Viele Kirchengemeinden engagieren sich für Flüchtlinge. Es wird gern gesehen, wenn sie spenden oder Flüchtlinge betreuen. Dass Kirchen Menschen aufnehmen, ihnen Kirchenasyl geben, wird von der Politik aber kritisiert.
„Schläge von der Polizei, kein Wasser, kein Essen“, so beschreibt der 16-jährige Ali die Situation im Flüchtlingslager in Bulgarien. Deshalb floh er nach Deutschland. Nach den europäischen Asylregelungen müssen Asylverfahren aber in dem EU-Staat entschieden werden, den ein Flüchtling zuerst erreicht. Die Behörden wollten den afghanischen Jugendlichen deshalb nach Bulgarien zurückschicken. Davor hatte er Angst. Jetzt lebt er in der katholischen Kirchengemeinde St. Joseph im bayerischen Tutzing im Kirchenasyl.
Die Kirche bietet ihm Schutz und versucht, zu erreichen, dass Deutschland sein Asylverfahren übernimmt. Damit ist Ali eine Ausnahme. Denn nur etwa 0,3 Prozent aller Erstanträge auf Asyl werden aus dem Kirchenasyl gestellt, sagt Dieter Müller. Er berät Kirchengemeinden, die Flüchtlinge aufnehmen. Meist sind es Fälle wie Alis: Die Menschen kamen zuerst in Ländern wie Bulgarien, Ungarn oder Italien an, aus denen Betroffene und Hilfsorganisationen Menschenrechtsverletzungen und eine schlechte Behandlung der Flüchtlinge melden.
Die Kirchengemeinden verstecken die Flüchtlinge aber nicht, sondern informieren die Behörden, die jederzeit eingreifen könnten. Doch das Kirchenasyl, das es seit Beginn der christlichen Kirche gibt, wird allgemein akzeptiert. In Bayern ist es besonders verbreitet. Aber jetzt gibt es Kritik von der Landesregierung: „Wir halten das für nicht vereinbar mit der Rechtsordnung“, sagt ein bayerischer Regierungssprecher. Der deutsche Innenminister Thomas de Maizière spricht sogar von einem „Missbrauch des Kirchenasyls“.
Pfarrer Peter Brummer aus Tutzing kann das nicht verstehen. Er findet das Kirchenasyl in Ausnahmefällen wie bei Ali sehr wichtig. Nur so, meint er, kann man erreichen, dass die Regeln des Rechtsstaats und die Menschenrechte eingehalten werden. Oft gelingt das. Die Arbeitsgemeinschaft „Asyl in der Kirche“ schätzt, dass die Flüchtlinge in 70 bis 90 Prozent der Fälle zunächst bleiben können. Denn nach sechs Monaten haben sie Anspruch auf ein Asylverfahren in Deutschland.
Glossar
Kirchenasyl (n., nur Singular) – die zeitweise Aufnahme von Personen in einer → Kirchengemeinde zu deren Schutz
Kirchengemeinde, -n (f.) – alle Mitglieder einer christlichen Gruppe in einem bestimmten Gebiet
sich für jemanden engagieren – sich für jemanden einsetzen; so handeln, dass es für jemanden gut ist
Flüchtling, -e (m.) – jemand, der wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität oder politischen Überzeugung verfolgt wird und daher Schutz in einem anderen Land sucht
etwas spenden – etwas verschenken, um Menschen oder Organisationen zu helfen
Flüchtlingslager, - (n.) – eine Unterkunft für → Flüchtlinge
fliehen – hier: einen Ort aus Angst vor etwas verlassen
Asylverfahren, - (n.) – der Prozess, in dem ein Antrag auf Asyl geprüft und über ihn entschieden wird
Fall, Fälle (m.) – das Beispiel; die Angelegenheit
Betroffene, -n (m./f.) – hier: das Opfer
ein|greifen – in einer Sache aktiv werden; in einer Sache handeln
etwas akzeptieren – etwas so annehmen, wie es ist
verbreitet sein – häufig vorkommen
etwas für etwas halten – etwas als etwas bewerten
mit etwas vereinbar sein – mit etwas übereinstimmen; zu etwas passen
Missbrauch, -bräuche (m.) – die falsche Verwendung von etwas
etwas ein|halten – nach etwas handeln; etwas befolgen
Anspruch auf etwas haben – das Recht auf etwas haben
Fragen zum Text
1. Die deutschen Behörden handeln nach den europäischen Asylregelungen und …
a) wollen den 16-jährigen Ali darum nach Afghanistan zurückschicken.
b) fordern deshalb, dass Ali nach Bulgarien geht und dort einen Antrag auf Asyl stellt.
c) möchten Alis Asylverfahren daher in Deutschland entscheiden.
2. Was stimmt nicht?
a) In Kirchen finden Flüchtlinge Unterkunft und Schutz, die sonst in andere Länder zurück müssten.
b) Meist kümmert sich die Kirche um solche Flüchtlinge, denen in anderen Ländern schlechte Behandlung oder Gewalt drohen.
c) Die Vertreter der Kirchen erreichen immer, dass die Flüchtlinge in Deutschland bleiben können.
3. Die Politik …
a) akzeptiert das Kirchenasyl.
b) kritisiert, dass vor allem Bayern es oft anwendet.
c) meint, dass das Kirchenasyl nach bestehendem Recht falsch ist.
4. Welche Präposition passt? Wenn Flüchtlinge sechs Monate in Deutschland waren, haben sie Anspruch … ein Asylverfahren.
a) an
b) auf
c) für
5. Welche Präposition passt? Die Politiker halten das Kirchenasyl … falsch.
a) für
b) zu
c) vor
Arbeitsauftrag
Findet ihr es richtig, dass Flüchtlinge in Kirchen Asyl finden, obwohl die Behörden sie eigentlich in andere Länder zurückschicken wollen? Diskutiert im Kurs.