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Politik

"Wir vertun eine historische Chance"

Nina Haase | Sumi Somaskanda
4. August 2017

Jacopo Mingazzini ist Geschäftsführer einer Berliner Immobilienfirma. Im Gespräch mit Nina Haase und Sumi Somaskanda erläutert er, warum Deutschland sich von einer Mieter- in eine Eigentümer-Nation wandeln müsse.

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Deutschland Altbau-Wohnungen in Berlin
Bild: picture-alliance/Arco Images

DW: Herr Mingazzini, wie hat sich der Immobilienmarkt in Deutschland entwickelt?

Jacopo Mingazzini: In den Großstädten sind die Preise sehr, sehr stark gestiegen. Das ist praktisch der automatische Reflex der sinkenden Zinsen. Das war in den letzten fünf Jahren deutschlandweit - nicht nur in Berlin - sehr ausgeprägt in allen Großstädten, im Grunde nicht nur in den Großstädten, sondern in allen Regionen Deutschlands.

Haben Sie Angst vor einer Immobilienblase?

Eine Blase ist gekennzeichnet auch durch spekulative Überhöhungen, durch Kreditvergaben von teilweise über 100 Prozent. Das alles sehen wir in Deutschland nicht. Wir sehen kreditgebende Banken, die die Preissteigerung zum Anlass nehmen, ihre Eigenkapitalanforderungen deutlich zu erhöhen. Das heißt, sehr stark achten die Banken auf die Kapitaldienstfähigkeit und zwar auf einen Zins gerechnet, wie er sich eher im langfristigen Mittel orientiert, also beispielsweise sechs Prozent Zins. Da muss eine vernünftige Kapitaldienstdeckungsfähigkeit gegeben sein. Das heißt, im Augenblick setzen wir Eigenkapital ein von 30 bis 40 Prozent, wenn wir einkaufen. Früher waren es eher 20 oder 15 Prozent. Die Banken sind sehr vorsichtig- was diese spekulativen Blasen, wie wir sie früher gesehen haben, zumindest nicht so möglich macht wie sie bisher der Fall waren.

DW Sommerreise Berlin 2017- Mingazzini
Jacopo Mingazzini im DW-GesprächBild: DW

Sie verkaufen auch an ausländische Kapitalanleger – das heißt, diese haben nicht das Ziel, selber in die Wohnung einzuziehen?

Nein, die wenigsten Ausländer kaufen eine Wohnung, die sie selber nutzen. In der Regel wird eine vermietete Wohnung zur Kapitalanlage gekauft. Dann freuen sich die Anleger über die stabilen Mieteinnahmen, über die Möglichkeit, die Miete sukzessiv zu erhöhen im Rahmen des Mietspiegels und natürlich über die Wertsteigerung, die in den letzten Jahren sehr ausgeprägt war. Wer vor fünf Jahren gekauft hat, hat sehr deutliche Wertsteigerung erlebt.

Die Wohnungen, die leer werden und an Selbstnutzer gehen - das sind häufig dann Berliner, die diese Wohnungen kaufen, aber auch mal jemand, der zuzieht aus Westdeutschland oder anderen Regionen oder auch Ausländer, die dann selbst nutzen.

Sie haben in einem Interview gesagt, dass sich immer weniger deutsche Familien eine Eigentumswohnung leisten können. Würden Sie das als problematisch bezeichnen, und woran liegt das?

Die laufenden Kosten des Kaufs einer Wohnung können sich eigentlich fast alle leisten, die in Lohn und Brot stehen. Wenn man in einem stabilen Arbeitsverhältnis, selbst mit geringem Einkommen, ist, kann man sich die geringen Kosten einer erworbenen Wohnung leisten. Das, was für viele mittlerweile wirklich eine große Hürde darstellt, ist das Thema Eigenkapital. Die Grunderwerbsteuer ist deutschlandweit auf breiter Front gestiegen - von ursprünglich 3,5 Prozent auf in vielen Bundesländern mittlerweile 6,5 Prozent. Die Notarkosten und Maklerprovision- das alles führt zu Nebenkostenbelastungen, die häufig 20-25 Prozent der Kaufsumme darstellen. Wenn man also bei einer Wohnung, die 150.000 bis 200.000 Euro kostet, 20 Prozent Eigenkapital mitbringen muss, ist das natürlich schon eine gehörige Hürde für junge Familien, die noch nicht so viel Zeit hatten, anzusparen. Wenn man diese Hürde überspringen kann, dann ist die laufende Belastung bei den geringen Zinsen deutlich niedriger als eine vergleichbare Wohnung zu mieten. Wir haben erst letzte Woche (Anm. d.Red.: Anfang Juli) unseren aktualisierten Report präsentiert, den wir zusammen mit dem DIW zu diesem Thema gemacht haben, der nachweist, dass es in Deutschland keinen einzigen Landkreis gibt, wo Mieten billiger ist als Kaufen. Die Hürde ist wie gesagt die Eigenkapitalhürde. Nicht viele Familien haben 40.000 - 50.000 Euro.

