1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen
Politik

Der ungesühnte Mord an Khashoggi

Tom Allinson lh
2. Oktober 2019

Die Mörder des saudischen Journalisten Khashoggi wurden bisher nicht zur Rechenschaft gezogen. Ein Prozess in Riad verschont die Drahtzieher des Verbrechens. Das Erbe des Regimekritikers könnte dennoch lange nachhallen.

https://p.dw.com/p/3QYph
Türkei Protest Journalist Jamal Khashoggi
Bild: picture-alliance/AA/M. E. Yildirim

Unter allen Morden an Journalisten hallt das Gemetzel in einem saudischen Konsulat besonders nach. Vor genau einem Jahr hatte Jamal Khashoggi die Vertretung seines Heimatlandes Saudi-Arabien in Istanbul betreten, weil er Dokumente benötigte, um seine türkische Verlobte Hatice Cengiz heiraten zu können. In den Konsulatsräumen wurde er erdrosselt und zerstückelt. Seine Leiche verschwand. Khashoggi konnte nie von seiner Familie beerdigt werden.

Dieser Mord steht in Verbindung mit den höchsten Riegen des saudischen Königshauses. Er trübt das Image des saudischen Kronprinzen Mohammed bin Salman - auch MbS genannt - als moderner Reformer, und vergiftet die Beziehung zu westlichen Verbündeten.

Am vergangenen Sonntag hatte MbS im US-Sender CBS zwar die volle Verantwortung für das Verbrechen an Khashoggi übernommen, er bestreitet aber nach wie vor, den Mord angeordnet zu haben. Saudische Beamte hätten den Einsatz ausgeführt, der "außer Kontrolle" geraten sei. Ermittler der Vereinten Nationen widersprechen dieser Darstellung. Der Mord sei "geplant und ausgeführt" worden von Vertretern des saudischen Staates.

Was bisher bekannt ist

Untersuchungen des US-Geheimdienstes CIA und der Vereinten Nationen ergaben, dass eine Gruppe von 15 Saudis mit Diplomatenstatus, darunter ein forensischer Experte, der eine Knochensäge bei sich trug, nach Istanbul geflogen sind, um Khashoggi im Konsulat abzufangen. 

Verschriftlichte Audio-Mitschnitte aus dem saudischen Gebäude legen nahe, dass Khashoggi ein Beruhigungsmittel gespritzt wurde, anschließend soll er erstickt und zerstückelt worden sein. Die Mitschnitte stammen aus türkischen Quellen. Sie wurden der UN vorgelegt, allerdings von dieser nicht offiziell bestätigt. Ermittler geben an, dass der Tatort forensisch gereinigt wurde, bevor türkische Offizielle Zutritt erhielten.

Türkei Istanbul Konsulat Saudi-Arabien | Untersuchungen Jamal Khashoggi
Die saudische Vertretung in Istanbul wurde vor einem Jahr zum TatortBild: Getty Images/AFP/Y. Akgul

US-Senatoren, die von der CIA informiert worden waren, verwiesen auf eine Reihe von Telefonaten zwischen dem Kronprinzen, seinem engen Verbündeten Saud al Qahtani und einem Mitglied des Mörder-Trupps. Das lege eine Verbindung zum Kronprinzen nahe. Davon geht auch die UNO-Sonderberichterstatterin Agnès Callamard aus. Sie fordert aufgrund der Beweislage eine strafrechtliche Ermittlung, die den saudischen Kronprinzen mit einschließt.

Der saudische Prozess

Der Gerichtsprozess, der in Saudi-Arabien eröffnet wurde, um Beteiligte am Khashoggi-Mord zu verurteilen, wird heftig kritisiert. Elf Beschuldigte warten in einem nicht öffentlichen Verfahren auf ihr Urteil. Fünf von ihnen droht die Todesstrafe, Schlüsselfiguren wie al Qahtani aber werden von dem Prozess abgeschirmt. Das Gerichtsverfahren entspreche nicht internationalen Standards, sagt Callamard der DW. "Es wird hinter verschlossenen Türen verhandelt. Die Drahtzieher werden nicht herangezogen. Es ist auch vollkommen unklar, warum gerade diese elf Personen angeklagt sind, obwohl es 15 Personen waren, die zu dem Mörder-Trupp gehörten – plus ihrer Verbündeten in Riad", sagt Callamard. "Saud al Qahtani kommt in dem Verfahren nicht vor, obwohl es eine öffentliche Erklärung gibt, dass er die Gruppe angestachelt habe, Khashoggi zu entführen."

