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GesellschaftAfrika

Kinder in Kamerun: Vom Krieg gezeichnet

Cai Nebe
25. Juni 2021

Seit 2016 herrschen in den anglophonen Regionen Kameruns bürgerkriegsähnliche Zustände. Doch vieles bleibt im Dunkeln. Eine Serie von Zeichnungen von Kindern zeigt, wie sehr die Gewalt zum Alltag geworden ist.

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Kamerun Kumba | Kinder zeichnen Bilder von Krieg
Bild: Marc Serna/Reach Out NGO

"Ich habe ihnen gesagt, sie sollen zeichnen, was sie wollen. Nach 15 Minuten hatten die Kinder ihre Aufgabe erledigt. Die meisten von ihnen hatten Waffen, Gewehre und gepanzerte Fahrzeuge gezeichnet", berichtet die Sozialarbeiterin Tatiana Bie aus Kumba im Südwesten Kameruns von einem Einsatz für die kamerunische Nichtregierungsorganisation Reach Out, die mit Konfliktopfern in der anglophonen Region des Landes arbeitet.

Für die Kinder in einem Waisenhaus in der Nähe von Kumba schien es eine harmlose Aufgabe zu sein. In der Region herrscht Bürgerkrieg: Seit 2016 dürfen Kinder nicht mehr zur Schule gehen, weil sich kamerunische Regierungstruppen und Milizen bekämpfen. Schulen, Schüler und Lehrer sind zur Zielscheibe geworden. Tödliche Angriffe auf Schulen, wie das Massaker in Kumba im Oktober 2020, wurden international verurteilt.

Grausame Bilder

Doch die Serie von Zeichnungen, die von etwa 60 Kindern angefertigt wurden, zeigt, dass die Gewalt alles andere als sporadisch ist und eine bedeutende Rolle in ihrem täglichen Leben spielt. "Die Kinder können sogar Waffen unterscheiden", sagt Reach-Out-Koordinator Marc Serna. Er hatte die Übung vorgeschlagen, nachdem er von einem ähnlichen Programm für Flüchtlinge aus Darfur gehört hatte. Die Betreuer hätten die Kinder nicht aufgefordert, Gewaltszenen zu zeichnen, sagt Serna - diese hätten nur Bilder über ihr Leben malen sollen.

Kumba, Kamerun: Kinderzeichnung zeigt Waffen im Detail und Menschen, die geköpft und erschossen werden (gesammelt von Reach Out)
"Er ist tot", "Sie haben seinen Kopf abgeschnitten": Mit vielen Details verarbeiten die Kinder das Erlebte

Die Zeichnungen sind auffallend in ihren Details und enthalten viele explizite Hinweise auf Gewalt. Shelly Evans, die mit Kindern in Konflikten in Uganda, Sudan und Sierra Leone gearbeitet hat, hat auch die Zeichnungen aus Kamerun gesehen. Ihr zufolge legen die Bilder nahe, dass dies ihr täglicher Alltag ist. "Sie waren nur in schwarzer oder blauer Tinte gezeichnet. Aber das Blut war in leuchtend roter Tinte hervorgehoben, so dass alles andere irgendwie im Hintergrund verblasst ist, außer dem Blut", so Evans.

Die Zeichnungen zeigen auch eine Reihe von auffällig detailliert gezeichneten Waffen, die die Figuren in der Hand halten und auf ihre Opfer richten. In einigen der Zeichnungen sind die Waffen vergrößert dargestellt. "Das nimmt den größten Teil ihrer Gedanken auf", folgert Evans. "Die Charaktere lächeln auf einigen der Bilder, als ob dies ein normaler Teil ihres täglichen Lebens oder ihrer Aktivitäten ist, so schrecklich es auch ist."

Kumba, Kamerun: Kinderzeichnung zeigt lächelnde Menschen, die aufeinander schießen (gesammelt von Reach Out)
Lächelnde Täter, lächelnde Opfer: Ein Zeichen, wie alltäglich Kinder die Gewalt erleben

Bildung bleibt auf der Strecke

Die Angriffe auf Schulen in den anglophonen Regionen Kameruns seit Beginn des Konflikts haben dazu geführt, dass die Kinder in ihrer Bildung um Jahre zurückgeworfen wurden. Schon jetzt fürchten Experten, dass eine Generation von Kamerunern gar keine Schulbildung erhalten wird.

