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Politik

Journalisten - Beobachter oder Aktivisten?

Helena Kaschel
28. Mai 2019

Welche Rolle nimmt der Journalismus in einer Welt ein, in der die Pressefreiheit auch im Westen unter Druck steht und Social-Media-Plattformen immer mächtiger werden? Das Global Media Forum der DW sucht nach Antworten.

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Plenary Session |  Media and politics: Where is this love-hate relationship going?
Bild: DW/P. Böll

"Meinungsfreiheit ist ein hohes Gut." Es war kein Zufall, dass Armin Laschet, Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen, an diesem Dienstag vor einem internationalen Publikum im Bonner World Conference Center die Bedeutung der Meinungs- und Pressefreiheit in Deutschland betonte. Am Vorabend hatte CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer laut über die Regulierung von Meinungsäußerungen im Internet vor Wahlen nachgedacht und damit einen Shitstorm ausgelöst. Hintergrund waren Videos, in denen bekannte YouTuber vor der Europawahl dazu aufgerufen hatten, die CDU und auch die SPD nicht zu wählen.

Auch politische Statements im Internet seien Teil der Meinungsfreiheit, erklärte Laschet vor den Teilnehmern des Global Media Forum, der internationalen Medienkonferenz der Deutschen Welle. Gerade in einer digitalen Welt sei aber Qualitätsjournalismus von großer Bedeutung - versöhnliche Worte eines deutschen Spitzenpolitikers an die Medien.

Ein globaler Angriff auf die Pressefreiheit

Wie viel brüchiger das schon immer komplizierte Verhältnis zwischen Politik und Medien in vielen anderen Ländern ist, zeigte die an die Rede anschließende Veranstaltung im ehemaligen Plenarsaal des Deutschen Bundestages.

"Ich komme aus dem weltweit größten Gefängnis für Journalisten", sagte Can Dündar, der im deutschen Exil lebende frühere Chefredakteur der türkischen Tageszeitung Cumhuriyet (im Artikelbild mit DW-Moderatorin Amrita Cheema). Im World Conference Center diskutierte er mit der weißrussischen Medienmacherin Galina Malishevskaya, dem deutschen Investigativjournalisten Georg Mascolo und dem britischen Publizisten und Politiker Michael Dobbs über Entwicklungen in der Beziehung zwischen Journalisten und Politikern. Der inhaftierte russische Oppositionspolitiker Leonid Volkov, der ebenfalls eingeladen war, schickte eine Videobotschaft. Seine eigene Geschichte mache deutlich, "wie das Verhältnis von Medien und Politik in einigen anderen Ländern funktioniert".

Klares Ja zur Meinungsfreiheit

In der Türkei säßen mehr als 150 Journalisten hinter Gittern, sagte der mit Bodyguard angereiste Dündar: "Wir haben unsere Freiheit innerhalb von wenigen Jahren verloren." Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan sei nun der "wichtigste Medienmogul" der Türkei. Inzwischen gebe "eine Art globaler Attacke auf die Presse- und Meinungsfreiheit", eine Trennung zwischen Ost und West sei in dieser Hinsicht nicht mehr zu erkennen.

Dafür sind nach Auffassung von Georg Mascolo unter anderem die USA verantwortlich. Der größte Schaden, der in der Amtszeit von US-Präsident Donald Trump entstanden sei, treffe "Journalisten in vielen anderen Ländern, die immer zu den USA geschaut haben als einen demokratischen Rechtsstaat, dessen Fundament die Pressefreiheit ist". Dass die Vereinigten Staaten in diesem Bereich kein Vorbild mehr seien, nähmen einige europäische Staaten zum Anlass, die Pressefreiheit ebenfalls nicht mehr ernst zu nehmen.

Rückbesinnung auf alte Tugenden

Für den Tory-Politiker Michael Dobbs hängen aktuelle Machtverschiebungen im Verhältnis zwischen Politik und Medien vor allem mit dem Aufstieg sozialer Netzwerke zusammen. Anstatt "uns alle zusammenzubringen und uns eine kompletten Informationsfreiheit zu schenken", hätten soziale Medien "genau das Gegenteil" getan, so Dobbs, der den Politthriller "House of Cards" geschrieben hat, der als Inspiration für die gleichnamige Netflix-Serie diente.

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Soziale Netzwerke haben den Dialog zwischen Politik und Medien verändert, so Michael DobbsBild: DW/P. Böll

"Statt Nachrichten zu hören, hören sehr viele Menschen nur das Echo ihrer eigenen Vorurteile", sagt Dobbs. Politiker hätten keine Zeit mehr, abzuwägen, sondern reagierten sofort auf jeden Klatsch und Tratsch. Notwendig sei eine Rückkehr zu "den älteren Werten eines Journalismus, bei dem Objektivität eine wichtige Rolle spielt und die ganze Geschichte wichtig ist. "Was im Social-Media-Zeitalter zähle, sei die Anzahl der Klicks, "und das ist keine Gerechtigkeit."

Auch Galina Malishevskaya mahnte zur Rückbesinnung auf Kernaufgaben der Medien. Deren Rolle in einer sich immer schneller verändernden Welt sei "so etwas wie ein Hüter von Werten, kritischem Denken und Medienkompetenz. Wir sollten der Gesellschaft und den Mächtigen Fragen stellen. Das ist heute unser Job."

"Wir sind Aktivisten geworden”

So wichtig traditionelle journalistische Prinzipien auch seien: In manchen Ländern sei etwa Investigativrecherche kaum noch möglich, sagte Can Dündar, dessen Familie weiterhin in der Türkei lebt. Aus diesem Grund seien die Sozialen Medien in der Türkei "überlebenswichtig". Einschränkungen der Pressefreiheit führten dazu, dass Reporter mitunter notgedrungen die Distanz zu Politikern verlören. "Wir sind Aktivisten geworden, nicht mehr nur Journalisten. Unser Land brennt und ich soll über das Feuer berichten. Meine Familie und meine Freunde sind dort. Ich muss sie da raus holen. Ich kann nicht darüber berichten." Einem Politiker, der wie ein Tyrann handele, könne man nicht so einfach interviewen.

K21 Panel beim Global Media Forum
Wie sieht die Zukunft des Journalismus aus? Auch Künstliche Intelligenz ist auf dem Global Media Forum ein ThemaBild: DW/B. Baumann

Die Frage, ob Journalisten auch Aktivisten sein könnten, könne man nicht für die ganze Welt beantworten, entgegnete Mascolo. "In Deutschland, in der westlichen Welt, verteidigt Journalismus das System selbst - und das ist die Demokratie.” Das könne eine Form von Aktivismus sein, die Vermischung beider Identitäten sei in westlichen Ländern aber nicht erwünscht.

In welche Richtung auch immer sich die Rolle der Medien und ihr Verhältnis zur Politik entwickeln mag: Eines, so Mascolo, sei klar. In einer sich immer schneller verändernden Welt werde guter Journalismus gebraucht - "wahrscheinlich so sehr wie noch nie".

Das Global Media Forum wird in diesem Jahr zum zwölften Mal ausgetragen. An der Konferenz unter dem Motto "Shifting Powers" nehmen etwa 2000 Menschen aus rund 140 Ländern teil.