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Kunstaktion: "Flüchtlinge fressen"

Klaus Krämer/Heike Mund21. Juni 2016

Die Berliner Künstlergruppe "Zentrum für Politische Schönheit" plante 100 syrische Flüchtlinge einfliegen zu lassen und einige von ihnen, Tigern zum Fraß vorzuwerfen. Ein Berliner Amt zieht jetzt offenbar die Reißleine.

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Tigergehege der Kunstaktion "Flüchtlinge fressen". (c) picture-alliance/dpa/J. Kalaene
Bild: picture-alliance/dpa/J. Kalaene

Seit fünf Tagen sorgt die Künstlergruppe "Zentrum für Politische Schönheit" vor dem Berliner Maxim Gorki Theater für Aufsehen. In einer extra dafür aufgebauten römischen Arena wollen sie Flüchtlinge aus Syrien Tigern "zum Fraß vorwerfen", wie die Initiatoren der umstrittenen Kunstaktion gegenüber der Presse bekannt gaben. Wenn die Bundesregierung ihre Position zum Beförderungsverbot von Flüchtlingen nicht ändere, würde damit ernst gemacht. Am Mittwoch (23.06.2016) stimmt der Deutsche Bundestag über eine Änderung des Aufenthaltsgesetzes ab.

Nun hat das Bezirksamt Berlin-Mitte das sofortige Ende der umstrittenen Kunstaktion "Flüchtlinge fressen" vor dem Berliner Maxim Gorki Theater gefordert. Der Leiter des Straßen- und Grünflächenamts Mitte, Harald Büttner, sagte gegenüber Radio Berlin-Brandenburg (RBB), es sei lediglich eine Informationsveranstaltung genehmigt worden. Tatsächlich handele es sich aber um eine "bewusste politische Provokation".

Nichts Schriftliches bekommen

Büttner erklärte, die Aktion stelle eine Versammlung dar, die beim Polizeipräsidenten anzumelden wäre. Diese Anmeldung sei nicht erfolgt, deshalb ziehe der Bezirk nun seine Sondernutzungserlaubnis zurück. Außerdem sei eine Verfügung erlassen worden, die Aktion mit lebenden Tigern sofort zu beenden. Das Maxim Gorki Theater erklärte, es habe bislang keine Verfügung der Behörde erhalten. "Wir warten auf etwas Schriftliches", sagte Pressesprecherin Xenia Sircar ebenfalls am Dienstag. Dann könne man entsprechende Rechtsmittel einlegen. Das Bezirksamt kündige seit Freitag das Verbot über die Medien an. "Passiert ist aber noch nichts", so Sicar.

Gezielte Provokation gegen die Bundesregierung

Mitten in Berlin stehen vor dem Maxim Gorki Theater vier Käfige mit sibirischen Tigern, die bereits Tausende von Schaulustigen angelockt haben. Heute erklärte die aus Syrien geflohene Künstlerin May Skaf unter Tränen in einer emotionalen Rede vor den Schaulustigen, sie würde sich für die Kunstaktion bereitstellen und den Tigern öffentlich zum Fraß vorwerfen lassen. "Ich habe nichts mehr zu verlieren, weil ich alles verloren habe." Die Ticketschalter in Flughäfen außerhalb der EU seien "zur unüberwindlichen Mauer" geworden, sagte die Künstlerin.

Flüchtlinge sicher einfliegen

Angesichts der tausenden von Menschen, die auf der Flucht im Mittelmeer ertrinken und ums Leben kommen, fragen die Künstler: "Warum können Flüchtlinge nicht einfach mit dem Flugzeug kommen?" Als Auftakt zu der Aktion ist geplant, 100 Syrer am 28. Juni mit dem Flugzeug aus dem türkischen Izmir nach Deutschland zu ihren Angehörigen bringen zu lassen. Nach deutscher Rechtsprechung ist das eine Straftat. Das Bundesinneministerium hatte die provokante Kunstaktion als "zynisch" bezeichnet, da sie auf dem Rücken von Schutzbedürftigen ausgetragen werde. Sollte die Bundesregierung etwas gegen den Flüchtlingstransport der Künstlergruppe unternehmen, wird es spannend. Für diesen Fall werden Flüchtlinge in Deutschland gesucht, die sich in der Arena fressen lassen, wie Joschka Fleckenstein vom "Zentrum für politische Schönheit " erklärt.

