1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Kippa, Kreuz und Kopftuch

Erning Zhu14. September 2007

Religion erlebt weltweit eine Renaissance. Die säkularen Gesellschaften diskutieren aufgeregt, wie viele religiöse Symbole dem öffentlichen Raum zuzumuten sind.

https://p.dw.com/p/BbIF
Frau mit Kopftuch in den Farben der deutschen Fahne, Quelle: dpa
Junge Frau mit Kopftuch bei einer Demonstration in KölnBild: dpa

Im Büro des Kirchenrechtlers Professor Stefan Muckel hängt ein Kreuz aus Messing an der Wand, gegenüber ein Foto von Papst Benedikt XVI.. Das sei an der Uni kein Problem, meint der Kölner Professor, denn jeder kann die Dekoration seines Büros frei wählen. Kann er aber das Kreuz auch in seinem Seminarraum aufhängen? Nein, in bestimmten öffentlichen Räumen müsse in dieser Hinsicht "Neutralität" gewahrt werden, zum Beispiel im Gerichtssaal, aber auch in Lehrraum. Man dürfe hier nicht den Anschein erwecken, einer bestimmten religiösen Richtung den Vorzug zu geben.

In Deutschland ist Religion in erster Linie Privatsache. Das Büro des Professors, in dem religiöse Symbole zu sehen sind, ist jedoch kein Privatraum. An dieser Tatsache zeigt sich ein Widerspruch. Deutschland ist einerseits laut Grundgesetz ein säkularer, religiös und weltanschaulich neutraler Staat, der sich stets um die Trennung von Kirche und Staat bemüht. In der Praxis aber mischen sich - anders als etwa in Frankreich mit seiner viel strikteren Trennung der Bereiche - beide in vielfältiger Weise.

Dieser Widerspruch schlägt sich unterschiedlich in der Gesellschaft nieder. In Deutschland gibt es weder eine Staatsreligion noch eine Staatskirche. Trotzdem kooperiert der Staat in vielerlei Hinsicht materiell und ideell mit den Kirchen. Es sei keine Selbstverständlichkeit, so Professor Muckel, dass die Verfassung vorsehe, dass der Staat Steuern für die Kirche eintreibt und der Religionsunterricht in den öffentlichen Schulen ein ordentliches Lehrfach ist. Mit Staatszuschüssen engagiert sich die Kirche in der Bundesrepublik stark im sozialen Bereich, etwa mit Kindergärten, Schulen und Krankenhäusern. "Nicht von ungefähr sind die Kirchen in der Bundesrepublik nach dem öffentlichen Dienst die größten Arbeitgeber", resümiert der Kirchenrechtler.

Rückkehr der Religionen

Die Kirche beklagt zwar gern, dass ihr die Mitglieder scharenweise den Rücken zukehren und sie sich selber in einer Dauerkrise befindet. Hinzu kommt das dadurch bedingte Sinken der Kirchensteuern. In eigenartigem Kontrast dazu vollzieht sich jedoch gleichzeitig eine neue Entwicklung: die Rückkehr der Religion ins gesellschaftliche Leben. Sie ist keinesfalls auf das Christentum beschränkt.

Weltjugendtag 2005 in Köln, Quelle: AP
Pilger drängeln sich am Rhein - der Weltjugendtag 2005 in Köln lockte Menschen aus aller Welt an

Im Mai 2007 feierten rund 500.000 Menschen den deutschen evangelischen Kirchentag in Köln mit einem bombastischen Programm. Im Juli wurde in Hamburg der rote Teppich für den Dalai Lama ausgerollt. 50.000 Zuschauer nahmen an seinen buddhistischen Seminaren teil. Zu erwähnen ist in diesem Zusammenhang sicherlich noch der Weltjugendtag 2006 - die größte internationale Party in Deutschland seit Jahrzehnten.

Lesen Sie im zweiten Teil, warum der Bau von Moscheen immer wieder die Gemüter erregt und was "strikte Gleichbehandlung" der Religionen bedeutet.

