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Keine Großmacht ohne Moral

24. November 2011

Seit August 2011 haben die Tibeter erstmals einen demokratisch gewählten Regierungschef – die Exiltibeter jedenfalls. Auf seiner zweiten Auslandsreise warb Lobsang Sangay in Berlin um Unterstützung für echte Autonomie.

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FILE- In this March 20, 2011 file photo, Tibetan prime ministerial candiadate Lobsang Sengey, gestures as he talks to the Associated Press in the backdrop of a Tibetan flag in Dharmsala, India. Legal expert Sangay has won the election to become head of the Tibetan government-in-exile, taking over the Dalai Lama's political role.(AP Photo/Ashwini Bhatia, File)
Große Erwartungen, wenig Macht: Premier ohne Land Lobsang SangayBild: AP

Lobsang Sangay kommt im Anzug zum Interview mit DW-WORLD.DE und nicht in rote Mönchsroben gehüllt. Er wurde im indischen Exil geboren und hat in Harvard gelehrt – tibetischen Boden in China hat Lobsang Sangay nie betreten. Dennoch nimmt er für sich in Anspruch, für alle Tibeter zu sprechen, die im Exil aber auch die in China.

Seit gut 100 Tagen ist der tibetische Exilpremier im Amt und tut, was auch der Dalai Lama vorwiegend macht: Als Chef einer Regierung ohne Land auf Reisen in der Welt um Unterstützung zu werben für den gewaltlosen Kampf der Tibeter um mehr Autonomie. Dieser Kampf ist in jüngster Zeit durch eine Welle von Selbstverbrennungen wieder ins Bewusstsein der Weltöffentlichkeit gelangt.

Akte der Verzweiflung

Im Interview mit DW-WORLD.DE erklärte Sangay, die Selbstverbrennungen seien Akte der Verzweiflung von verzweifelten Menschen, eine Reaktion auf die repressive Politik der chinesischen Regierung. "Das Leben ist ein kostbares Gut, wir ermutigen niemanden zu dieser Form des Protests", sagte Sangay und ergänzte, auch der Dalai Lama habe sich gegen solche Verzweiflungstaten ausgesprochen.

"Die Selbstverbrennungen sind Zeichen der Hoffnungslosigkeit, weil viele Tibeter glauben, dass die Welt sich nicht mehr für ihr Schicksal interessiert". Deshalb sei jede Äußerung von Prominenten, jede Intervention einer Regierung gegenüber Peking zu Gunsten Tibets wichtig. Dann könnten die Menschen wieder Hoffnung schöpfen und würden vielleicht von Selbstverbrennungen absehen.

Tibetans graze their yak in the grasslands of the high Tibetan plateau in the county of Naqu, Tibet, China Thursday July 6, 2006. Tibet's glaciers and their runoff constitute a valuable resource for China as it faces increasing water shortage problems. China will tighten pollution controls over the next five years in order to provide safe drinking water to its poor, populous countryside, following a string of accidents that have poisoned water supplies, said Vice Premier Zeng Peiyan at the World Water Congress, a gathering of some 3,000 officials and experts from around the world currently taking place in Beijing. (AP Photo/Elizabeth Dalziel)
Auf der Erde Yaks - in der Erde wertvolle Bodenschätze: Schatzkammer TibetBild: AP


Kein Visum für den Dalai Lama

Die Zeit scheint allerdings gegen die Tibeter zu arbeiten. Chinas Einfluss wächst, der Spielraum der Exil-Tibeter schrumpft. Erst im Oktober hatte Südafrika dem Dalai Lama ein Visum verweigert, als der zur Geburtstagsfeier von Nobelpreisträger Desmond Tutu reisen wollte. Lobsang Sangay ist darüber sehr enttäuscht: "Einem Freund von einem der größten Führer Südafrikas, der so hart für die Demokratie und die Freilassung von Nelson Mandela gearbeitet, hat die Einreise zu verweigern, macht mich sehr traurig." Der tibetische Exilpremier betont, er sei keineswegs gegen Geschäfte mit China. Aber man solle doch dabei nicht seine Prinzipien über Bord werfen.

Investitionen in Gewaltlosigkeit

Tibet habe in den letzten 50 Jahren viel in Gewaltlosigkeit, Demokratie und Dialog investiert. Wenn man dieses Volk nun fallen lasse, sende das eine verheerende Botschaft an andere Autonomiebewegungen aus: die Gewaltlosigkeit lohne sich nicht. Es sei im Übrigen auch im Interesse Chinas selbst, den Tibetern auf ihrem Pfad des "mittleren Weges" entgegen zu kommen. Der sieht keine Unabhängigkeit sondern Autonomie innerhalb des chinesischen Staatsgebildes vor. An der Lösung der Tibet-Frage hängt für Sangay die moralische Autorität Chinas. Ohne Moral in Peking würde sich die Welt vielleicht vor chinesischer Macht fürchten. Respektiert aber würde Peking nicht - und damit den angestrebten Großmachtstatus verfehlen.

Im Übrigen sei die chinesische Verfassung mit dem "mittleren Weg“ vereinbar, so Sangay weiter. "Das Modell 'Ein Staat – zwei Systeme' wird ja schon in Hongkong und Macao praktiziert. Und selbst Taiwan gegenüber scheint Peking mehr Autonomie zuzugestehen", sagt Sangay. Aber dort, schränkt er ein, lebten Chinesen. Den Tibetern dagegen misstraue man in Peking.

Autoren: Matthias von Hein / Dai Ying
Redaktion: Zoran Arbutina