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Politik

USA: Jüdische Stimmen - heiß begehrt

3. März 2020

Jüdische Wähler sind im US-Präsidentschaftswahlkampf heftig umworben. Dabei überrascht, welche Faktoren ihnen wichtig sind – und wovor sie bei einer jüdischen Präsidentschaft Angst hätten.

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USA Washington Präsidentschaftswahlkampf Kandidaten Kippas
Bild: DW/C. Bleiker.

Die Sonne scheint am Sonntagmorgen vor dem Super Tuesday, aber es ist bitterkalt in Washington. Das Geschäft läuft noch nicht so richtig, die Menschen gehen schnellen Schrittes mit den Händen in den Manteltaschen an Marc Daniels vorbei. Dabei hat der jüdisch-amerikanische Aktivist für fast jeden etwas dabei. Daniels verkauft Kippas, die mit den Namen der US-Präsidentschaftskandidaten bestickt sind, von Joe Biden bis Donald Trump. An diesem Morgen hat er sich vor einem Konferenzzentrum in downtown Washington aufgebaut, in dem die AIPAC, die mächtigste pro-Israel Lobbyorganisation, ihr jährliches Treffen abhält.

"Gestern war die Energie eine andere, da habe ich auf einer Bernie Sanders Wahlveranstaltung innerhalb von 90 Minuten alle Sanders Kippas verkauft", erzählt Daniels. Dass diese Variante der jüdischen Kopfbedeckung nun ausverkauft ist, stellt am Sonntagmorgen kein großes Problem dar – die AIPAC gilt als extrem konservative Organisation und von den Kunden, die am Sonntag bei Daniels einkaufen, fragt keiner nach einer Kippa mit dem Namen des liberalen Kandidaten. Im Gegenteil.

Eric, der sich als "eher orthodoxer Jude" bezeichnet, kauft eine Trump- und eine Mike Bloomberg Kippa. "Ich bin noch unentschlossen", sagt er. "Trump twittert zu viel, aber er hat eine gute Israel-Politik. Für die Demokraten würde ich höchstens mit Bloomberg stimmen, vielleicht noch Biden. Aber niemals Sanders!" Im Flugzeug von Chicago nach Washington sagte ein Passagier zu Daniels, eine Sanders-Kippa würde er nur von ihm kaufen, wenn er sie danach verbrennen dürfte.

Im Gegenzug hat auch Sanders, der selbst jüdisch ist, nichts für AIPAC übrig. Er verkündete im Februar, nicht zur Konferenz zu erscheinen, weil die AIPAC "Politikern, die bigotte Ansichten vertreten und Grundrechte für die Palästinenser ablehnen, eine Bühne bietet." Wer so kurz vor dem Super Tuesday eine Gruppe jüdischer Wähler vor den Kopf stößt, geht ein nicht unerhebliches Risiko ein.

USA Washington Präsidentschaftswahlkampf Kandidaten Kippas
Daniels will die Kippa salonfähig machen: Das Motto des Autors und Hobby-Gärtners ist "Weed out hate", oder "Den Hass an der Wurzel ausreißen".Bild: DW/C. Bleiker.

Orthodoxe Juden stimmen eher für Republikaner

Obwohl sie nur etwa 2 Prozent der Bevölkerung in den USA ausmachen, sind Menschen jüdischen Glaubens eine heiß umworbene Gruppe im US-Wahlkampf. "Jüdische Wähler sind eine sehr verlässliche Wählergruppe", sagt Joshua Leifer, Journalist beim liberal-jüdischen Magazin Jewish Currents. Die Wahlbeteiligung unter amerikanischen Juden ist überdurchschnittlich hoch, viele sind politisch engagiert. Wohl dem also, der sie früh für sich gewinnen kann.

Die Teilnehmer der AIPAC-Konferenz bilden dabei eine kleine Untergruppe – sie sind konservativer als die Mehrheit der jüdischen Wähler in den USA. "Orthodoxe Juden wählen eher Republikaner, aber sie machen nur etwa 10 Prozent der jüdischen Bevölkerung im Land aus", sagt Herbert Weisberg, emeritierter Professor für Politikwissenschaften der Ohio State University und Autor des Buches "The Politics of American Jews". Tatsächlich sind viele der AIPAC-Teilnehmer Trump-Unterstützer. Mit insgesamt 36 verkauften Trump-Kippas am Sonntag und Montag war der republikanische Präsident der absolute Bestseller unter Daniels' politischen Kopfbedeckungen.

Fest steht aber auch: Alle vier Jahre stimmt die große Mehrheit der jüdischen Wähler für den demokratischen Präsidentschaftskandidaten. Auch für dieses Jahr sagen Experten nichts Anderes voraus – und das, obwohl Trump erst kürzlich einen Friedensplan für Israel vorstellte, der in vielen Punkten die jüdische Bevölkerung des Staates gegenüber den Palästinensern bevorzugt. Wie kommt es zu dem Wahlverhalten?