Saudische Ankläger haben angegeben, dass die rechte Hand al Qahtanis, Ahmed al Asiri, den Einsatz überwacht hätte, der zum Ziel hatte, Khashoggi zu entführen und nicht zu töten. Inzwischen ist al Qahtani verschwunden, nachdem ihn König Salman im Zuge der Affäre entlassen hatte. Die Nachrichtenagentur Reuters zitiert türkische und arabische Quellen, denen zufolge al Qahtani während des Mordes per Skype zugeschaltet war und Beleidigungen an Khashoggi richtete.

Für Yasmine Farouk, Expertin der Golf-Region bei der Carnegie-Stiftung für internationalen Frieden, begibt sich die saudische Führung in eine heikle Lage, wenn sie ihr Geheimdienstpersonal opfert, das ihre eigenen Anweisungen ausgeführt hat. "Wenn sie ihre eigenen Leute für den Mord an Khashoggi zur Verantwortung ziehen und es Anweisungen aus dem Palast gab, könnte das die Glaubwürdigkeit innerhalb des Systems beeinträchtigen", sagt Farouk.

Kommt die Wahrheit ans Licht?

Callamards Aufruf nach einer internationalen strafrechtlichen Ermittlung hat bislang wenig Anklang gefunden. Der Mord an Khashoggi überschattet aber permanent die saudisch-amerikanischen Beziehungen und die internationale Diplomatie. "Dieses Verbrechen wird immer präsent sein, es wird Saudi-Arabien verfolgen. Und es wird in Krisenzeiten immer wieder hervorgeholt werden", sagt Farouk. "Aber darüber hinaus können wir derzeit keine konkreten Maßnahmen seitens der Vereinten Nationen erwarten."

Obwohl der saudische Gerichtsprozess zweifelhaft und fehlerhaft sei, geht die UN-Sonderberichterstatterin Callamard davon aus, dass eine "endgültige" und "glaubhafte" Wahrheit erreicht werden könnte. "Gerechtigkeit für Jamal muss aber auch weitere Dimensionen umfassen", sagt Callamard. Das bedeute: weitere Beweise durch Journalisten, Geheimdienste und Regierungen; Sanktionen gegen weit höhere Mitglieder des Staates zu richten und für die Werte, für die Khashoggi starb, einzutreten. Außerdem müssten Journalisten stärker geschützt werden.

Internationale Auswirkungen

Obwohl die Unterstützung westlicher Staaten nach den Angriffen auf saudische Ölanlagen auf Tauwetter zwischen den Verbündeten hindeutete, bleibt die Beziehung brüchig. Der UN-Menschenrechtsrat votierte trotz intensiver Lobbyarbeit gegen den saudischen Vorstoß, Ermittlungen der Gräueltaten im Jemen zu verhindern.

Saudi-Arabien - Saudischer Kronprinz Mohammed bin Salman
Der saudische Kronprinz Salman wollte sich ein Image als Reformer aufbauenBild: picture alliance/dpa/SPA

In den USA versuchte der Kongress mehrmals, Maßnahmen gegen die saudische Führung zu erlassen. Präsident Donald Trump verhinderte allerdings mit seinem Veto entsprechende Gesetzgebungen, die Waffenverkäufe und die Unterstützung für den Krieg im Jemen eingeschränkt hätten. Trump begründete dies damit, dass er Saudi-Arabien als strategischen Partner gegen den Iran brauche. In Deutschland wiederum wurde ein Embargo auf saudische Waffen verlängert. Allerdings wurde zugleich verkündet, dass die gemeinsame Ausbildung der Polizei wieder aufgenommen werden solle. Gemeinsam mit Frankreich und Großbritannien hat Deutschland Saudi-Arabien in Bezug auf die jüngsten iranischen Angriffe "vollständige Solidarität" zugesichert.

Callamard ist überzeugt, dass Khashoggis wahres Erbe darin liegt, junge saudische Regimekritiker inspiriert zu haben. Außerdem sei durch seinen Tod die Maske des Reformers, die sich der saudische Kronprinz überziehen wollte, gefallen. "Ich glaube, dass sein Ruf als moderner Prinz oder König als das entlarvt wurde, was es ist: eine leere Hülle", sagt Callamard. "Der Kaiser wurde seiner Kleider beraubt. Und seine Untertanten werden aufbegehren."