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Juristen gegen Kriegsverbrecher

Ulrike Mast-Kirschning28. Juni 2012

Für Diktatoren und Generäle ist der Internationale Strafgerichtshof eine reale Bedrohung. Das Gericht mit Chefanklägerin Bensouda (Foto) hält rechtsstaatliche Verfahren ein. Nun feiert der Gerichtshof Jubiläum.

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Fatou Bensouda, Chefanklägerin des Internationalen Strafgerichtshofs
Bild: Reuters

"Das wichtigste ist, dass es ihn überhaupt gibt", hatte Hans-Peter Kaul, deutscher Richter am Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag, in der Aufbauphase immer wieder betont. Kaul gilt auch als einer der Hauptinitiatoren dieses ersten ständigen Weltgerichts zur Verfolgung von Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Völkermord und Kriegsverbrechen. Mit Inkrafttreten des Rom-Statuts vor zehn Jahren (1. Juli 2002) konnte die Aufbauarbeit beginnen.

Anders als die internationalen Sondertribunale für Jugoslawien und Ruanda beruht der Internationale Strafgerichtshof nicht auf Beschlüssen des UN Sicherheitsrates, sondern auf einem internationalen Vertrag mit inzwischen 121 Unterzeichnerstaaten. Damit wurde eine klare Botschaft in die Welt gesandt: Straflosigkeit soll und kann beendet werden. Und das nicht nur in den Mitgliedsstaaten des sogenannten Rom-Statuts. Auch in allen anderen Staaten soll niemand mehr sicher sein, ungestraft mit schweren Verbrechen davon zu kommen. Der Gerichtshof kann allerdings nur über Individuen und nicht über Staaten zu Gericht sitzen.

Zwischen Machtpolitik und Menschenrechten

Weil beschuldigte Machthaber aber meist alles tun, um eine mögliche Verantwortung zu verschleiern, gehörte dies von Anfang an zu den großen Herausforderungen des Gerichts: "Die Arbeit muss daher zwangsläufig im Spannungsfeld von brutaler Machtpolitik einerseits und von Menschenrechten andererseits stattfinden", so Hans-Peter Kaul.

"Der Anfang war mühsam und bescheiden", erinnert sich Richter Hans-Peter Kaul (Foto: Dapd)
Hans-Peter Kaul: "Der Anfang war mühsam und bescheiden"Bild: dapd

Dieses Spannungsfeld hatte sich bereits in der Gründungsphase gezeigt: Die USA gehörten zu den größten Gegnern des Gerichts. Durch Abschluss bilateraler Verträge mit den Mitgliedsstaaten versuchte die Regierung sicherzustellen, dass keine US-amerikanischen Staatsbürger an das Gericht überstellt werden. Zeitweise war von einer regelrechten Unterminierungskampagne der Bush-Administration die Rede. Sie hatte das Ziel, beitrittswillige Staaten möglichst von der Unterzeichnung des Rom-Statuts abzuhalten.

Lange Aufbauarbeit

lick auf das Gebäude des Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag (Foto: dpa)
Rund 1000 Mitarbeiter aus 70 Nationen arbeiten am ICC in Den HaagBild: picture-alliance/dpa

Das Gründungsstatut des Internationalen Strafgerichtshofs war im Juli 1998 angenommen worden. Nachdem bis zum 11. April 2002 die Ratifizierungsurkunden von 60 Staaten hinterlegt waren, konnte der Vertrag am 1. Juli 2002 in Kraft treten. Erst dann hatte ein fünfköpfiges Vorausteam - darunter Hans-Peter Kaul - das damals noch völlig leere, fünfzehnstöckige Gebäude in Den Haag betreten und mit der Anschaffung von Büromöbeln, Telefonen und PCs begonnen. "Der Anfang war mühsam und bescheiden", berichtet Kaul.

Inzwischen arbeiten über 1000 Mitarbeiter aus mehr als 70 Nationen am Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag. Sieben sogenannte "Situationen" beschäftigen bislang das Gericht: aus Uganda, der Demokratischen Republik Kongo, der Zentralafrikanischen Republik, sowie den vom UN-Sicherheitsrat überwiesenen Fall Darfur/Sudan, Kenia, Libyen und die Elfenbeinküste. 23 Haftbefehle wurden ausgesprochen, aber nur sieben Angeklagte sitzen in Den Haag im Gefängnis. Die fehlende Unterstützung der Staaten bei der Verhaftung der Täter gehört zu den großen Problemen des Gerichts.