USA Washington Weißes Haus | Benjamin Netanjahu, Israel & Donald Trump, Präsident | Friedensplan Nahost
Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu war hoch erfreut über Trumps Friedensplan für den Nahen OstenBild: picture-alliance/AP Photo/A. Brandon

Israel-Politik kein entscheidender Faktor für die Mehrheit

Die US-amerikanische "Israel-Politik ist ein wichtiger Faktor für orthodoxe Juden und für Juden, die Familie in Gebieten wie dem Westjordanland haben", sagt Jonathan Sarna, Professor für Amerikanisch-Jüdische Geschichte an der Brandeis University in Massachusetts. Aber für eine Mehrheit der Juden in den USA gelte das nicht. In einer Umfrage des Jewish Electorate Institutes von Oktober 2018 war Israel-Politik das politische Thema, dem die Teilnehmer die wenigste Bedeutung bei ihrer Wahl-Entscheidung beimaßen.

Auch Weisberg sagt, das für die meisten jüdischen Wähler andere Faktoren wie die wachsende Anzahl von antisemitischen Angriffen wichtiger sind. "Israel ist ein Thema auf dem Papier für amerikanische Juden", so Weisberg. "Aber Polizisten vor ihrer Synagoge stehen zu haben, das betrifft die Menschen direkt. Viele machen sich seit Trumps Amtsantritt zum ersten Mal in ihrem Leben Sorgen, wegen ihrer Religion angegriffen zu werden." Diese Menschen, so Weisberg, würden sicher nicht für Trump stimmen.

Mehr Antisemitismus unter einem jüdischen Präsidenten?

Der Kandidat, der aktuell das Kandidatenfeld gegen Trump anführt, ist Bernie Sanders. Konservative Juden werden aufgrund seiner pro-Palästinensischen Ansichten eher nicht für ihn stimmen; trotzdem hat er gute Chancen, die Nominierung zu gewinnen. Damit stünde er dann im November zur Wahl – und könnte bei einem Sieg der erste jüdische Präsident der Vereinigten Staaten werden.

"Das wäre eine Riesensache", sagt Ron Kampeas, Washington-Korrespondent der jüdischen Nachrichtenagentur Jewish Telegraphic Agency. "Einige Fragen stellen sich dann auch: Der Präsident geht jedes Weihnachten in die Kirche und darüber wird ausgiebig berichtet. Wie würde ein Präsident Sanders damit umgehen?"

Antisemitismus in New York

Noch wichtiger: Was hieße ein jüdischer Präsident für die Menschen seines Glaubens? "Es hätte unschätzbare Bedeutung für ein Volk wie unseres, das sich in der Geschichte immer vor unseren christlichen Nachbarn fürchten musste, die an einem Tag unsere Freunde und am nächsten unsere Mörder sein konnten", sagt die jüdische Schriftstellerin Talia Lavin. "Dass einer von uns durch eine demokratische Wahl das höchste Amt im Land gewinnen kann, gäbe uns Hoffnung dafür, dass wir hier dazugehören."

Es gibt aber auch Angst vor einer jüdischen Präsidentschaft. "Unter älteren jüdischen Wählern herrscht die Sorge, dass ein jüdischer Präsident zu mehr antisemitischen Angriffen führen könnte", sagt Leifer vom Jewish Currents Magazin. In der Vergangenheit war es eine jüdische Überlebensstrategie, so wenig wie möglich aufzufallen, und keine Aufmerksamkeit auf die eigene Religion, oder den Außenseiterstatus, zu ziehen, sagt auch Lavin. "Mit einer erhöhten Sichtbarkeit steigt auch das Risiko, dass Juden Wut auf sich ziehen, ohne dass sie irgendetwas getan haben." Jüngere Wähler machten sich darüber aber weniger Sorgen.

Erfolgreicher Bloomberg-Auftritt

Sanders wäre ein möglicher jüdischer Präsident. Für konservative AIPAC-Anhänger wäre er keine Alternative, dafür mobilisiert er viele junge, auch jüdische, Wähler. Aber auch New Yorks ehemaliger Bürgermeister Michael Bloomberg ist jüdischen Glaubens. Der Milliardär ist an der demokratischen Basis stark umstritten, unentschiedene Wähler aus der Mitte des politischen Spektrums stehen ihm dafür offener gegenüber.

USA Washington Präsidentschaftswahlkampf Kandidaten Kippas
Die Trump- und Bloomberg-Kippas waren die Verkaufsschlager bei AIPAC-TeilnehmernBild: DW/C. Bleiker.

Anders als Sanders sprach Bloomberg auf der AIPAC-Konferenz. Er erschien sogar persönlich, während Biden nur eine Videobotschaft hinterließ. "Nachdem Bloomberg gesprochen hatte, kamen die Leute begeistert rausgestürmt. Ich habe jede Menge Bloomberg Kippas verkauft", sagt Daniels. "Ich glaube, es war ein Fehler von Biden, nicht persönlich zu kommen."

Ob Bloomberg gegen Biden bestehen kann, wird man am Super Tuesday sehen können. Dann steht Bloomberg zum ersten Mal auf dem Wahlzettel.

Carla Bleiker
Carla Bleiker Redakteurin, Channel Managerin und Reporterin mit Blick auf Wissenschaft und US-Politik.@cbleiker