Macht Ihnen das Sorgen, wenn Sie sehen, dass viele Familien das Eigenkapital nicht aufbringen können?

Ich denke, wir vertun eine historische Chance. Die Politik sollte sich gut überlegen, ob sie das so geschehen lassen will. Wir haben gerade die historische Chance, was die Zinsen angeht. Wir haben aber leider eine Politik, dass die Grunderwerbssteuer über die Gebührenordnung im Notarbereich und ähnliches mehr, sehr stark dafür gesorgt hat, dass es nicht einfacher geworden ist für die Menschen. Denn dadurch ist die Eigenkapital-Hürden gewachsen. Ich würde mir wünschen, dass die Politik das ganze wieder etwas zurück dreht - beispielsweise werden Modelle diskutiert, dass Erstkäufer von der Grunderwerbsteuer befreit werden. Das würde die Hürden für viele Leute erheblich runtersetzen. Man könnte das ja auch an Einkommensgrenzen oder an die Kinderzahl koppeln: Wer zwei Kinder hat und in ein Haus zieht, der kriegt die Grunderwerbssteuer erlassen, wenn er nicht mehr als eine Summe X verdient.

Was meinen Sie damit, es sei eine große Chance für Deutschland und die Politik?

Deutschland ist, wenn man die Rankings der Vermögensverteilung anschaut, immer am unteren Ende, weil wir eine Nation von Mietern sind. Südeuropäer sind, was Einkommen angeht, unterhalb von Deutschland. Aber wenn man sich das Vermögen der privaten Haushalte ansieht, sind wir fast Schlusslicht. Ich komme aus Italien. Wer eine eigene Familie gründet – der tut erstmal eins: er kauft etwas. So haben die Menschen irgendwann einmal mehr Vermögen, weil sie automatisch gehalten werden zu sparen und zu tilgen. Das erhöht laufend ihr Vermögen. Wenn man sein Leben lang Mieter war, hat man gar nicht so sehr die Neigung und die Notwendigkeit anzusparen. Die Sparquote und das Sparguthaben in Deutschland sind viel niedriger – und damit das Vermögen der privaten Haushalte.

Wie sehen Sie Ihre Verantwortung als Immobilienvermittler in der Branche gegenüber deutschen Familien, die sich gerne eine Wohnung kaufen würden?

Wir können nur versuchen, einen guten Job zu machen. Wir können nur versuchen, die richtigen Immobilien auszuwählen, eine angemessene Renovierung durchzuführen, und den Leuten bei der Finanzierung und bei all den Themen, die man nicht alltäglich tut, zu helfen. Das ist unser täglich Brot - das was wir tun. Die Rahmenbedingungen können wir natürlich nur ein Stück weit mit beeinflussen. Aber das, was in unserer Macht liegt, das versuchen wir verantwortungsvoll umzusetzen. Das beginnt damit, dass wir den Mietern zuallererst ein Kaufangebot unterbreiten und sie begleiten so gut es eben geht, diese für viele eben neue Thematik anzugehen.

Accentro GmbH ist eine deutsche Immobilienfirma, die sich auf die Renovierung und den Verkauf von Bestandswohnungen in Deutschland spezialisiert hat. Jacopo Mingazzini ist ihr Geschäftsführer.

Das Gespräch führten Nina Haase und Sumi Somaskandi.

Nina Haase Trobridge
Nina Haase Chief Political Correspondent@NinaHaase