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Mehr Demokratie

18. Juni 2008

Bundespräsident Horst Köhler kann die wachsende Politikverdrossenheit der Deutschen nur allzu gut verstehen. In seiner dritten Berliner Rede hat er die hiesige demokratische Praxis kritisiert. Doch weiß er Abhilfe?

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Bundespräsident Horst Köhler (Foto: dpa)
Der Bundespräsident hat viele ForderungenBild: picture-alliance/ dpa

Köhler äußerte vor seinen 250 Gästen im Berliner Schloss Bellevue Verständnis für die wachsende Politikverdrossenheit. Viele Bürger klagten, dass die Politik zu sehr von Partei- und Machtinteressen geprägt sei. Die Verfahren seien langwierig, die Ergebnisse oft halbherzig und nachbesserungsbedürftig. Offenbar habe die Politik in Deutschland mehr Mühe als in anderen europäischen Demokratien, klare Richtungsentscheidungen zu treffen.

Lust auf Veränderungen

"Wer unsere politische Ordnung studiert hat, will sie verändern", sagte Köhler am Dienstag (17.6.2008) in seiner dritten Berliner Rede. Die Verantwortlichkeiten müssten gestrafft, die Macht der Parteien begrenzt und der Einfluss der Bürger vergrößert werden.

Konkret forderte das Staatsoberhaupt, das Wahlrecht so zu ändern, dass die Wähler mehr Einfluss auf die Wahllisten der Parteien bekämen. Die Bürger könnten stärker beteiligt werden, wenn sie auf den Wahllisten der Parteien für einzelne Kandidaten stimmen könnten. Diese Möglichkeit gibt es auf Bundesebene bisher nicht, dort gilt die Zweitstimme für die gesamte Wahlliste einer Partei.

Rasches Ende des "Dauerwahlkampfs" gefordert

Um den herrschenden "Dauerwahlkampf" zu beenden, plädierte er zudem dafür, die Wahlperiode auch im Bund auf fünf Jahre zu verlängern und öfter als bisher mehrere Landtags- und Kommunalwahlen auf einen Tag zu legen.

Es gelte, die Zuständigkeiten zwischen Bund, Ländern und Kommunen zu entflechten und den "alles durchdringende Parteienwettbewerb" zu begrenzen. Zudem seien neue Abstimmungsregeln für den Bundesrat zu überlegen, um Arbeit der Länderkammer zu vereinfachen. Grundsätzlich gelte: "Die Machtverhältnisse sind doch kein Selbstzweck!"

Köhler hält Vollbeschäftigung für möglich

Doch nicht nur durch eine Änderung des Wahlrechts, sondern auch durch eine Anpassung des Steuerrechts solle der Staat den Bürgern entgegenkommen. Köhler forderte eine Entlastung der Bezieher mittlerer Einkommen. Dazu sei die Senkung der Sozialabgaben sinnvoll.

Köhler drang auf die Fortsetzung der Reformen im Arbeits- und Wirtschaftsleben. In diesem Zusammenhang lobte das Staatsoberhaupt erneut die umstrittene Reform-"Agenda 2010" von Ex-Kanzler Gerhard Schröder und verlangte ihre Fortsetzung in einer "Agenda 2020". Es gebe erste Erfolge - mehr als 1,6 Millionen Menschen hätten einen Arbeitsplatz gefunden. "Und viel mehr Beschäftigung, ja Vollbeschäftigung ist möglich, wenn wir ihre Voraussetzungen und unsere Chancen verstehen und entsprechend handeln", sagte der Bundespräsident.

Intelligente Einwanderungspolitik gefordert

Die internationalen Voraussetzungen für mehr Arbeit in Deutschland wertete Köhler als grandios. Die heimischen Voraussetzungen "können wir selber schaffen", sagte er. Deutsche Unternehmen bräuchten mehr qualifizierten Nachwuchs. Mit einer klugen Einwanderungspolitik müsse Deutschland zusätzliche Talente gewinnen.

"Es geht darum, begabte Ausländer für uns zu gewinnen, statt sie bloß zu dulden." Dazu gehörten Einbürgerung und gleiche demokratische Teilhabe für jene, die integriert seien und dauerhaft hier leben wollten.

Zeit für eine neue Gründerzeit?

Wie schon bei seiner Berliner Rede vor zwei Jahren geißelte Köhler auch die Mängel des deutschen Bildungssystems. "Deutschland braucht ein Klima der Begeisterung und der Anerkennung für Bildung." Das Bildungssystem dürfe niemanden zurücklassen. Der Bundespräsident warb für eine neue Gründerzeit. Schon in den Schulen müssten solide Grundkenntnisse über die Wirtschaft vermittelt werden.

Köhler hatte am 22. Mai bekanntgegeben, dass er sich 2009 für eine zweite Amtszeit bewirbt. Kurz darauf nominierte die SPD die Politologin Gesine Schwan als Gegenkandidatin. Die Berliner Rede war deshalb mit besonderer Spannung erwartet worden. Die Tradition dieser Präsidentenreden hatte Roman Herzog 1997 begründet. (ag)