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Energiewende soll diskreditiert werden

Gero Rueter12. Dezember 2013

Die deutsche Energiewende ist komplex und es gibt kräftige Gegner. Claudia Kemfert, Energieökonomin vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung kennt den Kampf hinter den Kulissen und publiziert über Zusammenhänge.

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Prof. Dr. Claudia Kemfert
Bild: Getty Images

Deutsche Welle: Frau Kemfert, in Ihrem Buch mit dem Titel: "Kampf um Strom" beschreiben Sie die Mythen, Macht und Monopole in der deutschen Energiewende. Was sind die Mythen?

Es gibt sehr viele Mythen. Ein Mythos ist der, dass behauptet wird, dass wir in Deutschland permanent Atomstrom aus Frankreich oder Tschechin importieren müssten. Das stimmt nicht. Wir haben in Deutschland einen Stromüberschuss und wir exportieren Strom preiswert in diese Länder.

Ein zweiter Mythos ist die Behauptung, dass der Strompreis alleine auf Grund der Erneuerbaren Energien steige. Die Ökoenergien werden als Preistreiber stigmatisiert. Das stimmt auch nicht. Wir haben sehr niedrige Börsenpreise beim Strom. Würden diese niedrigen Preise an die Verbraucher weitergereicht, könnte auch der Strompreis stabil bleiben. Es gibt noch sehr viel mehr Mythen, um die Energiewende insgesamt zu diskreditieren.

Wie werden die Mythen erzeugt und verbreitet?

Die Mythen werden erzeugt über Botschaften. Sie werden wie Graffiti an die Wände der Stadt gesprüht. Das können Werbeplakate sein oder Berichte in den Zeitungen und Medien. Diese Berichte werden genutzt, um die Akzeptanz in die Energiewende zu vermindern. Die Bevölkerung soll Zweifel bekommen - man soll denken, das ganze Projekt sei ineffizient und teuer und lohne sich nicht. In Wirklichkeit handelt sich dabei aber um Mythen. Die Energiewende ist sehr viel besser als ihr Ruf.

Welche Kräfte und Interessen stecken hinter diesen Mythen?

Es sind natürlich Wirtschaftsinteressen. Das sind Unternehmen, die Kohle- und Atomkraftwerke betreiben und damit Geld verdient haben oder auch energieintensive Unternehmen, die befürchten, dass es Nachteile geben könnte. Es sind auch Politiker, die sich als die Hüter der klassischen Vernunft sehen und das Konservative sehr stark in den Vordergrund rücken. Sie meinen, dass die Energiewende irgendetwas mit Öko-Romantik zu tun hat. Das stimmt überhaupt nicht, aber sie versuchen, das Projekt zu behindern.

Wie vernetzt und organisiert sind die Gegner der Energiewende?

Es ist eine sehr heterogene Gruppe. Einige Unternehmen sind über bestimmte Verbände und Interessensgruppen vernetzt. Es werden auch bestimmte Kampagnen für die Öffentlichkeit und Medien gestartet. Einige Politiker haben enge Verbindungen zur Wirtschaft und fungieren damit auch als Sprachrohr. Und es gibt bezahlte Aufträge, auch aus der Wissenschaft, die entsprechende Thesen verbreiten. Diese Thesen werden entsprechend dafür genutzt, die Energiewende insgesamt in Misskredit zu bringen. Die Gruppe ist sehr heterogen, aber sie sind sich einig, dass die Energiewende schlecht geredet und verhindert werden muss.

Medien verbreiten diese Mythen. Wie ist das zu erklären?

Die Medien sind die Überbringer der Nachricht, da ist gar kein Vorwurf zu machen. Aber die Zahlen und Fakten müssen überprüft und eingeordnet werden. Auch muss überprüft werden, wer die Studie in welchem Interesse verbreitet. Immer mehr Medien hinterfragen das, vor allem die öffentlich-rechtlichen Medien. Dieser Journalismus, der die Dinge neutral einordnet, ist sehr viel wert.

Die Energiewende ist komplex. Wie gut informiert erleben Sie die Politiker?

Sehr unterschiedlich. Politiker werden auch von Lobbyisten durch entsprechende Zahlen und Informationsmaterialien versorgt und verstehen dann nur teilweise, dass es sich hier um interessengeleitete Informationen handelt. Manche sind recht gut informiert, suchen auch den Rat von der neutralen und einordnenden Wissenschaft. Andere auch ganz offen zu, dass sie in erster Linie an den Wirtschaftsinteressen interessiert sind und diese auch vertreten.

Wie groß ist der Einfluss der großen Energieversorger auf die Politik?

Der Einfluss ist sehr groß bei fast allen Parteien. Bei den Sozialdemokraten gab es Wirtschaftsminister, die aus der Energiewirtschaft kamen, auch welche, die wieder zurück gingen. Heute haben Großkonzerne ein gewichtiges Wort mitzureden. Sie werden häufig gehört, sind Gäste bei Politikern oder auch im Kanzleramt. Die Vernetzung ist hier sehr sehr gut. Natürlich haben alle in der Energiewirtschaft Interessen, auch die Erneuerbaren Energien, aber die bekommen weniger großzügig die Möglichkeit, ihre Interessen vorzutragen. Ich sehe da noch immer ein Ungleichgewicht, zu Gunsten der alten Energiewirtschaft.

Wie unabhängig handelt die Politik?

Politiker sind auch zuständig für das Wohlbefinden der gesamten Gesellschaft, für eine umweltverträgliche, sichere und bezahlbare Energieversorgung. Politiker müssen abstrahieren können und nicht einseitig nur Interessen der Wirtschaft vertreten, sondern der gesamten Gesellschaft. Das vermisse ich an der einen oder anderen Stelle.

Sie beobachten die Entwicklung auch in anderen Ländern. Ist der Machtkampf dort ähnlich?

Der Machtkampf ist überall identisch, in vielen Ländern natürlich weniger stark ausgeprägt, da die Energiewende weniger umfassend ist. Man sieht das auch sehr stark an den Öl- und Automobilkonzernen, die immer noch am Alten festhalten, obwohl sie wissen, irgendwann ist dieses System vorbei. Wir brauchen neue Antriebsstoffe und neue Fahrzeuge. Aber die Konzerne wollen im Status quo verharren, weil damit kurzfristig die höchsten Gewinnmargen erzielbar sind. Langfristig ist das aber nicht so.

Prof. Dr. Claudia Kemfert leitet die Abteilung Energie, Verkehr, Umwelt am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin) und ist Professorin für Energieökonomie und Nachhaltigkeit an der Hertie School of Governance in Berlin. Sie ist eine mehrfach ausgezeichnete Spitzenforscherin und gefragte Expertin für Politik und Medien. Ihr Buch "Kampf um Strom. Mythen, Macht und Monopole" ist 2013 im Murmann-Verlag erschienen.