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"Tim hat meinen Ausdruck auf seinem Gesicht"

Kate Müser/ rb23. März 2016

Der dänische Karikaturist Søren Juhl reagierte auf die Angriffe in Brüssel mit einer sehr emotionalen Zeichnung des Comic-Helden Tim. Er glaubt, dass solche Bilder die Massen bewegen können, sagt er im DW-Interview.

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Illustration von Soeren Juhl zu den Terroranschlägen in Brüssel (Copyright: Soeren Juhl)
Tim (Original: Tintin) ist der Held des belgischen Comiczeichners HergéBild: Soeren Juhl

DW: Was war ihr erster Gedanke, als Sie von den Anschlägen in Brüssel hörten?

Søren Juhl: Ich las von den Explosionen auf Twitter und vermutete schon das Schlimmste. Die Ereignisse von Paris sind noch nicht lange her und so ahnte ich sofort, dass es schon wieder ein Terroranschlag sein könnte. Und leider hat sich das innerhalb kürzester Zeit bestätigt. Genau wie bei den Anschlägen in Paris und auf Charlie Hebdo berührt es mich sehr, wenn unschuldige Zivilisten getroffen werden.

Als Karikaturist greifen Sie da wahrscheinlich sofort zum Bleistift. Warum kann ein Bild mehr als tausend Worte ausdrücken?

Als Künstler bin ich ein visueller Typ. Wenn eine Darstellung innerhalb von nur wenigen Sekunden fertig ist, kann man durch sie viel mehr sagen, als es jemals durch Worte zum Ausdruck gebracht werden könnte. Ich kann meine Gedanken besser durch meine Bilder sprechen lassen als mit Worten zu erklären, wie ich mich fühle.

Ihre Darstellung von Tim aus "Tim und Struppi" ist sehr schlicht. Wie kommt es, dass Einfachheit eine so starke Wirkung haben kann?

Als Kind wuchs ich mit Zeichentrickfiguren auf. Ich denke, dass die meisten Menschen Zeichentrickfiguren in ihrer Kindheit und auch als Erwachsene erlebt haben. Als ich von den Explosionen am Flughafen und in der U-Bahn-Station hörte, wusste ich, dass dies ein wirklich schlimmer Terrorakt war. Also dachte ich darüber nach, wie ich etwas finden könnte, dass eine Bedeutung für die Menschen in Belgien hat.

Als ich aufwuchs, las ich viele Comics von Tim und Struppi, Gaston und Lucky Luke. Und ich dachte, dass Tim ein Charakter ist, mit dem sich die Menschen identifizieren können: Er kämpft gegen die bösen Jungs, er gehört zu den Guten. Und er ist menschlich. Man sieht nur seine traurigen Augenbrauen und eine kleine Träne, und doch sagt das so viel mehr als Worte. Ich glaube, Tim hat genau den Ausdruck auf seinem Gesicht, den ich seit den Anschlägen auch habe.

Ihre Zeichnung von Tim wurde in Deutschland vom "Rolling Stone" und anderen Medien erwähnt und sehr häufig retweetet. Wenn Kunst viral wird, gewinnt sie dann an Bedeutung - oder wird ihre Bedeutung eher trivialisiert?

Es hängt davon ab, wie die Leute darauf reagieren. Einige der Nutzer auf Twitter haben es nur geteilt. Aber ich hoffe, dass es viele auch zum Nachdenken anregt. Ich habe auch Antworten von Leuten bekommen, die mir dankten, weil ich die Karikatur geteilt habe und weil ich den Opfern dieser schrecklichen Ereignisse gedacht habe.

Manche Leute haben meinen Tweet zitiert und ihre persönlichen Gedanken hinzugefügt. Wenn die Leute auf meine Illustrationen antworten, fühle ich mich so ähnlich wie ein Sänger, der auf der Bühne steht - und das Publikum beginnt, seine Lieder mitzusingen.

Søren Juhl, Illustrator aus Dänemark Foto: Soeren Juhl)
Søren JuhlBild: Soeren Juhl

Wie politisch sind Ihre Cartoons?

Ich lebe in einer kleinen Gemeinde in Dänemark und habe meine Fähigkeiten für lokale politische Veranstaltungen genutzt. Wir haben für eine öffentliche Schule gekämpft, die in meiner kleinen Stadt geschlossen werden sollte. Die Leute haben viele Briefe geschrieben und Facebook verwendet. Und ich für meinen Teil habe ein paar Karikaturen gemacht, um meine Sicht als Steuerzahler zu erklären.

Jenseits der lokalen Politik hat Dänemark schon seine Erfahrungen mit Extremismus gemacht. Wir denken zurück an die Karikaturenkrise 2005, als 12 Mohammed-Karikaturen in der dänischen Zeitung "Jyllands-Posten" veröffentlicht wurden und heftige Proteste in der (muslimischen) Welt auslösten - bis hin zu Morddrohungen. Wenn Sie als Künstler auf globale Ereignisse reagieren, gibt es da für Sie Grenzen in Ihrer Ausdrucksform?

Natürlich denke ich darüber nach, wie etwas ankommen und welche Folgen das für mich persönlich haben könnte. Nach der Karikaturenkrise in Dänemark führen die meisten Karikaturisten ein anderes Leben, sie werden durch Sicherheitskräfte beschützt. Das ist der Nachteil der Geschichte.

Ich sehe mich selbst als kleinen, unbekannten Karikaturisten. Ich lebe in einer Kleinstadt weit weg von Kopenhagen - doch irgendwie kann ich trotzdem ein breites Publikum mit meinen Karikaturen erreichen. Als ich gestern Abend die Nachrichten sah, sah ich, wie Dänen zur belgischen Botschaft gingen und Blumen niederlegten, um ihre Sympathie auszudrücken. Da ich nicht die Möglichkeit hatte, nach Kopenhagen zu gehen, sehe ich meine Zeichnung als meine Art und Weise, Blumen niederzulegen.

Müssen Sie bei Ihrer Arbeit darauf achten, wie sie von Extremisten wahrgenommen werden könnte?

Ja. Es stimmt leider schon. Ich bin persönlich, was diese Sache angeht, gespalten. Auf der einen Seite möchte ich für unsere Demokratie und unsere Werte kämpfen. Wir haben die Meinungsfreiheit und wir können wählen gehen. Und ich glaube, das sind wichtige Werte für eine Gesellschaft wie die unsere in Europa. Ich denke, wir sollten sie schätzen und für sie kämpfen.

Auf der anderen Seite habe ich eine Frau und zwei Kinder und der Gedanke, dass jemand an mir Rache verüben wollte, macht mir Angst. Ich möchte nicht aufgeben, aber ich möchte auch für meine Kinder da sein. Ich würde Mohammed niemals zeichnen. Damit würde ich eine unsichtbare Grenze überschreiten und mehr riskieren, als mir lieb ist.