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Gesellschaft

Kinder - Teurer Spaß in China

Hao Gui
4. Oktober 2016

Vor neun Monaten beendete China endgültig die Ein-Kind-Politik. Eltern dürfen nun zwei Kinder bekommen. Ein Babyboom bleibt aber aus, denn Kinder sind im Reich der Mitte eine teure Angelegenheit.

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Spielplatz in China (Foto: Getty Images/AFP/J. Eisele)
Bild: Getty Images/AFP/J. Eisele

Der Gesinnungswandel der chinesischen Führung bezüglich der Geburtenkontrolle zeigte sich besonders deutlich in der zentralchinesischen Stadt Yichang. Anfang des Jahres 2016 forderte die Stadt ihre Beamten in einem Brief auf, zwei Kinder zu zeugen. "Junge Genossinnen und Genossen sollen eine Vorbildfunktion übernehmen und die Zwei-Kind-Politik praktizieren. Ältere sollen ihre eigenen Kinder davon überzeugen."

China braucht mehr Kinder. Im Reich der Mitte steht das demografische Dreieck auf dem Kopf. Die Auswirkung der Ein-Kind-Politik ist ähnlich deutlich wie der Geburteneinbruch in Europa nach der Einführung der Anti-Baby-Pille in den 60er Jahren. Die Folge: 2010 hatte China laut Volkszählung 1,3 Milliarden Einwohner. Die Menschen über 65 Jahren machten schon 13 Prozent der Gesamtbevölkerung aus. Das entsprach 185 Millionen Senioren. Experten schätzen, dass die Zahl bis 2026 auf 300 Millionen ansteigen wird.

Seit 1980 bis 2014 galt in China die Ein-Kind-Politik
Seit 1980 bis 2014 galt in China die Ein-Kind-PolitikBild: Getty Images/AFP/M. Ralston

Leicht gesagt, schwer getan

Anfang des Jahres trat die Zwei-Kind-Politik in Kraft. In einer Übergangsphase zwischen 2014 und 2016 war ein zweites Kind erlaubt gewesen, wenn beide Eltern Einzelkinder waren. Doch der erhoffte Babyboom bleibt aus. Nach offiziellen Statistiken kamen 2015 sogar 320.000 Babys weniger zur Welt als im Vorjahr.

Viele Eltern haben nämlich die Sorge, ihren Kindern nicht genug bieten zu können. Denn Kinder zu haben ist in China nicht billig. Die treibenden Kostenfaktoren sind: Ernährung, medizinische Versorgung und Bildung. Das weiß auch Chen Tianming, Initiator der offenen Briefes der Stadt Yichang. Deswegen schreibt er: "Die Eltern sollen sich keine Sorgen um die medizinische Versorgung und die Schulbildung der Kinder machen."

Doch die Adressaten sind skeptisch. Eine Absichtserklärung ohne Maßnahmenkatalog überzeugt die Eltern nicht. "Die Anschaffung ist zwar kostenlos, aber danach wird es teuer", kommentierten viele Empfänger des Briefs in den sozialen Medien.

Sorgen chinesischer Eltern

Junge Eltern in Deutschland erinnern sich noch, dass vor Kurzem die Babynahrung in deutschen Supermärkten lange Zeit ausverkauft war. Die Hersteller kamen der Produktion nicht nach, denn die Nachfrage aus China war immens. Der Hintergrund war, dass sich chinesische Eltern nach einem Milchpulverskandal bei der Auswahl gesunder Babyernährung nicht auf Inlandsprodukte verlassen wollten. Mehrere Hersteller in China hatten Milchpulver mit Melamin gestreckt, um einen höheren Eiweißgehalt vorzutäuschen. Melamin wird normalerweise für die Produktion von Klebstoffen eingesetzt. Die Folgen waren verheerend. In knapp 40.000 bekannten Fällen wurden bei den Säuglingen Nierenschäden diagnostiziert. Offiziell gab es vier Tote.

Deutsche Produkte kosten in China das Doppelte (Foto: picture-alliance/dpa/Dedert)
Deutsche Produkte kosten in China das DoppelteBild: picture-alliance/dpa/Dedert

In einer Umfrage 2011 gaben 70 Prozent der Befragten im Staatsfernsehen CCTV an, sie vertrauen dem Inlandmilchpulver nicht.  Der Preis für deutsche Importe ist hoch. Die Eltern mussten zum Teil das Doppelte für eine Packung Hipp oder Aptamil wie in Deutschland bezahlen, obwohl das Durchschnittseinkommen, selbst in den wirtschaftsstarken Küstenprovinzen, umgerechnet nur knapp 750 Euro monatlich beträgt. Der ohnehin hohe Druck auf chinesische Eltern wurde nochmals erhöht.

Kostspielige Ausbildung

Wenn die Kinder größer werden, brauchen sie einen Platz in der Kindertagesstätte und in der Schule. Die guten Kitas verlangen je nach Stadt zwischen 200 und 500 Euro Monatsbeitrag. Die staatlichen Schulen sind eigentlich kostenlos, aber Schulen mit einem guten Ruf lassen sich diesen bezahlen. Da sich die Eltern für ihre Kinder nur das Beste wünschen, zahlen sie einen erheblichen Betrag, damit der Nachwuchs in eine bessere Schule kommt.

Gute Schule, gute Preise (Foto: picture-alliance/dpa)
Gute Schule, gute PreiseBild: picture-alliance/dpa

In den zahlreichen Megacities liegt die Schule oftmals weit von zu Hause entfernt. Die Eltern kaufen dann zum Teil in der Nähe der Lehranstalt eine Zweitwohnung. Diese sogenannten "Schulhofwohnungen" treiben die Immobilienpreise in die Höhe.

Soziales Problem

"Schauen Sie sich die junge Generation an", appelliert der Soziologe Qing Yang an die Politik. "Sie müssen die Raten für ihre Eigentumswohnung zahlen. Einige haben überhaupt kein Eigentum und werden wahrscheinlich lange Zeit ledig bleiben. Ehefrau? Fragezeichen! Sie wollen, dass ausgerechnet diese Menschen noch ein zweites Kind zur Welt bringen? Selbst beim ersten muss die junge Generation unter den herrschenden Umständen genau rechnen."

Dass diese Probleme auftreten würden, hatte die Parteizentrale bei der Einführung der Geburtenkontrolle 1980 sogar schon vorhergesehen. In einem Offenen Brief an alle Mitglieder der Partei und deren Jugendorganisation schrieb sie damals am 25.09.1980: "Einige Genossen machen sich Sorgen, dass mit der Ein-Kind-Politik andersartige Probleme auftauchen: Überalterung der Gesellschaft, Mangel an Arbeitskräften, Mehrbelastung durch die Versorgung der Eltern. Zum Teil sind die Befürchtungen Missverständnisse, zum Teil lassen sich die Probleme lösen." 36 Jahre später sind die genannten Probleme eingetreten. Als Lösung setzt die Partei auf ein zweites Kind. Doch bisher bleibt der Babyboom aus.