Protestaktion des Zentrums für Politische Schönheit: Schauspielerin May Skaf aus Syrien. (c) picture-alliance/dpa/J. Kalaene
Hoch emotionale Rede: die Schauspielerin May Skaf ist aus Syrien geflüchtetBild: picture-alliance/dpa/J. Kalaene

Alles nur Theater, fragen sich viele irritierte Besucher? "Wer uns und unsere Arbeitsweise kennt, der weiß, dass wir halten, was wir versprechen", sagte der Künstler und Philosoph Philipp Ruch zum Start der Aktion letzte Woche. Ruch ist Leiter der Künstlergruppe, die rund 70 Mitglieder hat.

Schleppern das Geschäft kaputt machen

Im Theater hielten die drei Aktivisten letzte Woche eine Pressekonferenz ab und stellten ihr neues Projekt "Das Recht auf Widerstand" vor. In einem Video zum Spendenaufruf fordern sie alle Bürger auf: "Machen Sie den Schleppern das Geschäft kaputt!" Dass die Einreise mit dem Flugzeug ohne gültige Papiere, die eine EU-Richtlinie verbietet, nicht funktionieren dürfte, ist der Gruppe bewusst. Dennoch versucht sie, die Bundesregierung unter Druck zu setzen. Die Personendaten lägen den zuständigen Behörden bereits vor.

Sibirischer Tiger bei der Aktion "Flüchtlinge fressen - Not und Spiele" in Berlin. (c) picture-alliance/dpa/J. Jensen
Vor Publikum: Die Tiger tigern nervös durch die vielen Menschen, die die Kunstaktion angelockt hatBild: picture-alliance/dpa/J. Jensen

Flankiert wird die Aktion durch einen Aufruf im Internet. Dort können Nutzer entscheiden, ob die 100 Flüchtlinge aus Syrien nach Deutschland reisen dürfen. Wer das unterstützen will, kann an einer Crowdfunding-Kampagne teilnehmen und für die Flugtickets spenden. Berlins Kulturstaatsekretär Tim Renner erklärte, es liege in der Verantwortung des Maxim Gorki Theaters, welche künstlerischen Gruppen es einlade. "Die Aufgabe von Kunst ist nicht, bequem zu sein", sagte Renner.

Auszeichnung auf dem Global Media Forum 2016

Das Zentrum für politische Schönheit ist bekannt für Aktionen, die stark in die Öffentlichkeit hineinwirken, so auch "Die Toten kommen". Aus Protest gegen die EU-Flüchtlingspolitik hatten die Künstler 2015 angeblich die Leiche einer Frau exhumiert, die nach Angaben der Gruppe als Flüchtling im Mittelmeer ertrunken war. Der Leichnam wurde nach Berlin überführt und dort erneut öffentlich bestattet.

Schaulustige vor den Tigerkäfigen. (c) picture-alliance/dpa/J. Kalaene
Schaulustige vor den Tigerkäfigen mitten in BerlinBild: picture-alliance/dpa/J. Kalaene

Im Juni 2016 wurde die Initiative im Rahmen der Preisverleihung von "The Bobs – Best of Online Activism" von der Deutschen Welle für ihre provokanten künstlerischen Aktionen ausgezeichnet. Die Jury begründete den Preis mit der innovativen Form, in der sich die Aktivisten auch weltweit im Netz Gehör verschaffen. Mit provokanten Aktionen haben sie beispielsweise auf den Zusammenhang der Flüchtlingspolitik Europas und deutschen Waffenexporte nach Saudi-Arabien aufmerksam gemacht.

kk/sd/as (dpa/epd/ZPS)