Pionierarbeit für die Opfer

Bis es 2009 zur Eröffnung des ersten Hauptverfahrens gegen den ehemaligen kongolesischen Rebellenführer Thomas Lubanga kam, verging eine lange Zeit. Zu lange? "Jeder Gerichtshof dieser Größenordnung mit einem so hohen Anspruch braucht eine Zeit, um seine Verfahrensordnung zu entwickeln", beteuert Jens Dieckmann, Opferanwalt am Internationalen Strafgerichtshof. Er verweist auf das Verfahren gegen den Serben Dusko Tadic vor dem Internationalen Gerichtshof für das ehemalige Jugoslawien, wo sich Verfahren und Urteilsspruch auch sehr lange hingezogen haben.

Darüber hinaus hat im Lubanga Fall nun ein Pilotverfahren stattgefunden: "Zum ersten Mal durften die Opfer in einem solchen Strafprozess eine besondere Rolle spielen, das war eine besondere Situation. Das Gericht musste zunächst in vielen einzelnen Beschwerdeverfahren entscheiden, welche Rechte die Opfer haben." Auch die Rechte der Verteidiger bei der Ermittlung von entlastenden Beweisen mussten im Detail geklärt werden, bevor es zur Verfahrenseröffnung und zum Urteil kam.

"Das Sondertribunal für Jugoslawien hat zwar in vielerlei Hinsicht Pionierarbeit geleistet", erläutert Richter Hans-Peter Kaul. Es habe allerdings auch eine fragwürdige Praxis deutlich gemacht: Die enorme Ausweitung der Liste der Anklagepunkte. "Am Ende war es oft genug so, dass man Täter, denen man 200 verschiedene Vorwürfe gemacht hatte, nur wegen zwei oder drei konkret beweisbarer Vorwürfe schließlich überführen und verurteilen konnte."

Effizienzdruck steigt

In der Begrenzung und Abschreckung sieht deshalb auch Opferanwalt Dieckmann die besseren Chancen und Wirkungen des Internationalen Strafgerichtshofes. "Und zu einer Abschreckung gehört es natürlich auch, dass man zeigt, dass rechtsstaatliche Verfahren möglich sind, die zu hohen und effektiven Verurteilungen führen. Andererseits aber eben auch rechtsstaatliche Verfahren, die unter Umständen sogar zu einem Freispruch führen können."

Wegen angeblich fehlender Effizienz war der ehemalige Chefankläger des Internationalen Strafgerichtshofs, der Argentinier Luis Moreno-Ocampo, immer wieder in die Kritik geraten. Er habe zu oft die Schlagzeilen gesucht und zu viele Untersuchungen und Verfahren eröffnet, heißt es in Insiderkreisen in Den Haag. Auch die Assembly of State Party, die Versammlung der Mitgliedsländer des Rom-Statuts, hatte im Dezember 2011 deutlich gemacht: Der Gerichtshof ist zwar ein Erfolgsprojekt, aber eben auch ein Kostenfaktor. Ocampo wurde inzwischen zum Ende seiner Amtszeit von Fatou Bensouda aus Gambia abgelöst.

Porträt von Rebellenführer Thomas Lubanga (Foto: AP)
Schuldig gesprochen: der kongolesische Rebellenführer Thomas LubangaBild: dapd

Erwartungen der Opfer

Am 14.03.2012 hatte der Internationale Strafgerichtshof sein erstes Urteil gesprochen: Der ehemalige kongolesische Rebellenführer Thomas Lubanga wurde wegen der gewaltsamen Rekrutierung von Kindersoldaten schuldig gesprochen. Ihm droht die Höchststrafe: lebenslange Haft.

Völlig offen ist bislang die Frage, was nach einer rechtskräftigen Verurteilung das Ergebnis für die Opfer sein wird. Wenn der Verurteilte keine Entschädigungsleistung zahlen kann, steht dafür beim IStGH ein Trust Fund zur Verfügung. "Und das wird noch eine Bewährungsprobe für dieses System", glaubt Anwalt Dieckmann, der aktuell Opfer aus sechs verschiedenen afrikanischen Ländern vertritt. Die Erwartungshaltung sei sehr groß und teilweise sehr spezifisch. So hätten zum Beispiel Witwen von ermordeten Soldaten alles verloren und sie lebten in großer Not. "Ihr größter Wunsch ist es, dass man ihren Kindern einen Schulbesuch und ein Leben in Würde ermöglicht."

Die Opfer hoffen nicht nur auf Entschädigung, sondern auch darauf, dass die historische Wahrheit durch die Arbeit des Internationalen Strafgerichtshofs ans Licht kommt. "Dann können sie leichter mit ihrem weiteren Leben klarkommen", berichtet Hans-Peter Kaul aus entsprechenden Untersuchungen des Jugoslawien-Tribunals. Es helfe ihnen, wenn ihre Leiden anerkannt werden und vor allem nicht vergessen werden.