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Das ganz normale Leben

Berthold Stevens
28. April 2020

Seit zwölf Jahren berichtet Tania Krämer aus Israel und den Palästinensischen Gebieten. Sie kennt die vielen Realitäten und Grauzonen in Politik und Gesellschaft, auch im Alltag der Menschen.

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Tania Krämer, DW-Korrespondentin in Jerusalem, Israel
Mobile Technik, schnelle Reaktion: Tania Krämer bei einer Schalte vom Balkon ihres VJ-Büros in Jerusalem Bild: DW/A. Krogmann

Berichterstattung aus Nahost, einer Region, die seit Jahrzehnten für versteinerte Konfliktlinien steht zwischen Israelis und Palästinensern. Ein Balanceakt zwischen Hoffnung auf der einen, Frust und Resignation auf der anderen Seite? „Weder noch. Wir sind Beobachter und berichten über die Entwicklungen und die politischen Ereignisse“, verweist Tania Krämer auf die journalistische Distanz. 

Beobachter, die Analysen und Einschätzungen liefern: Israels Politik sei in den vergangenen Jahren weiter nach rechts gerückt, bei den Palästinensern habe sich die politische Spaltung vertieft. „Seit 2006 hat es für die Palästinenser keine Wahlen mehr gegeben“, erinnert Krämer. Während sich die EU politisch weitgehend aus dem Konflikt rausgezogen hat, setzen die USA unter Trump neue Parameter. „Die können die Situation auf viele Jahre hinaus beeinflussen“, fürchtet sie. Da bleibt auch aus Sicht der DW-Korrespondentin nur Hoffnung, was einen eigenständigen palästinensischen Staat und ein Nebeneinander in Frieden betrifft.

Israel Tel Aviv Anti Netanjahu Demonstration Mundschutz
Anti-Netanjahu-Demonstration in Tel Aviv Ende April 2020 - mit MundschutzBild: AFP/J. Guez

Dass der politische Diskurs härter geworden ist, spürt Tania Krämer auch im Alltag. „Als ausländische Journalisten haben wir die Möglichkeit, mit allen Seiten und vielen Menschen zu sprechen. Wir sind in einer privilegierten Situation, da wir praktisch überall hingehen können, ob in eine Siedlung im besetzten Westjordanland oder nach Tel Aviv und selbst nach Gaza.“ – Im Normalfall. Denn angesichts der Corona-Krise gibt es auch für Journalisten in Israel erhebliche Einschränkungen.

Krämer hat schon früh persönliche Verbindungen in der Region aufgebaut. Kurz nach dem Studium der Geschichte und Internationalen Beziehungen an der Pariser Sorbonne verbrachte sie ein Jahr in der Region als Zeitungsreporterin und Stipendiatin der Robert-Bosch-Stiftung. In der Folge kehrte sie wiederholt nach Israel zurück, unter anderem berichtete sie aus dem Libanon-Israel-Krieg 2006. 

Krisenerprobte Videojournalistin

Zur DW kam sie 2001, volontierte, war als Redakteurin für Internationale Koproduktionen in mehreren afrikanischen Ländern. 2004 wechselte sie in die Berliner Nachrichtenredaktion der DW. Als sie 2008 als Freie Korrespondentin und Videojournalistin nach Israel ging, war Tania Krämer auch bereits krisenerprobt. Zuvor war sie bei Radio Miraya im Rahmen der UN-Mission im Südsudan (UNMIS) im Einsatz. 

Tania Krämer, DW-Korrespondentin in Jerusalem, Israel
Tania Krämer, DW-Korrespondentin in Jerusalem, als VJ im EinsatzBild: DW

Krise – das verbinden allerdings auch Israelis und Palästinenser im Frühjahr 2020 vor allem mit dem Coronavirus. Bleiben Themen darüber hinaus? „In Israel die politische Sackgasse nach drei Wahlen, die hohen Lebenshaltungskosten. Sicherheit“, so Krämer. Und auf Seiten der Palästinenser „der politische Stillstand, die israelische Besatzung und ihre Auswirkungen auf den Alltag.“ Das ganz normale Leben. Auf beiden Seiten.

Und die ganz und gar nicht normalen deutsch-israelischen Beziehungen. „Das hat immer einen besonderen Stellenwert.“ Doch der Blick darauf ist globaler geworden. „Die Einordnung in den weltpolitischen Kontext ist für das DW-Publikum wichtig.“ Zugleich ist die Geschichte für eine deutsche Korrespondentin in Israel wichtiger Teil der Berichterstattung. „Besonders prägend sind Begegnungen mit Überlebenden des Holocaust.“ Krämer traf Dita Kraus, die Auschwitz und Bergen-Belsen überlebt hat, sie hatte Zeitzeugen wie Gabriel Bach, den stellvertretenden Ankläger im Eichmann-Prozess von 1961, im Interview. Sie sprach auch mit Familienangehörigen von Opfern des Massakers an israelischen Sportlern bei den Olympischen Spielen in München 1972. 

„Man gewinnt über die Jahre ein tieferes Verständnis“

Geschichte prägt auch Jerusalem. Als politisch geteilte Stadt, in der drei Weltreligionen zu Hause sind. „Man gewinnt über die Jahre ein tieferes Verständnis. Man sieht die vielen Realitäten und Grauzonen des Alltags. Das hilft, Dinge einzuordnen und perspektivisch zu sehen“, erzählt Krämer, die als Videojournalistin alle Berichte selbst dreht. Das erfordert Flexibilität und ständige Bereitschaft, zumal in Zeiten zusätzlicher Krisen wie der Corona-Pandemie. „Die Nachrichtenlage kann sich von einem Moment auf den nächsten ändern. Da hilft die neue mobile Technik, um näher dran zu sein und Live-Berichte schnell möglich zu machen.“ 

Es ist der andauernde Konflikt, der die tägliche Berichterstattung wohl auch künftig prägt. Nach wie vor gibt es hier besonders viele Journalistinnen und Journalisten aus dem Ausland. „Wichtig ist, immer hinter die Schlagzeilen zu schauen und zu erläutern, was die Ereignisse für das Leben der Menschen bedeuten“, so Krämer. Zum Beispiel für junge Leute im abgeriegelten Gazastreifen, „die trotz der schwierigen Alltagssituation und der Kriege versuchen, ihre Zuversicht zu bewahren“.

Korrespondentin in Jerusalem, das eröffnet nicht zuletzt eine neue Perspektive auf Europa. „Vor allem wird einem bewusst, wie privilegiert man ist, in Friedenszeiten aufgewachsen zu sein.“