Ein Moscheebau ist keine juristische Frage

Wo Religion ist, sind auch Symbole, und alle Religionen drücken sich deutlich sichtbar in Ritualen und Symbolik aus - sie leben davon. Es stellt sich die Frage, wie viele religiöse Symbole eine säkulare Gesellschaft wie Deutschland verträgt, ohne ihren Charakter zu verlieren.

Demonstration gegen Großmoschee, Quelle: dpa
Rechtspopulisten demonstrieren in Köln gegen den Bau einer GroßmoscheeBild: picture alliance/dpa

Rein rechtlich gesehen stehen dem Bau einer Großmoschee in Köln keine unüberwindlichen Barrieren im Wege, zumindest ist der Rechtswissenschaftler Professor Stefan Muckel dieser Meinung. Die Diskussion darüber finde auf der politischen Ebene statt. Wie hoch dürfen die Minarette sein, wie groß die Kuppel, wie demonstrativ das Bauwerk? Überhaupt: Wie viel Moschee verträgt selbst eine doch so liberale Stadt wie Köln? Warum fühlen sich die Menschen, die gegen den Moschee-Bau Sturm laufen, durch dieses Bauwerk gestört? Warum würde ein Kirchenbau kein Problem darstellen, der Moscheebau hingegen sehr wohl? Die Reaktion bleibt nicht aus, die Muslime fühlen sich in ihren religiösen Grundrechten verletzt.

Verboten sind manche nicht-christlichen Symbole

Auch bei den sogenannten "Kopftuch-Urteilen" fühlen sich die Muslime in Deutschland ungleich behandelt. Zwar wurden in den meisten Bundesländern Verbots-Gesetze in öffentlichen Räumen verabschiedet, aber die Verbote sind selektiv und ungleich. In Berlin sind zum Beispiel die Symbole aller Bekenntnisse aus den Klassenzimmern verbannt. In anderen Bundesländern werden hingegen eindeutige Unterschiede gemacht: christliche und jüdische Symbole sind erlaubt, Kopftuch - ein Zeichen des Islams - hingegen verboten.

Trägt eine muslimische Lehrerin ihr Kopftuch im Unterricht, so gilt das einigen "Kopftuch-Urteilen" zufolge als Demonstration des religiösen Bekenntnisses zu einem fundamentalistischen Islam, der die Rechte der Frauen unterdrückt. Zum anderen wird darin auch ein Verstoß gegen die religiöse Neutralität der öffentlichen Schulen gesehen. Mit einer Kippa auf dem Kopf, mit einem Kreuz um den Hals und sogar mit einer katholischen Ordenstracht am Leib darf man als Lehrer in fast allen Bundesländern unterrichten – weil diese Symbole Ausdruck der christlich-abendländischen Tradition sind, lautet fast immer die Begründung der Ländergesetzgebung.

Was bedeutet das aber für das Grundgesetzgebot der staatlichen Neutralität gegenüber allen Religionen und Weltanschauungen? Das Bundesverfassungsgericht wollte ja "strikte Gleichbehandlung" der verschiedenen Glaubensrichtungen.

Diese Frage wird immer mehr ins Zentrum der Debatte rücken, so Gerd-Ulrich Kapteina, Sprecher des Düsseldorfer Verwaltungsgerichts gegenüber der Deutschen Welle. Das Gericht hat am 14. August mit dem jüngsten Urteil das Kopftuch-Verbot für die Lehrerinnen in den Schulen bestätigt, betonte aber gleichzeitig, dass eine Differenzierung, etwa zwischen islamischen und christlichen Religionsgestaltungsmerkmalen unzulässig sei. Neben manch anderen offenen Problemen zeigt das Kopftuchbeispiel auf, vor welche Herausforderungen die Neubelebung der Religionen die säkulare Gesellschaft stellt. Noch hat Deutschland die Antworten darauf nicht gefunden.