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Kein Kinderspielplatz

Ruth Reichstein27. Mai 2008

Werden Flüchtlinge in Europa aufgegriffen oder deren Asylanträge abgelehnt, landen sie in der so genannten Abschiebehaft. Besonders traumatisch ist das für Kinder. Das EU-Parlament will nun einheitliche Haftstandards.

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Blick in den Wartesaal für Asylsuchende in der Hamburger Ausländerbehörde, Familie mit Kindern (04.09.2001/AP
Eine Asylbewerber-Familie wartet auf die Bearbeitung ihres AntragesBild: AP

Mit aller Kraft brüllt Elena Selishev gegen die Abschiebepolitik der Europäischen Union an. Gemeinsam mit anderen Asylbewerbern und illegalen Einwanderern ist sie zum Europäischen Parlament in Brüssel gekommen, um ihrer Wut Ausdruck zu verleihen, denn bereits seit acht Jahren warten sie und ihre Familie auf eine Antwort auf ihren Asylantrag.

Schrecken in der Heimat setzt sich im Asylland fort

"Das ist unerträglich – vor allem für meine drei Kinder. Sie wollen endlich ordentliche Papiere und ein normales Leben führen", sagt die 35-Jährige Frau aus Usbekistan. Gemeinsam mit ihrem Mann Konstantin ist sie 2000 nach Belgien gekommen und hat Asyl beantragt. In ihrem Heimatland fühlte sich das Paar verfolgt und der Gewalt von Kriminellen ausgesetzt. Mehr wollen beide nicht dazu sagen.

Drei Asylsuchende schauen durch ein Fenster des Ausländeramtes für Flüchtlinge und Staatenlose in Brüssel (03.01.2001/dpa)
Asylsuchende vor dem Ausländeramt für Flüchtlinge und Staatenlose in BrüsselBild: Picture-Alliance /dpa

Aber in Belgien wurde ihr Antrag erst einmal abgelehnt, der Einspruch läuft noch. Also wartet die Familie – in einem Auffanglager für Asylbewerber im flämischen Lanaken, unweit der holländischen Grenze. Hier leben die Eltern mit ihren drei Kindern in einem 15 Quadratmeter großen Zimmer. Die Regeln sind streng. Besuch darf nur draußen empfangen werden. Essen gibt es zu festen Zeiten im Speisesaal. Arbeiten außerhalb des Heims ist verboten.

Abschiebehaft: Ein Trauma für Kinder

Die Kinder von Elena Selishev sind scheu. Fremden trauen sie seit November letzten Jahres nicht mehr, erzählt die Mutter. Damals hat die Polizei die Familie in der Wohnung abgeholt, dem Sohn legten sie sogar Handschellen an. "Dabei war er erst 14 Jahre alt. Er musste all seine Hosentaschen leeren. Sie haben ihn wie einen Kriminellen behandeln", sagt Elena Selishev. Seitdem habe er Angst.

Damals war Nikitas Vater von der Polizei auf der Straße kontrolliert worden. Er hatte keine Papiere bei sich und wurde deshalb zu einem illegalen Einwanderer erklärt. Gemeinsam mit seiner gesamten Familie wurde er in ein Abschiebegefängnis am Brüsseler Flughafen gebracht – und dort für zwei Monate eingesperrt. "Es war schrecklich dort", erinnern sich die Kinder Margarita und Nikita. "Wir konnten nur sehr schlecht schlafen." Das Zimmer mussten sie sich mit 20 anderen teilen und viele Erwachsene haben geraucht.

EU will die Bedingungen verbessern – vor allem für Kinder

Ein Flur in der ehemaligen Abschiebehaft in Moabit in Berlin (03.07.2007/dpa)
Abschiebehaft in Moabit, Berlin: Faktisch Gefängnis - auch für KinderBild: picture-alliance/ ZB

Den Raum verlassen durften sie nur einmal am Tag und zwar mittags für zehn bis 15 Minuten: unmenschliche Haftbedingungen – sogar für Kinder. Damit soll Schluss sein, fordert nun das Europäische Parlament. In der EU-Rückführungsrichtlinie, die in der ersten Juniwoche von den Abgeordneten verabschiedet werden soll, gelte den Minderjährigen besondere Aufmerksamkeit, sagt der CSU-Europa-Abgeordnete Manfred Weber. "Die Kinder müssen Zugang zu Bildung bekommen, die Einheit der Familie muss erhalten bleiben."

Aber trotz dieser Schutzrechte kritisieren Nichtregierungsorganisationen die Richtlinie. Sie erlaube nämlich eindeutig Abschiebehaft für Kinder für eine Dauer von bis zu 18 Monaten. Benoît van Keirsbilck vom belgischen Kinderschutzbund meint, dass die Abschiebehaft bislang noch als menschenunwürdig in der Gesellschaft gelte. "Aber wenn es in einem Gesetzestext steht, werden die Staaten auf jeden Fall davon Gebrauch machen."

Es ändert sich etwas, aber nur langsam

In Belgien plant die Regierung nun immerhin, spezielle Gefängnisse für Familien einzurichten, in denen die Kinder von einem Tutor betreut werden und auch zur Schule gehen dürfen.

Die Familie Selishev wurde nach zwei Monaten Haft freigelassen. Die Behörden hatten sich geirrt: Der Asylantrag der Familie wird noch bearbeitet. Die Haft war damit illegal. Also warten sie wieder – auf eine positive Antwort. Denn nur die könnte sie vor erneuter Haft und der Abschiebung retten.