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Kind oder Job?

Kerstin Schweighöfer5. Januar 2009

In den Niederlanden stellt sich diese Frage oft nicht. Viele Mütter arbeiten in Teilzeit-Jobs und vereinen Kind und Beruf. Die Teilzeit-Arbeit hat aber auch Schattenseiten: Frauen gelangen selten in Führungspositionen.

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Geschäftsfrau mit Kind auf dem Arm und Kaffetasse in der Hand
Eine Entscheidung zwischen Kind und Karriere ist mit Teilzeit-Arbeit nicht nötigBild: picture-alliance / Lehtikuva

Familie Keehnen in Voorschoten bei Den Haag feiert einen Kindergeburtstag. Tochter Puk wird sieben Jahre alt und feiert mit ihren Freundinnen. Das Esszimmer ist mit Girlanden geschmückt, Puks Mutter Annelies stellt Kuchen und Kekse auf den Tisch.

Die 37-Jährige hat den Geburtstag in Ruhe vorbereiten können. "Ich arbeite Teilzeit", erklärt Annelies. Drei Tage und einen Abend arbeitet sie in einem Ausbildungszentrum. "Nur zu Hause sitzen und mich um die Kinder kümmern, das würde mich verrückt machen", sagt sie.

Weltmeister im Teilzeit-Arbeiten

Kinder spielen im Kindergarten (20.11.2006/AP)
Wenn die Kinder im Kindergarten sind, gehen die Eltern arbeitenBild: AP

Wenn Annelies arbeitet, werden Puk und ihr Brüderchen Gijs von den Großeltern von Schule und Kindergarten abgeholt. Wenn die beiden größer sind, könnte ihre Mutter zwar wieder Vollzeit arbeiten – aber ob sie das will, weiß sie noch nicht: Annelies ist als Teilzeitfrau zufrieden.

Teilzeitarbeit ist in den Niederlanden die normalste Sache der Welt. Mit einer Teilzeitarbeitsquote von 40 Prozent sind die Niederländer Weltmeister. Der EU-Durchschnitt liegt bei 20 Prozent.

Keine Teilzeit-Karriere

Allerdings: Wer Teilzeit arbeitet, macht keine Karriere. Nur jede zehnte Professur ist weiblich, in den Vorständen großer Unternehmen gibt es nur sieben Prozent Frauen. "Unser Teilzeitmodell hat zu Teilzeitfeminismus geführt", sagt die niederländische Publizistin und Ökonomin Heleen Mees. "Was Führungspositionen betrifft, kann man uns getrost als Entwicklungsland bezeichnen: Mit unseren sieben Prozent an Vorstandsfrauen landen wir im internationalen Vergleich auf dem gleichen Platz wie Pakistan."

Die Niederländerinnen sind traditioneller und konservativer als ihr Ruf. In Sachen Arbeitsmarktpartizipation waren sie lange Zeit europäisches Schlusslicht. Nirgendwo in der EU gab es so viele Vollzeitmütter und so wenige Mütter mit einer Vollzeitstelle.

Vollzeit-Mann und Teilzeit-Frau

Managerin macht sich am Schreibtisch in ihrem Terminplaner Notizen
Eine Frauenquote für Führungspositionen - das ist die Forderung von FeministinnenBild: picture-alliance / chromorange

In den 80er-Jahren beschloss die Regierung daher, die Teilzeit-Arbeit anzukurbeln. Doch das hat dazu geführt, dass es die niederländischen Frauen als eine Art Grundrecht betrachten, weniger arbeiten zu dürfen. In den meisten Familien hat der Mann einen Vollzeitjob und die Frau einen halben – so auch bei Familie Keehnen: Annelies’ Mann Lex ist "Vollzeit-Ingenieur".

Feministinnen wie Heleen Mees fordern dagegen, dass beide Elternteile kürzer treten müssten, sobald Kinder da seien: Mit zwei Vier-Tage-Jobs ließen sich Kinder und Karriere durchaus kombinieren. "Sie sind zu bequem und nicht ehrgeizig genug, die niederländischen Teilzeitfeministinnen", sagt Mees. Sie fordert die Einführung einer Frauenquote für Führungspositionen.

Jeder kann nach oben – wenn er oder sie will

Mit ihrer Kritik hat sie eine heftige Debatte entfacht – und sich den Zorn vieler Mütter zugezogen: Als kinderlose Frau habe sie keine Ahnung und damit auch kein Recht, so zu urteilen.

Annelies kann diese Debatte nicht nachvollziehen. Dank Teilzeit befänden sich niederländische Frauen in der Luxusposition, Beruf, Haushalt, Kinder und soziale Kontakte stressfreier kombinieren zu können. "Jeder bei uns hat die Möglichkeit, ganz nach oben zu kommen – wenn er will", sagt sie. Und ob es nun sieben Prozent an weiblichen Führungskräften gebe oder 70 Prozent, interessiere sie nicht.