an, die politische Sensibilität zu erhöhen. Wer antisemitische Inhalte im Internet sehe, solle diese auch melden.

Einer vom Innenministerium herausgegebenen polizeilichen Statistik zufolge werden 90 Prozent der antisemitischen Straftaten von Rechtsradikalen verantwortet. Klein setzt sich dafür ein, die Statistik "noch einmal anzusehen". Die Zahlen seien erstaunlich. "Wenn wir Juden fragen, dann empfinden sie etwas Anderes - vor allem, was die physischen Angriffe angeht. Da wird der von Muslimen ausgehende Antisemitismus als sehr viel größer wahrgenommen."

Screenshot Youtube Antisemitischer Angriff in Berlin
Erschütternde Szene: Ein junger Flüchtlinge attackiert im Frühjahr 2018 zwei Kippa tragende MännerBild: Jüdisches Forum JFDA

Von Muslimen ausgehenden Antisemitismus

Zugleich verwahrt sich Klein gegen den Begriff "muslimischen Antisemitismus". Dieser sei falsch, "denn er bringt den Islam als Religion in direkten Zusammenhang mit Antisemitismus. Das halte ich nicht für zutreffend."

Allerdings gebe es einen von Muslimen ausgehenden Antisemitismus. "Der ist in der Tat ein wachsendes Problem, eine große Herausforderung, der wir uns stellen müssen, insbesondere in Zusammenhang mit der großen Flüchtlingskrise von 2015. Hier haben wir es ja mit Menschen zu tun, die in Ländern sozialisiert wurden, in denen Antisemitismus an der Tagesordnung ist, sogar fast zur Staatsdoktrin gehört. Hier haben wir eine gewaltige Integrationsaufgabe vor uns." Sagen müsse man aber auch: "Diese Menschen sind nicht zu uns gekommen, um Antisemitismus zu verbreiten, sondern weil sie um ihr Leben gefürchtet haben; und deswegen bieten wir ihnen ja auch Schutz."

Umso besorgniserregender und beschämender sei aber der Umstand, dass Synagogen in Deutschland weiterhin bewacht werden müssten. "Das ist nicht hinzunehmen. Wir dürfen uns überhaupt nicht daran gewöhnen, Polizeiwagen zu sehen vor jüdischen Einrichtungen. Hier werde ich mit aller Kraft mich dafür einsetzen, dass wir diesen Zustand bald beenden können."

DW Kommentarbild | Autor Kersten Knipp
Kersten Knipp Politikredakteur mit Schwerpunkt Naher Osten und Nordafrika