Besonders betroffen von der Gewalt seien Kinder in ländlichen Gebieten, sagt Serna: Hier seien die Schulen ein leichteres Ziel für Angreifer. "Jedes Kind hat eine Lücke von vielleicht zwei, drei Jahren, aber einige von ihnen haben fünf Jahre verpasst und werden nie wieder zur Schule gehen", erklärt er. "Dies ist eine der am meisten vernachlässigten Krisen in der Welt. Wir wissen, dass jeden Tag Gräueltaten an der Zivilbevölkerung begangen werden."

Reporter - Kamerun: Schulen unter Beschuss

Ein Modell aus Darfur

Die Idee, dass Kinder in Konfliktgebieten mithilfe von Zeichnungen das Trauma verarbeiten können, entstand eher zufällig. Mitte der 2000er-Jahre arbeitete die britische Menschenrechtsaktivistin Rebecca Tinsley im Tschad mit Flüchtlingen aus der sudanesischen Region Darfur, Schauplatz eines bewaffneten Konflikts. "Wir wollten mit Frauen sprechen, die die 'ethnische Säuberung' in Darfur überlebt hatten, aber sie hatten Kinder um sich herum, die die Aufmerksamkeit ihrer Mütter forderten. Also hatte jemand die Idee, den Kindern Papier und Buntstifte zu geben. Und wir sagten zu den Kindern: "Geht und malt uns ein Bild über euer Leben."

Kamerun Kumba | Kinder zeichnen Bilder von Krieg
Rotes Blut verdeutlicht das Trauma: Reach Out bemüht sich auch um psychologische BetreuungBild: Marc Serna/Reach Out NGO

Das Ergebnis war eine verstörende und detaillierte Sammlung von Zeichnungen, die die Präsenz von Gewalt im Leben der Kinder verdeutlicht. "Wir schmuggelten die Zeichnungen aus dem Tschad und brachten sie zum Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag. Und sie sagten: Das ist erstaunlich. Das ist ein Beweis für den Kontext des Völkermordes, denn das sudanesische Regime hat keine Menschenrechtsgruppen oder Journalisten zugelassen."

Hinschauen als moralische Pflicht

Laut Tinsley erwies sich die Übung als eine Form der Therapie, bei der die Kinder aufzeichnen konnten, was mit ihnen geschah, und "ihre Angst ausdrücken konnten" in einer Gesellschaft, die Angst oft als ein Zeichen von Schwäche interpretiere. Die Aktivistin räumt ein, dass ein internationaler Gerichtsprozess auf Grundlage der Zeichnungen in Kamerun noch "in weiter Ferne" liege, hofft aber, dass die Zeichnungen die Aufmerksamkeit auf die Schwere des kamerunischen Konflikts lenken können: "Wir haben die moralische Pflicht, der Internationalen Gemeinschaft vor Augen zu führen, was hier passiert." Die Weltgemeinschaft müsse Druck auf die Regierung von Kamerun ausüben, damit diese in Friedensgespräche eintrete.

Kamerun Kumba | Kinder zeichnen Bilder von Krieg
Auch gemeinsames Spielen kann helfen, das Trauma zu überwindenBild: Marc Serna/Reach Out NGO

Für Sozialarbeiter vor Ort wie Tatiana Bie ist die Ausübung ihrer Arbeit mit einem hohen persönlichen Risiko verbunden, oft ohne die nötigen Ressourcen. Aber sie und ihre Kollegen seien bereit, das auf sich zu nehmen, sagt Bie. So wollen sie den Kindern geschützte Orte bieten, wo sie ihr Trauma verarbeiten können - und zumindest etwas psychosoziale Unterstützung. "Wir sorgen dafür, dass sie mit Freunden zusammen sind und gemeinsam spielen. Wenn ein Kind mit einem Freund spielt oder unter Menschen ist, die es zum Spielen und Lachen bringen, werden einige dieser schlechten Gedanken es verlassen."

Adaptiert aus dem Englischen von Philipp Sandner.